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Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.

© Privat

Wiarda will’s wissen: Beim Dr. med. müssen die Mediziner springen

Der "Dr. med." verliert zusehends an Wert. Jetzt ist es an den medizinischen Fakultäten, sich an die überfällige Reform heranzutrauen, meint unser Kolumnist.

Wenn es einen Titel gibt, der einer ganzen Berufsgruppe ihre Aura verleiht, dann ist das der „Dr. med.“ Kommt der „Herr Doktor“, stehen vielerorts immer noch die Patienten stramm. Zwei Drittel der angehenden Ärzte promovieren, fast jede vierte Promotion geht aufs Konto der Mediziner.

Wenn es einen Doktortitel gibt, der die Sinnkrise des deutschen Promotionswesens in einer geradezu absurden Überspitzung in sich trägt, dann ist allerdings auch das der „Dr. med.“. Häufig ist die dazu gehörige Dissertationsschrift nur ein paar Dutzend Seiten lang, zum großen Teil entstanden in wenigen Monaten parallel zum Studium.

Viele Plagiatsfälle in der Medizin dokumentiert

Allzu viele Arbeiten kratzen wissenschaftlich an der Oberfläche, bestenfalls. Umso produktiver erweisen sich die Mediziner in anderer Hinsicht: Von insgesamt 183 auf der Plattform VroniPlag Wiki dokumentierten Plagiatsfällen bei Dissertationen und Habilitationen stammen 100 aus der Medizin oder Zahnmedizin.

Wem das noch nicht erstaunlich genug ist: Der Europäische Forschungsrat hält den „Dr. med.“ für so minderwertig, dass der Titel allein nicht zur Teilnahme an seinen Förderprogrammen berechtigt. Der Wissenschaftsrat, das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium von Bund und Ländern, drängt seit 13 Jahren auf ein Ende der Dünnbrettbohrerei: Den echten Doktor sollten nur noch Absolventen bekommen, die eine mehrjährige Forschungsleistung vorweisen können, die übrigen eine Art Berufsdoktorat, etwa mit der Bezeichnung „Medizinischer Doktor“ (MD). Vergangene Woche forderten auch die Wissenschaftsakademien dieselbe „tiefgreifende Reform“, möglichst in einer Verschränkung von Doktorarbeit und Facharztausbildung.

Fakultätentag will an Promotion während des Studiums festhalten

Und was macht der Medizinische Fakultätentag (MFT)? Das, was er immer macht, wenn sich wieder mal ein Expertengremium an ihm die Zähne ausbeißt. Antwortet: Nicht nötig. Wollen wir nicht. Das Medizinstudium und die Facharztausbildung seien lang genug. Darum müsse es weiter erlaubt sein, im Studium mit dem Promotionsprojekt zu beginnen. Weil der MFT aber selbst weiß, dass das Studiendauer-Argument unter Qualitätsgesichtspunkten etwas schlicht ausfällt, ermutigt er seine Mitglieder demonstrativ, „ausreichende Freiräume und Qualifikationen“ in der zweiten Studienhälfte zu schaffen und flächendeckend strukturierte Promotionsprogramme einzurichten. Und dann schickt der MFT eine Forderung hinterher, die er offenbar für eine Revolution hält: neun Monate reine Forschungszeit pro Doktorarbeit, mindestens.

Am Ende zwei Feststellungen und eine Frage. Erstens: Den meisten Patienten dürfte es egal sein, ob ihr Arzt einen Dr. med. oder „nur“ einen MD trägt, solange er sein Handwerk versteht. Zweitens: Solange die Mediziner das Berufsdoktorat ablehnen, leidet nicht nur die Integrität der Wissenschaft als Ganzes, sondern auch die Vielzahl der Promovenden, die großartige Doktorarbeiten abliefern und dafür einen zweifelhaften Titel bekommen. Drittens: Wann, liebe medizinische Fakultäten, springt ihr wirklich mal?

Der Autor ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

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