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Gefährliches Wasser. Werden große Mengen davon in den Untergrund gepresst, können sie zu Erdstößen führen.

© REUTERS

Wie der Mensch Erdbeben auslöst: Gasförderung und Geothermie bringen den Boden zum Zittern

Wenn Wasser in die Erde gepumpt wird, um etwa Öl zu fördern oder Erdwärme zu nutzen, können Erdbeben ausgelöst werden. Warnzeichen helfen, Schäden zu verhindern.

Abends, kurz vor elf, kracht es richtig. Fensterscheiben zerbersten, Dächer werden beschädigt, ein Kamin stürzt ein. Überraschend kam der Erdstoß nicht. Bereits tagsüber hatte es in Prague, einem Nest in Oklahoma, spürbare Erschütterungen gegeben. Am späten Abend des 5. November 2011 erreichte das Zittern im Untergrund seinen vorläufigen Höhepunkt. Eine Stärke (Magnitude) von 5,6, das stand schnell fest. Über die Ursache wurde lange gestritten. Oklahoma war praktisch erdbebenfrei, über Jahrhunderte. Doch seit wenigen Jahren häuften sich die Erschütterungen.

Erst das Wasser, dann die Erschütterung

Gab es einen Zusammenhang mit der Öl- und Gasförderung? Diese Vermutung wurde immer lauter, von den betreffenden Firmen und manchen Behörden aber beharrlich abgestritten. Doch die Indizien verdichteten sich. US-Forscher haben jetzt im Fachblatt „Science“ die bislang umfangreichste Analyse dazu vorgestellt und kommen zu dem Schluss: Die meisten Erdbeben in Oklahoma und angrenzenden Bundesstaaten gehen auf menschliche Aktivitäten zurück. Vor allem das Hineinpressen von Wasser in den Untergrund, das in großen Mengen bei der Ölförderung anfällt, führt zu Erschütterungen, die teilweise Schäden an der Erdoberfläche hinterlassen.

Menschgemachte Erdbeben gibt es vielerorts, bei Geothermie-Kraftwerken in der Schweiz oder der Pfalz ebenso wie bei der Gasförderung in Norddeutschland. In den meisten Fällen sind sie nur schwach, doch die Bewohner der betroffenen Gebiete sind verunsichert. Zu Recht, denn was genau im Untergrund vor sich geht, ist wenig verstanden. Sonst würde es nicht allenthalben zu den Beben kommen. Mit jedem Erdstoß wächst das Gefühl der Unsicherheit, wird die Frage drängender, ob es eines Tages zu einem wirklich großen Knall kommt.

Menschgemachte Erdbeben.
Menschgemachte Erdbeben.

© tsp

Diese Verunsicherung herrscht auch in den klassischen Öl-Staaten der USA wie Texas, Oklahoma und Colorado. Dort und in angrenzenden Regionen, zusammengenommen als „mid-continent“ bezeichnet, ist die Zahl der Erdbeben zuletzt rapide gestiegen. Matthew Weingarten von der Universität von Colorado in Boulder und Kollegen haben nun Ort und Zeitpunkt der Erschütterungen mit Daten von rund 180 000 Bohrungen verglichen, in denen Wasser in den Untergrund gepresst wird. Sie entdeckten auffallend viele Gemeinsamkeiten, die zunächst rein statistischer Natur sind, aber doch auf einen ursächlichen Zusammenhang hindeuten. In den Siebzigerjahren waren es höchstens sieben Beben im Jahr, die eine Magnitude von 3 und mehr erreichten (etwa die Stärke, ab der Menschen etwas spüren) und mutmaßlich mit solchen „Versenkbohrungen“ zusammenhängen. Für den Zeitraum 2011 bis 2013 schnellte ihre Zahl auf 75 bis 190 hoch, 2014 waren es sogar mehr als 650. Die Zahl der natürlichen Erschütterungen blieb über die Jahre, wie zu erwarten, gleich.

Schmiermittel für Erdplatten

Dass Wasser Erdbeben auslöst, ist schon länger bekannt. Voraussetzung dafür ist, dass das Gestein bereits etwas unter Spannung steht. Das geschieht beispielsweise durch die Bewegung der Erdplatten, wobei die Stärke der natürlichen Spannung von Ort zu Ort sehr verschieden sein kann. Im Gestein gibt es Schwächezonen, von Geoforschern als „Störung“ bezeichnet. Gelangt Wasser dorthin, wirkt es wie ein Schmiermittel. Mikroskopisch betrachtet, verändert es den Druck in den winzigen Poren des Gesteins, woraufhin dieses zerbricht. Zunächst ist der Riss nur wenige Mikrometer groß, doch er wird rasch größer und erstreckt sich über viele Meter. Die Gesteinsschichten ruckeln aneinander vorbei, die Erde bebt.

Je mehr Wasser, umso größer das Risiko für Erdbeben

Wie stark das Erdbeben am Ende ist und vor allem ab welcher Wassermenge der Untergrund überhaupt in Aufruhr gerät, hängt von lokalen Gegebenheiten ab und lässt sich vorher nicht sagen. Das macht es so schwierig, solche „induzierten Beben“ zu vermeiden. Einen Anhaltspunkt hat Weingarten jedoch klar belegt: Gerade dort, wo viel Wasser in kurzer Zeit nach unten gepumpt wird, steigt das Bebenrisiko an. Indem man dort vorsichtiger zu Werke geht, könnte das Verfahren sicherer werden, meint er.

Das Risiko für Erdbeben durch Fracking ist klein

Ganz darauf verzichten kann man bisher kaum. Das Wasser, das etwa in Oklahoma massenhaft versenkt wird, kommt ursprünglich von unten. Um an das Erdöl zu gelangen, muss dort zuvor im Schnitt zehnmal so viel Tiefenwasser gefördert werden. Das ist oft eine üble Brühe, die zum Trinken keinesfalls geeignet ist. Fehlen Kläranlagen, wird sie eben wieder nach unten gepumpt. Je mehr Erdöl gefördert wird, umso mehr Wasser muss in die Tiefe entsorgt werden. Eine weitere, jedoch etwas geringere, Gefahr geht von Wasser aus, das in Öllagerstätten gepumpt wird, um die Ausbeute zu erhöhen: Der schwarze Rohstoff schwimmt darauf und wird zum Bohrloch gedrückt. Auch das kann Erdbeben auslösen.

Anders als vielfach angenommen, ist das Risiko für spürbare Erdbeben durch Fracking klein. Die eingesetzte Wassermenge ist dort vergleichsweise gering, so dass es meist bei den erwünschten Mikrobeben bleibt. Aber es gibt Ausnahmen. Dazu gehören die leichten Erdstöße bei Blackpool in Großbritannien im Jahr 2011 (Magnitude 2,3 und 1,5). Sie wurden wahrscheinlich losgetreten, als Fracking-Flüssigkeit in eine Schwächezone gelangte, wodurch die angestaute Spannung plötzlich freigesetzt wurde. Schäden sind keine bekannt.

Erdwärmebetreiber als Erdbebenverursacher

In Deutschland, wo das Fracking-Verfahren seit den Sechzigerjahren eingesetzt wird, seien keine spürbaren Erschütterungen an der Oberfläche festgestellt worden, sagt Christian Bönnemann von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). „Das liegt auch daran, dass gerade in Norddeutschland die natürliche Spannung im Gestein gering ist.“ Anders sieht es im Süden aus, wie die Geothermie-Betreiber im pfälzischen Landau und jenseits der Grenze in Basel feststellen mussten. Als sie Wasser in die Tiefe pressten, um Erdwärme zu gewinnen, bebte die Erde mehrfach.

Bönnemann leitet ein Forschungsprojekt, das Verfahren entwickeln soll, um spürbare Erschütterungen zu vermeiden. Die Wissenschaftler setzen dazu auf sensible Messgeräte, die auch bei geringen Schwingungen ausschlagen. „Wird ein bestimmter Grenzwert überschritten, muss die Wasserzufuhr verringert werden, um Schlimmeres zu vermeiden“, erläutert er. Das führe allerdings dazu, dass Geothermieanlagen weniger Leistung bringen.

Schlichtungsstelle für Erdbebenschäden gegründet

Auch im Norden Deutschlands bebt es immer wieder. Eine Ursache ist die Aufwärtsbewegung der Erdkruste nach dem Abschmelzen der Eiszeitgletscher vor wenigen tausend Jahren. Die Erdstöße beginnen meist in zehn Kilometern Tiefe und darunter, sagt Bönnemann. Flachere Erdbeben in vier bis fünf Kilometern Tiefe können auf den Menschen zurückgehen. „Wenn Erdgas gefördert wird, sinkt das Volumen in den Poren des Gesteins, die Schichten werden zusammengedrückt“, erläutert der BGR-Seismologe. Das ändere die Spannung im Untergrund und kann ebenfalls zu leichten Erschütterungen führen. Bis zu einer Stärke von vier hält Bönnemann für möglich.

Die Stimmung in der Bevölkerung ist gereizt. Vor zwei Jahren wurde in Niedersachsen ein Erdbebendienst gegründet. Dieser baut unter anderem zusätzliche Seismometer auf, um die Messungen der Industrie zu überprüfen und zu ergänzen, sagt Bönnemann. Auch eine Schlichtungsstelle für Erdbebenschäden sei gegründet worden. Noch hat es keine großen Beschädigungen gegeben. Das kann sich schon morgen ändern.

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