zum Hauptinhalt

Wissenschaft und Kunst: Wenn die Waschmittelwerbung scheitert

Die präzise Kenntnis der jeweiligen Bildkultur erschließt das Verhältnis der Kulturen, aber auch das von Wissenschaft und Kunst.

Vor vielen Jahren gab es einmal eine Waschmittelwerbung, in der eine besorgte Hausfrau mit Kittelschürze kritisch die frisch gewaschene Wäsche musterte. Während die Hausfrau mit allen Zeichen wachsender Verzweiflung die erkennbar nicht wirklich gesäuberte Wäsche ansah, löste sich aus ihren Konturen ein Schatten ihrer selbst und trat der Verzweifelten als das inkarnierte schlechte Gewissen zur Seite. Das schlechte Gewissen redete dann auf die arme Hausfrau ein, empfahl ihr ein bestimmtes Vollwaschmittel und verschwand dann wieder in den Konturen der so belehrten Frau. In einem letzten Bild sah man eine fröhliche Hausfrau und die vom genannten Vollwaschmittel durchgreifend saubere Wäsche.

Abgesehen davon, dass dieser Werbefilmstreifen schon aufgrund seines Frauenbildes eher ins letzte Jahrhundert verweist – wirklich verstehen kann man ihn natürlich nur in einer Kultur, in der das Gewissen eine so prominente Stellung hat wie hierzulande. Gelegentlich werden die Bilder eines solchen Werbefilms auch als Bildgeschichte in einem Printmedium veröffentlicht; dann steht links die immer noch dreckige, rechts aber die wunderbarerweise durchgreifend gesäuberte Wäsche. Diese Reihenfolge von häuslicher Katastrophe und Errettung entspricht unserer Leserichtung von links nach rechts.

Ganz anders geht es insbesondere in fernöstlichen Kulturen zu, in denen man von rechts nach links liest – der Bildstreifen der Waschmittelwerbung würde dort ziemlich lächerlich wirken, da gesäuberte Wäsche in umgekehrter Leserichtung plötzlich nachhaltig schmutzig würde. Ein Waschmittel könnte so eher nicht verkauft werden. Bilder sind Ausdruck einer bestimmten Kultur, sie lassen sich nicht einfach von einer Kultur in eine andere transportieren ohne dass es zu Veränderungen beim Blick der Betrachtenden kommt. Und gelegentlich eben sogar auch zu grotesken Missverständnissen einer ursprünglich intendierten Bildaussage. Die Leserichtung oder auch die Perspektive sind ein vorzüglicher Indikator für eine solche Bildkultur; wir empfinden antike oder mittelalterliche Bilder, die nicht die in der Renaissance entwickelte Zentralperspektive aufweisen, als unbeholfen und archaisch. Aber ein mittelalterlicher Betrachter würde vermutlich unsere zentralperspektivisch konstruierten Bilder als gekünstelt empfinden, vielleicht auch als bequeme egalitäre Komposition, in der Wichtiges gar nicht als wichtig hervorgehoben wird: In den allermeisten mittelalterlichen Altarbildern sind die Stifter deutlich kleiner dargestellt als die Heiligen, weil man zwar auf seine Stiftung stolz war, aber eben auch Demut zeigen wollte.

Dialog der Disziplinen wichtig

Vergleichende Analysen von unterschiedlichen Bildkulturen existieren bislang kaum, weil die klassische Kunstgeschichte wie auch die reformierte Bildwissenschaft zunächst gern regional gedacht haben: Da gibt es die Expertin für die Bildgeschichte des zentraleuropäischen mittelalterlichen Raumes, die niemals im Leben ein Wort mit dem Professor für japanische Kunstgeschichte gewechselt hat, zumal der in einem anderen Institut sitzt. Erst langsam formiert sich eine globale oder jedenfalls globalere Bildwissenschaft, die kulturvergleichend Bilder analysiert.

Dabei fällt dann schnell auf, dass es natürlich immer schon merkwürdige Hybridbildungen zwischen unterschiedlichen Bildkulturen gegeben hat und solche Hybridisierung kein Phänomen einer globalisierten Massenkultur ist. Das mittelalterliche Pendant zur Cola-Werbung in Hongkong sind die manichäischen Wandfresken der Oase Turfan an der chinesischen Seidenstraße, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts von den Berliner Museen ausgegraben worden sind, sich gegenwärtig im Museum für Indische Kunst in Dahlem befinden und mit diesem Museum in das Humboldt-Forum auf dem Schlossplatz in Mitte umziehen werden.

Auf diesen Fresken sieht man nämlich Uiguren, Angehörige eines bis heute existierenden turksprachigen Volksstamms im chinesischen autonomen Gebiet Xinjiang, aber die Ikonographie, in der sie portraitiert sind, stammt aus einer synkretistischen, gnostischen Religion der Antike, dem Manichäismus. Mani war ein aus Persien stammender Religionsstifter des dritten Jahrhunderts, der Elemente jüdisch-christlicher, zoroastrischer und buddhistischer Religion kombinierte. Als vom achten bis zum zehnten Jahrhundert der Manichäismus, dem auch zeitweilig der nordafrikanische Theologe Augustinus von Hippo zuneigte, im uigurischen Reich zur Staatsreligion erhoben wurde, kaum es zu interessanten Interferenzen zweier unterschiedlicher Bildkulturen.

Solche Wechselverhältnisse hat in den vergangenen Jahren eine Interdisziplinäre Arbeitsgruppe an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften untersucht. Sie hat dabei festgestellt, dass die vermeintlichen identitätsbildenden Merkmale einer bestimmten Bildkultur längst nicht so unverrückbar alle Bilder einer Kultur prägen, wie wir gewöhnlich meinen. So zeigt sich schnell, dass die großen Ikonen der Zentralperspektive aus der Frühen Neuzeit – etwa die berühmte Darstellung der Dreifaltigkeit von Masaccio in der Florentiner Kirche Santa Maria Novella (1425-1428) – überhaupt keine quasi photographische Zentralperspektive bieten. Vielmehr kombiniert der Maler des berühmter Florentiner Freskos in ein und demselben Bild sehr unterschiedliche Perspektiven, eine massive Untersicht und eine Aufsicht: Dargestellt ist nicht einfach, was in einem schlicht positivistischen Sinne zu sehen ist, sondern was der Maler gesehen haben möchte und in kühner Konstruktion darstellt. Das gilt für die meisten der Ikonen der Zentralperspektive.

Wie die Wissenschaft der Kunst folgt

Wenn man aber – wie die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Akademie – auf diese Weise transkulturell die unterschiedlichen Bildkulturen studiert, wird nicht nur deutlich, dass es immer schon Interferenzen und Hybridisierungen gab. Deutlich wird auch, wie sehr Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft changieren. Das schlichte Modell, dass die Kunst bei den Bildern den Aufschlag macht und die Wissenschaft nachlaufend interpretiert, was der Künstler und die Künstlerin zuwege gebracht haben, trifft in den seltensten Fällen zu. Wohl hat – um nur ein Beispiel zu nennen – der spätmittelalterliche katholische Theologe und Philosoph Nikolaus von Kues einen bestimmten, bereits etablierten Typus von Christusbild genommen, um es philosophisch und theologisch zu interpretieren: Kues bezieht sich auf ein Christusbild, dessen Augen den Betrachter immer zu verfolgen scheinen, ganz gleich, wo er sich vor dem Bild aufstellt. Und dieses Bild eines „All-Sehenden“ interpretiert der Bischof von Brixen im Rahmen seiner spezifischen philosophischen Theologie.

In diesem Beispiel folgt sozusagen die Wissenschaft der Kunst und bedient sich der Ergebnisse künstlerischen Schaffens. Aber schon damals gab es natürlich auch ganz andere Beispiele des Verhältnisses von Kunst und Wissenschaft. Die Perspektivenlehre, die der Florentiner Maler Masaccio verwendete, war mathematisch begründet und wurde in wissenschaftlichen Traktaten auf höchstem Niveau entfaltet, die bis heute für Nichtmathematiker schwer zu lesen sind. In entsprechenden Bildern interferieren also eine mathematisch fundamentierte Wissenschaft und der freie künstlerische Einfall auf eine kaum sauber zu trennende Weise. In der Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum hängt das 1601 entstandene Bild „Amor als Sieger“ des römischen Malers Caravaggio und direkt daneben – nur durch eine Tür getrennt – ein Gegenbild von Giovanni Baglione aus dem Jahre 1602 unter dem Titel „Himmlischer und irdischer Amor“.

Um diese Bilder zu malen, brauchten beide Künstler nicht nur ein gerütteltes Maß an Wissen über die Attribute des Amor in der klassischen Literatur – so hält Caravaggios ziemlich lasziver Amor Pfeile in zwei verschiedenen Farben, wie es der antike römische Dichter Ovid erstmals bezeugt –, sondern setzten beide zeitgenössische theoretische Einsichten über die Liebe voraus. Bagliones himmlischer Amor trägt ganz züchtig eine Rüstung und dokumentiert also auf den ersten Blick die reine kirchliche Lehre – den Triumph der himmlischen, allein auf Gott gerichteten Liebe über niedere irdische Triebe. Aber bei näherem Vergleich der beiden Bilder zur Linken und zur Rechten der Tür in der Berliner Galerie kommt der Betrachter ins Grübeln. Nicht nur Caravaggio stellt offensive männliche Erotik dar, auch in Bagliones Bild streckt sich nicht nur der kleine irdische Amor dem himmlischen lasziv entgegen. Die Geste, in der sich der scheinbar keusche himmlische Amor über den irdischen beugt, wird man auch nicht als ganz unschuldig bezeichnen können. Wissenschaft grundierte immer schon künstlerisches Schaffen – und doch ist nahezu überall die Autonomie der Kunst zu beobachten, die festgefügte Theorien – wie die über die keusche, reine himmlische Liebe – aufbricht und mit unabhängigen Zwischentönen anreichert.

Die Trennung zwischen Lebenswissenschaften und Kunst schwindet

Heute sind diese Interferenzen zwischen Kunst und Wissenschaft vermutlich noch viel intensiver als sie es je in der bisherigen Bild- und Kunstgeschichte waren. Wenn mit höchst komplexen mathematischen Vorgängen im Berliner Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik ein menschlicher Schädel so präzise modelliert wird, dass Operateure der Charité ihre mikroskopischen Eingriffe über dieses Schädelbild steuern, dann steht man vor einer solchen wissenschaftlichen Spitzenleistung natürlich starr vor Staunen. Doch ist eine solche wissenschaftliche Spitzenleistung, einen Schädel so präzise zu modellieren, dass man mit Hilfe dieses Bildes mikroskopische Eingriffe durchführen kann, ohne eine künstlerische Dimension gar nicht zu denken.

Noch schlichter formuliert: Warum wird auf einer Wetterkarte ein Tiefdruckgebiet in der einen, ein Hochdruckgebiet in einer anderen Farbe eingefärbt? Und wer wählt eigentlich diese Farben nach welchen Rationalitäten aus? Natürlich sieht die DNA „in Wirklichkeit“ nicht so aus, wie Watson und Crick sie 1953 aus Stangen, Muffen und Klemmen bauten. Beiden Wissenschaftlern war die künstlerische Freiheit, mit der sie ihr Modell der Wirklichkeit bauten, durchaus bewusst. Inzwischen gibt es nicht mehr nur künstlerische Phantasien über Wissenschaft wie die herrlichen Pseudomaschinen, die Jean Tinguely so gern baute, sondern künstlerische Phantasien über genetisch veränderte oder gar neu konstruierte Lebewesen. Die strenge Trennung zwischen Lebenswissenschaften und Kunst verschwimmt immer mehr. Der britische Künstler Marc Quinn portraitierte den Medizinnobelpreisträger Sir John Sulston mit Hilfe von DNA-Fragmenten, die aus dessen Spermazellen extrahiert worden waren – Sulston spielte eine wichtige Rolle bei den Versuchen, das menschliche Genom zu sequenzieren und zu kartieren. Hier ist die Genetik vielleicht eher noch Dekor; kein Zweifel kann daran bestehen, dass in den nächsten Jahrzehnten vermehrt wissenschaftliche Konstruktionen der Molekularbiologie und Gentechnik als Repertoire künstlerischer Betätigung entdeckt und genutzt werden.

Wenn die Naturwissenschaftlerin als Künstlerin agiert

Wissenschaft und Kunst sind nicht dasselbe und werden es höchstwahrscheinlich auch nie werden. Aber ihre präzise Differenzierung fällt unter den Bedingungen der späten Neuzeit immer schwerer. Die Naturwissenschaftlerin, die am Computer ein Modell entwirft, agiert als Künstlerin – und natürlich wissen das auch die meisten Naturwissenschaftler und verwechseln ihre Modellkonstruktionen nicht mit „bloßer Wirklichkeit“. Der Künstler, der ein Bild schafft, braucht ein ausreichendes Maß an Wissenschaft, nicht nur um technisch zuwege zubringen, was er sich vorstellt, sondern um seinen Bildinhalt auszudrücken.

Das Jahresthema „ArteFakte“ der Akademie bot die Gelegenheit, die künstlerische Dimension aller Wissenschaft deutlicher in den Blick zu nehmen, aber auch die inzwischen beeindruckend tiefe Rezeption von Wissenschaft, insbesondere von Naturwissenschaft, durch Künstler zu dokumentieren.

Ganz neu sind natürlich auch die vielen neuen Einsichten, die durch das Jahresthema an der Akademie gewonnen werden konnten, nicht: In der christlichen Tradition galt der Mensch stets als ein Künstler, da er zum Ebenbild des Gottes geschaffen ist, der als uranfänglicher Künstler Welt und Mensch schuf. Die christliche Theologie hat aber immer auch auf die Gefahren hingewiesen, die drohen, wenn die schlechthinnige Freiheit und Autonomie künstlerischen Gestaltens in der Wissenschaft zu einem grenzenlosen Machtwahn und Gestaltungsrausch führen. Dieser mahnende Impuls wird heute in den Bereichen der Philosophie, die sich der Technikfolgenabschätzung und anderen benachbarten ethischen Problemen widmen, aufgegriffen und vertieft. Selbstverständlich ist es eine hohe künstlerische Herausforderung, die nahezu grenzenlosen Manipulationsmöglichkeiten zu nutzen, die zeitgenössische Technik und Wissenschaft eröffnen.

Aber es reicht vielleicht auch aus, diese neue Welt im Modus des Bildes zu entwerfen. Sie kann damit nämlich zur Abschreckung und Warnung genutzt werden. Auch eine ganz traditionelle Funktion des Bildes, das dieses mit der Wissenschaft teilt.

Der Autor ist Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie und Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin

Zur Startseite