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Wissenschaft: Weihnachten für Atheisten

Für Richard Dawkins und viele andere Freigeister ist es kein Widerspruch, Weihnachten zu feiern.

Menschen, die nicht an Gott glauben, sind keine verschwindend kleine Minderheit mehr. In Deutschland bezeichnet sich laut einer Emnid-Umfrage jeder Vierte als Atheist, ein weiteres Viertel der Deutschen ist unschlüssig, ob Gott existiert. Was aber machen Atheisten zu Weihnachten? Ein Blick auf die Feiergewohnheiten prominenter Ungläubiger zeigt, dass viele von ihnen kein Problem mit Weihnachten haben – solange sie nicht in die Kirche müssen. Sie eignen sich Weihnachten auf ihre Art an. Nicht als christliches, sondern als säkulares Fest, bei dem die Familie im Mittelpunkt steht.

Ein demonstrativ entspanntes Ver hältnis zu Weihnachten hat zum Beispiel Richard Dawkins, Vordenker des neuen Atheismus. Der Biologe, dessen Buch „Der Gotteswahn“ weltweites Aufsehen erregte, ist nicht nur ein bekennender Verehrer des frommen Kirchenmusikers Johann Sebastian Bach, sondern gab auch gegenüber der BBC zu, Weihnachts lieder zu singen und kein Problem mit christlichen Traditionen zu haben. Wenn die bedroht seien, dann nicht durch Atheisten, sondern allenfalls durch rivalisierende Religionen. „Viele meiner Freunde bezeichnen sich als jüdische Atheisten. Ich bekenne mich zu meinen christlichen Wurzeln, ich bin ein postchristlicher Atheist“, sagt Dawkins.

Sam Harris, Neurowissenschaftler, Buchautor („Das Ende des Glaubens“) und eine Art amerikanischer Dawkins, musste bei einem der letzten Weihnachtsfeste zugeben, einen Weihnachtsbaum zu Hause zu haben. Wenn auch eine eher klägliche und spärlich geschmückte Ausgabe. „Mit so einem Baum können sich sogar Atheisten anfreunden“, rechtfertigt er sich. „Alles, was wir an Weihnachten schätzen – Geschenke verteilen, den Feiertag mit der Familie begehen, den ganzen Kitsch drumherum – all das ist heute Teil einer säkularen Welt, genauso wie Thanksgiving oder Halloween.“

„Wir feiern so, wie unsere Kinder das gern haben, mit Adventskranz und Geschenken“, sagt Michael Schmidt-Salomon, Verfasser eines atheistischen Kinderbuchs („Wo bitte geht’s zu Gott?“) und Sprecher der humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung. „Weihnachten ist ohnehin nur Folklore – auch viele Christen glauben nicht mehr, dass an diesem Tag die vermeintliche Geburt ihres Erlösers stattfand.“

Weniger versöhnlich gestimmt ist der britische Journalist und Buchautor Christopher Hitchens („Der Herr ist kein Hirte“). Für ihn hat Weihnachten totalitäre Züge: „Ich komme mir vor, als würde ich in einem Ein-Parteien-Staat leben“, sagte er in einem Interview. Hitchens geht die Weihnachtsmusik ebenso auf die Nerven wie der Zwang zum Frohsein und das Zelebrieren der Jungfräulichkeit („Sie verdient es nicht, gefeiert zu werden“). Aber auch er muss zugeben, für seine Kinder einen Weihnachtsbaum gekauft zu haben. Allerdings einen aus Plastik, zum Wiederverwenden. Das Zusammenbauen mit seinen Kindern mache ihm Spaß, bekennt er.

Vielleicht enthält das Neue Testament ja auch eine Botschaft für Leute, die eher Anhänger der Evolutionstheorie statt der Schöpfungsgeschichte sind. Nicht ohne Grund ist die innige Beziehung zwischen Jesus und seiner Mutter Maria das vielleicht populärste, emotionalste Element des Christentums. Dahinter verbirgt sich auch eine evolutionsbiologische Erkenntnis: Jedes Lebewesen verdankt seine Existenz anderen Lebewesen – das heißt in erster Linie seinen Eltern. Das gilt ganz besonders für Homo sapiens: Ohne die innige, entbehrungsreiche und lang währende Fürsorge unserer Mütter, Urgroßmütter, Ururgroßmütter und so weiter bis zurück in frühe Epochen des Lebens würden wir nicht existieren. Die Krippe mit Maria und Josef ist dafür ein eindringliches Bild. Das ist eine Botschaft, mit der auch Biologen etwas anfangen können. Und vielleicht ein geheimes Motiv für den Evolutionsbiologen Richard Dawkins, Weihnachten zu feiern – auch ohne Religion.Hartmut Wewetzer

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