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Porträts der Autoren.

© Promo (2); David Ausserhofer (1)

Wissenschaftler als Politikberater: Wissen von Wünschen unterscheiden

Wissenschaftliche Politikberatung darf nicht parteiisch sein, schreiben die Volkswirtschaftler Gert G. Wagner und Co-Autor Peter Weingart in einem Gastbeitrag.

Wissenschaftliche Politikberatung ist immer wieder im Gespräch. Wozu ist sie gut – und ist sie wirklich hilfreich? Wir kommen klar zu der Schlussfolgerung: Mehr als ein ehrlicher Makler von meist unterschiedlichen Erkenntnissen können Wissenschaftler nicht sein. Würden sich alle auf diese Rolle beschränken, stünde es um den Einfluss der wissenschaftlichen Politikberatung besser als gegenwärtig.

Der Versuch von Wissenschaftlern, sich durch steile Thesen und nicht belastbare empirische Befunde in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen hat – außerhalb der Medienwelt, die Aufgeregtheiten naturgemäß liebt – so gut wie keinen Einfluss auf Entscheidungsträger. Man denke als Beispiele an Ökonomen, die seit Jahren erfolglos die Abschaffung des Euros predigen. Oder an Biologen und Mediziner, die ständig neue Lebensmittelrisiken entdecken, die im Alltag bislang belanglos sind.

Glyphosat krebserregend? Die einen sagen so, die anderen so

Wie ist etwa der Konflikt um die Frage, ob das Unkrautvernichtungsmittel „Glyphosat“ krebserregend ist, einzuschätzen? Die Weltgesundheitsorganisation WHO glaubt das; das Bundesinstitut für Risikobewertung bewertet das Mittel als unbedenklich.

Wissenschaftler als Berater der Politik sind nur durch ihr besonderes Wissen legitimiert. Aber selbst die Legitimation durch Wissen ist begrenzt, wenn nämlich das von ihm nachgefragte und präsentierte Wissen unsicher ist – was bei allen schwierigen Problemen nahezu immer der Fall ist. Man denke an das umstrittene Zwei-Grad-Ziel für die Klimaerwärmung. Hinzu kommt noch das Problem von Werturteilen, auf denen politische Ziele und Entscheidungen unvermeidbar beruhen. Wie stark soll beispielsweise die Progression sein, also die stärkere Besteuerung Gutverdienender?

Politikberater wollen eindeutig sein, wo es kein "richtig" gibt

Wissenschaftler sind nicht legitimiert, ihre Werturteile über die anderer zu stellen. Sie neigen aber dazu, ihren Rat so zu formulieren, dass dem Politiker nur eine als vernünftig erscheinende Entscheidungsmöglichkeit verbleibt. Dem liegt meist das Interesse an einem persönlichen politischen Einfluss zugrunde, gepaart mit der Überzeugung von der Richtigkeit des eigenen Wissens. Aber der Anspruch vieler wissenschaftlicher Politikberater, Entscheidungen technokratisch, also mittels vorgeblich gesicherter Erkenntnisse zu treffen, ist undemokratisch, insofern er die politische Legitimität der Entscheider missachtet. Das ist zum Beispiel bei allen Fragen der Sozialpolitik der Fall. Es gibt etwa kein wissenschaftlich „richtiges“ Rentenniveau.

Wissenschaftsorganisationen betreiben Lobbyismus

Wenn die Vertreter der großen Wissenschaftsorganisationen öffentlich für die Fortsetzung der Forschungsfinanzierung werben, ist das selbstverständlich Lobbying. Das ist ohne Zweifel legitim – aber keinesfalls wissenschaftsbasierte Beratung. Man denke an die derzeitigen Versuche, mehr Geld für die bemannte Raumfahrt mithilfe von bildreichen Zukunftsträumen lockerzumachen.

Aber selbst da, wo es sich nicht um eine solch offensichtliche Situation handelt, sondern etwa um die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Energiewende machbar ist, sind unparteiischer Rat und das Eintreten für ein bestimmtes Interesse nicht immer klar voneinander zu unterscheiden. Man denke an die vielen Windräder, die in die Landschaft gestellt werden oder „Pläne“, in der sonnenreichen Sahara Energiekollektoren aufzubauen. Transparenz, die Wissen von Wünschen unterscheidet, ist das Gebot.

In der EU und den USA herrscht mehr Transparenz

Und Transparenz hilft umso mehr, je besser Öffentlichkeit und Politik gelernt haben, die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Beratung und Interessenvertretung zu erkennen. Das ist etwa dann angezeigt, wenn Wissenschaftler im Stile von Lobbyisten für niedrigere Steuern oder mehr Investitionen werben.

Schaut man genauer hin, stellt man überrascht fest, dass der Prozess der Politikberatung in der Europäischen Union deutlich transparenter als in Deutschland ist, da es in Brüssel mehr Offenlegungsvorschriften gibt. Für viele politische Systeme, auch das der USA, ist regelgebundene Transparenz kein Problem, aber für die deutsche Politik gelegentlich schon.

Das hängt mit Traditionen der Verwaltungskultur, letztlich mit einem bestimmten Staatsverständnis, zusammen, das die Regierung privilegiert. Eine Rechtfertigung für Intransparenz kann dies jedoch nicht (mehr) sein, und mehr als ein ehrlicher Makler (wie der Amerikaner Roger Pielke die Rolle benennt) kann ein Wissenschaftler nicht sein. Er sollte also die verfügbaren wissenschaftlichen Evidenzen abgewogen präsentieren. Würden sich alle Wissenschaftler auf diese Rolle beschränken, stünde es – so behaupten wir – um den Einfluss der wissenschaftlichen Politikberatung besser als gegenwärtig.

Gert G. Wagner ist Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Peter Weingart ist Forschungsprofessor an der Stellenbosch University, Südafrika. Beide haben gemeinsam das Buch „Wissenschaftliche Politikberatung im Praxistest“ herausgegeben (Velbrück Wissenschaft, 2015; 252 Seiten, 29,90 Euro).

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