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Pluto

© dpa

Wissenschaftliche Durchbrüche 2015: Ferne Welten und Geheimgänge im Gehirn

Das Jahr 2015 brachte spektakuläre Bilder vom Pluto, die Genschere "Crispr" offenbarte seine wahre Macht, eine Impfung gegen Ebola bewährte sich – die Leser der Fachzeitschrift "Science" kürten nun die fünf Durchbrüche, die sie am meisten beeindruckt haben.

248 Erdenjahre dauert ein Jahr auf dem Zwergplaneten Pluto. Vor diesem Hintergrund darf man ein wenig lächeln über die Wahl der Leser des Fachblatts „Science“, die den Vorbeiflug der Sonde „New Horizons“ an dem Himmelskörper zum wissenschaftlichen „Durchbruch des Jahres“ kürten. Ein Votum, dem viele zustimmen dürften, denn die Bilder aus der eiskalten Welt am fernsten Punkt unseres Sonnensystems sind spektakulär. Gestochen scharfe Fotos von 3000 Meter hohen, von Stickstoff, Kohlenmonoxid-, Methan- und wohl auch Wassereis bedeckten Bergen, von Schluchten und ausgedehnten, glatten Eisebenen funkte die Sonde 4,9 Milliarden Kilometer zur Erde zurück. Auf den Bildern sind nur wenige Einschläge von Meteoriten zu finden, vermutlich haben besonders aktive geologische Prozesse ihre Spuren verwischt, wie riesige Gletscher. Tiefen Eindruck hat auch die Farbenpracht des kugelrunden Pluto gemacht – weiße Eisebenen, durch Kohlenstoffverbindungen wie Tholin rötlich gefärbte oder bläulich schimmernde Landschaften, über die mitunter feine, rätselhafte Dunstschleier ziehen.

Die Sonde „Dawn“ klärte derweil auf, wie mysteriöse Flecken auf Ceres entstanden, dem größten Objekt im Asteroidengürtel: durch Verdunstungsprozesse.

Schneller schnippeln

Mit faszinierenden Bildern können die Crispr-Genscheren, die 2015 für Schlagzeilen gesorgt haben, nicht aufwarten. Dennoch stufte die „Science“-Redaktion das neue Werkzeug der Genforscher, das neue Horizonte im Mikrokosmos des Zellkerns eröffnet, als den wichtigsten „Durchbruch des Jahres“ ein. Zwar war die 2012 entwickelte Technik gemeinsam mit anderen Methoden des „Genome editing“ schon 2012 und 2013 in den Top Ten. Doch 2015 sei das Jahr, in dem Crispr seine „wahre Macht“ gezeigt habe. Forscher können mithilfe der Crispr-Scheren Gene von Bakterien, Pflanzen oder Tieren binnen weniger Wochen statt Dutzender Monate verändern und so herausfinden, welche Funktion sie haben. Und praktisch jedes Molekularbiologielabor ist dazu in der Lage, so einfach, günstig und präzise ist die Technik. „Wir leben bereits in einer Crispr-Welt“, schreibt „Science“. Mit Crispr wurden an der Universität Harvard beispielsweise in einem einzigen Experiment 62 Virusgene aus dem Genom von Schweinezellen entfernt. Derart „gesäuberte“ Schweineorgane könnten in Zukunft Menschen transplantiert werden, die auf ein Ersatzorgan warten. Pflanzen können per Crispr ertragreicher oder widerstandsfähiger gemacht werden, Tieren mehr Muskelmasse oder Resistenzen gegen Infektionen ins Erbgut geschrieben werden.

Selbst eine Veränderung der Gene menschlicher Ei- und Samenzellen oder Embryonen ist technisch möglich. Ob solche Eingriffe in die menschliche Keimbahn verboten werden sollten, wurde Anfang Dezember auf dem internationalen „Gene-Editing-Gipfel“ in Washington diskutiert – nachdem chinesische Forscher bereits an nicht entwicklungsfähigen menschlichen Embryonen gezeigt hatten, dass solche Eingriffe prinzipiell möglich sind. Wenn auch nicht ohne Risiko.

Werden wir krank, weil der Abfluss verstopft ist?

Geheime Gänge im Gehirn

Im Gehirn kann das Immunsystem kaum etwas ausrichten. Denn ein lymphatisches System, das weiße Blutkörperchen und andere Abwehrzellen verteilt, gibt es dort nicht. Oder doch ? Was bisher jeder Anatom übersah, das hat Jonathan Kipnis’ Team von der Universität Virginia in den drei Hirnhautschichten entdeckt, die das Gehirn umhüllen. Er fand T-Zellen entlang nahe gelegener kleiner Gefäße – einer Verlängerung des Lymphsystems. Durch diese Geheimgänge hat das Immunsystem nicht nur Zugang zum Gehirn, das Gehirn entsorgt darüber auch seinen Müll. Im Schlaf ziehen sich Gliazellen etwas zusammen, wodurch sich die Kanäle für das Hirnwasser erweitern und die Giftstoffe weggespült werden. Über die Kanäle in den Hirnhäuten werden Müll und Immunzellen in Richtung Halslymphknoten gespült. Ist der Abfluss verstopft, könnte das zu Krankheiten wie Alzheimer führen.

Eine Impfung gegen Ebola

Es gab nicht viele positive Nachrichten im Zusammenhang mit der Ebola-Epidemie. Doch eines hat funktioniert: Forscher, Zulassungsbehörden, Industrie, Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen, Staaten und WHO rauften sich zusammen und trieben gemeinsam die Entwicklung eines Ebola-Impfstoffes voran. Sie erreichten in Monaten, was sonst Jahre dauert. Erstmals gelang der Nachweis, dass eine Ebola-Impfung Menschen vor dem Virus schützen kann – zu 100 Prozent. Das zeigen die Daten, die Forscher seit März in Guinea bei Ringimpfungen gesammelt haben. Ein vorläufiger, aber großartiger Erfolg. Die Impfung könnte ein zusätzliches Werkzeug sein, um künftig Ansteckungsketten schnell zu unterbrechen. Eine Tragödie wie in Westafrika, wo die Epidemie 28 640 Menschen krank gemacht und etwa 11 315 getötet hat, soll sich nicht wiederholen.

Die Kartenhäuser der Forschung

Außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Belege. Das sollte selbstverständlich sein, doch Fachjournale müssen 500 bis 600 Studien pro Jahr zurückziehen. Die Psychologen räumten nun als erste empirische Disziplin auf. Für das „Reproducibility Project“ schlossen sich 270 Forscher auf fünf Kontinenten zusammen und überprüften 100 Studien aus dem Jahr 2008. Ihr Ergebnis war ernüchternd: Auf nur 39 Prozent der Ergebnisse können wir uns verlassen – nicht wegen bewusster Manipulationen, sondern wegen der menschlichen Eingeschränktheit der Forscher oder falscher Anreize. Solche Überprüfungen und die Registrierung von geplanten Experimenten sollten Routine werden, fordern einige. Nicht nur in der Psychologie.

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