zum Hauptinhalt
Von der Petrischale bis zum Produkt. Die Max-Planck- und die Fraunhofer-Gesellschaft wollen selbstbestimmt in Forschungs- und Entwicklungsprojekten kooperieren.

© dapd

Wissenschaftssystem: Max-Planck und Fraunhofer wollen "kein Mastermind“

Die Präsidenten der Max-Planck- und der Fraunhofer-Gesellschaft wehren sich gegen die von der Helmholtz-Gemeinschaft angestrebten Führungsrolle. Die Stärke der deutschen Wissenschaft basiere auf Wettbewerb, Vielfalt und einer guten Finanzierung.

Die deutsche Wissenschaft steht vor großen Umbrüchen. Nur bis 2015 läuft der „Pakt für Forschung und Innovation“, der den außeruniversitären Forschungseinrichtungen über zehn Jahre lang finanzielle Zuwächse garantierte. Wie es dann weitergeht, ist ungewiss – zumal auch die Unis auf neue Bundeshilfen hoffen. Schon nach den Bundestagswahlen in einem Jahr werden die Eckpunkte für die neue Forschungspolitik festgelegt. Und schon im kommenden Frühjahr will der Wissenschaftsrat Empfehlungen zur gesamten deutschen Wissenschaftslandschaft abgeben. Die vier großen Forschungsorganisationen versuchen, sich rechtzeitig in eine gute Ausgangslage zu bringen. So hat Deutschlands größte Forschungsgemeinschaft, die zu 90 Prozent vom Bund finanzierte Helmholtz-Gemeinschaft, im September den Anspruch auf eine führende Rolle in der Wissenschaft erhoben (wir berichteten). Im Folgenden reagieren darauf Peter Gruss, der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, und Reimund Neugebauer, der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.
Deutschland ist derzeit gefragt. In der Wirtschafts- und Finanzkrise blicken viele europäische Nachbarn zu uns. Einer der bedeutenden Gründe für die gute Wirtschaftslage ist das Wissenschafts- und Innovationssystem. Rund zwölf Prozent des Welthandels für forschungsintensive Waren vereint die Bundesrepublik auf sich. Eine gute Bilanz, die sich auch daraus erklärt, dass Deutschland seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung gesteigert hat. Das hat das Wissenschafts- und Innovationssystem leistungsfähiger gemacht und ist die notwendige Bedingung für unseren Wohlstand.

Deutschland macht also ziemlich viel richtig. Umso mehr ließ uns die Lektüre des unlängst von der Helmholtz-Gemeinschaft publizierten Strategiepapiers einigermaßen verwundert zurück. Da wird eine Forschungsträgerorganisation zu einer Forschungsförderorganisation umfunktioniert, mit einer system-dominierenden Rolle ausgestattet und quasi zum Zentralorgan der deutschen Wissenschaft erhoben. Die Folgen werden aber nicht bedacht: Die Autonomie und Handlungsfähigkeit bislang erfolgreicher Akteure würde aufs Spiel gesetzt – und damit letztlich unsere internationale Spitzenstellung der Wissenschaft. Der Gedanke, der solche Entwürfe trägt, scheint die Angst vor Wettbewerb zu sein, gepaart mit organisatorischem Machtstreben.

Dabei ist klar: Ein System umzubauen, ist kein Wert an sich. Es geht darum, erwiesene Defizite im Wissenschaftssystem gezielt zu beheben. Zugleich sollten wir sorgsam auf unsere Stärken achten und Erfolgreiches ausbauen. Deshalb geht die Vorstellung eines Masterminds, das die autonomen Wissenschaftsakteure anordnet, steuert oder gar verschmilzt, vollständig in die Irre.

Das heißt nicht, dass Veränderungen im Wissenschaftssystem entbehrlich sind. Im Gegenteil: Die derzeit geführte Systemdebatte hat ihre volle Berechtigung, da wir vor großen Unsicherheiten stehen. Dies betrifft vor allem die Hochschulen, das Herzstück des deutschen Wissenschaftssystems. Die Exzellenzinitiative, die nicht nur zur universitären Profilbildung, sondern in einem historisch einmaligen Prozess zur Selbstvergewisserung der Hochschulen beiträgt, läuft 2017 aus. Erstmals wurde mit dem Dogma gebrochen, alle Hochschulen müssten gleich sein und gleich bleiben. Die Identifikation von Stärken und das Stellen strategischer Weichen hat eine wohltuende Dynamik für das gesamte Wissenschaftssystem entfacht. Ein Weg, den gewonnenen Schwung zu erhalten, ist sicher die Änderung des Grundgesetzartikels 91b. Sie würde es dem Bund erlauben, sich dauerhaft an der Förderung von universitären Einrichtungen der Spitzenforschung zu beteiligen. Unabhängig davon bedarf es einer ausreichenden Grundfinanzierung, und hier werden die Länder trotz knapper Kassen in der Pflicht bleiben

Die Debatte über die Zukunft des Wissenschaftssystems darf sich aber nicht zu sehr auf solche verfassungsrechtlichen oder förderpolitischen Einzelaspekte beschränken. Sie muss in den Blick nehmen, was die Wissenschaft braucht, um Spitzenleistungen im internationalen Maßstab erbringen zu können. Und da gibt es abseits der Finanzierung zentrale Bedingungen: Die Stärke des deutschen Wissenschaftssystems liegt in seiner Vielfalt an autonomen, handlungsfähigen und profilstarken Akteuren. Diese Akteure müssen eine sichtbare Identität und eine klare Mission besitzen. Die Max-Planck-Gesellschaft organisiert konsequent wissenschaftsgetriebene Grundlagenforschung mit den weltweit besten Forschern ihres Fachs, macht Durchbruchsinnovationen möglich, die mittelfristig ganz neue Technologien befördern. Während das der Beginn der Innovationskette ist, übernimmt die Fraunhofer-Gesellschaft am anderen Ende und in komplementärer Ergänzung vor allem die Rolle des Mittlers und betreibt im engen Schulterschluss mit der Wirtschaft anwendungsorientierte Forschung. Während der eine bei den einflussreichen Publikationen ganz vorn liegt, ist der andere eine Patentschmiede.

"Wo Zusammenarbeit lohnt, kann die Wissenschaft selbst abschätzen"

Starke Marken sind nötig – gerade wenn es um die internationale Konkurrenzfähigkeit geht. Wissenschaft ist auch Wettbewerb um die besten Kooperationen. Und wer an internationalen Top-Kooperationen beteiligt ist, liefert auch einen entscheidenden wissenschaftlichen Mehrwert für Deutschland. Indem Spitzen-Know-how ins Land geholt wird, profitieren nationale Akteure des Wissenschaftssystems.

Doch Kooperationen kosten Zeit, Geld und Ressourcen – sie müssen sich also lohnen. Wenn der wissenschaftliche Mehrwert, den eine Kooperation erbringt, diese Kosten nicht rechtfertigt, dann ist sie ein Minusgeschäft. Einen Exzellenz-Automatismus gibt es nicht.

Wo sich eine Zusammenarbeit lohnt, das kann am sichersten die Wissenschaft selbst abschätzen. So wie bei dem Projekt, in dem das Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik, die Universität Stuttgart und die beiden Max-Planck-Institute für Intelligente Systeme und Polymerforschung gemeinsam ergründen, wie aus körpereigenen Stammzellen Knochen- und Knorpelgewebe wachsen kann. Die Forscher haben sich zusammengetan, weil sie sich inhaltlich ergänzen und Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung hier ineinandergreifen. Schließlich geht es darum, von Versuchsreihen in der Petrischale bis hin zum fertigen Produkt zu denken. Im Blick haben die Forscher dabei einen ganz konkreten Nutzen: Mit der älter werdenden Bevölkerung wird auch der Bedarf an Gewebe-Implantaten zunehmen, etwa für den Gelenkersatz.

Besonders erfolgreich sind Fraunhofer- und MPG-Kooperationen, wenn sie regionale Wissenschaftsnetzwerke mit Partnern aus Universitäten und Wirtschaft nutzen, wie sie Exzellenzinitiative und der Pakt für Forschung und Innovation hervorgebracht haben.

Was heißt all das für die Zukunft des Wissenschaftssystems? Um angesichts des sich verschärfenden globalen Innovationswettbewerbs weiter vorne dabei zu sein, müssen die Akteure im deutschen System auch künftig die Kraft haben, basierend auf ihren Missionen ihre Profile weiter zu schärfen. Es braucht weiterhin eine sichere und ausreichende Finanzierung, um im Wettbewerb bestehen zu können. Das ist der Grund, warum wir eine Fortsetzung des Pakts für Forschung und Innovation nach 2015 fordern, also verlässliche, mehrjährige Mittelsteigerungen für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Und ganz wesentlich ist zudem, dass die Forschung ihre Freiheit behält. Es versteht sich von selbst, dass sich die Fraunhofer-Gesellschaft und die Max-Planck-Gesellschaft bei ihrem Erkenntnisinteresse an großen Zukunftsthemen orientieren. Aber man kann sie nicht zum starren Programm erklären.

Zur Startseite