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Wissen: Zeuge einer vergangenen Welt

Zum Tod des Publizisten Arno Lustiger.

Er war von einer mitreißenden Lebendigkeit, voller Mitteilungsdrang und Erzählfreude. In Arno Lustiger verkörperte sich noch einmal die Vitalität des untergegangenen und in alle Welt zerstreuten ostmitteleuropäischen Judentums. So wurde er, vor allem in seinen höheren Lebensjahren, zu einem überzeugenden und gesuchten Vermittler des jüdischen Schicksals in dem für sein Volk tragischen vergangenen Jahrhundert. Der Frankfurter Publizist schrieb wichtige Werke zu dessen Geschichte und war ein begehrter Redner zu vielen Gedenkanlässen.

In Deutschland war der am 7. Mai 1924 im polnischen Bedzin in Oberschlesien geborene Sohn eines Unternehmers nach dem Krieg eher zufällig hängen geblieben. Die Überreste seiner Familie gingen nach Frankreich und Israel, und es bildet eine staunenswerte Variante ihres Geschicks, dass sein früh zum Katholizismus übergetretener Cousin, Jean-Marie Lustiger, Erzbischof von Paris und Kardinal wurde.

Arno Lustigers publizistische Rolle und seine bewegende Zeugenschaft waren der Ertrag seines Überlebens, dem die Züge eines unfassbaren Grauens eingeprägt waren. Als junger Mann im jüdischen Widerstand aktiv, wurde er deportiert und überstand sechs Konzentrationslager, war schließlich auch noch Betroffener zweier Todesmärsche, bis ihm die Flucht gelang. Nach dem Krieg beteiligte er sich am Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in Frankfurt, betrieb einen Textilhandel und machte soweit Frieden mit seinem Schicksal, dass er – wie er einmal gesagt haben soll – die Schweizer Straße in Sachsenhausen als „mein Stetl“ ansah.

Erst spät wurde er zum Chronisten des Judentums im Zeitalter des Holocaust. Dabei sah Lustiger es als seine Aufgabe, ja, seine Mission an – wie Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland hervorhob – den jüdischen Widerstand und auch die Versuche zur Rettung der Juden dem Vergessen zu entreißen.

Das 500-Seiten-Buch „Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit“, im vergangenen Jahr erschienen, bildete die Summe dieser Anstrengungen. Noch später kam die Anerkennung für die Arbeit des Autodidakten: 2003 erhielt er den Ehrendoktor der Universität Potsdam, 2005 hielt er im Bundestag – zusammen mit Wolf Biermann – die Rede zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Unermüdlich aktiv auch im hohen Alter, war Arno Lustiger für den August als Redner beim Eröffnungskonzert „Gedächtnis Buchenwald“ des Weimarer Kunstfestes angekündigt. Am Dienstagabend ist er überraschend im Alter von 88 Jahren in Frankfurt gestorben. Rdh.

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