zum Hauptinhalt
Sie kommen. Zugvögel können mit Grippeviren infiziert sein. Oft haben die Tiere dennoch keine Symptome.

© picture alliance / ZB

Zugvögel: Blinde Passagiere auf dem Weg nach Westen

Die neue Vogelgrippe H7N9 kann sich aus Asien unbemerkt über Enten und andere Zugvögel verbreiten. Welche Wege die Erreger nehmen, versuchen Forscher mithilfe von Sendern an Vögeln aufzuklären.

Auf der Suche nach der Herkunft des neuen Vogelgrippevirus H7N9 haben die chinesischen Behörden bisher fast 90 000 Vögel getestet, etwa 40 waren infiziert, darunter eine wilde Taube. Keines der Tiere machte das Virus krank. Auch wenn sich die Vermutung bestätigt, dass das Virus auf den Geflügelmärkten im Osten Chinas entstanden ist, könnte es sich somit weitgehend unbemerkt unter Geflügel und Wildvögeln ausbreiten, warnte der Arzt Peter Horby, der eine Abteilung der Oxford-Universität in Hanoi leitet, im Fachjournal „Nature“. Die mehr als 100 Menschen, die sich bisher mit H7N9 angesteckt haben und meist schwer krank wurden, könnten ein Hinweis auf eine verbreitete Epidemie unter Tieren sein.

Selbst wenn das Virus nicht oder nur schwer von Mensch zu Mensch übertragbar sein sollte, könnte es als blinder Passagier von Wildvögeln bis nach Europa gelangen. Die Wege, die es dabei möglicherweise nimmt, sind weitgehend unbekannt. „Weil wir über Erkrankungen von Wildvögeln und die Zugrouten wenig wissen, können wir nur Vermutungen äußern“, sagt Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. Nur an manchen Stellen untermauern Forschungsergebnisse die Vermutungen mit exaktem Wissen.

In anderen Bereichen dominieren nach wie vor die Worte „vielleicht“ oder „möglicherweise“ das Gespräch. Ganz am Anfang könnte ein Bauer in China stehen. Vielleicht stibitzt er einer Streifengans Eier aus dem Nest und überlässt dem Geflügel auf seinem Hof das Ausbrüten, das somit zu Ersatzeltern wird. Da viele Kleinviehzüchter ihre Tiere nicht oder kaum füttern, suchen die Vögel auf den Feldern und Gewässern der Umgebung Fressbares. Dort treffen sie nicht nur andere Nutztiere wie Schweine, sondern auch ihre in der Natur lebende Verwandtschaft und andere Vogelarten. Bei solchen Begegnungen können auch Grippeviren übertragen werden, von den Wildtieren auf das Geflügel oder andersherum. „Neben der Ausbreitung über Tierzucht könnten Zugvögel eine Rolle spielen“, sagt Wikelski.

So wie bei dem gefährlichen Vogelgrippevirus H5N1, das chinesische Forscher bei Wildenten fanden. Zwischen 2005 und 2009 entdeckten es Forscher vom Friedrich-Löffler-Institut dann auch bei Wildvögeln im brandenburgischen Wusterhausen. „Insgesamt haben wir den Erreger in der Zeit in 647 tot gefundenen Wildvögeln nachgewiesen“, sagt der Tierseuchenforscher Franz Conraths vom Löffler-Institut. Damals untersuchten die Forscher auch einige tausend von Jägern geschossene Vögel. Zusätzlich lockten sie mithilfe zahmer Enten frei lebende Artgenossen in vier Fallen auf Seen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und dem Bodensee. Insgesamt konnten die Forscher so mehr als 10 000 lebende Wildvögel untersuchen und dann wieder freilassen. Nur ein einziges Mal fanden sie H5N1. Um diese Vogelgrippe bei Wildvögeln im Auge zu behalten, genügt es offensichtlich, tot gefundene Tiere zu untersuchen. Deshalb betreibt das Friedrich-Löffler-Institut nur noch eine solche Falle in Mecklenburg-Vorpommern. Tot gefundene Wildvögel dagegen werden genau wie das Geflügel weiter auf Erreger untersucht.

Allerdings infizieren sich viele Wildvögel mit anderen Grippeviren und können weitere Tiere anstecken, ohne selbst Krankheitssymptome zu haben. „Das ist eigentlich normal“, sagt Wikelski. Viren, die ihren Wirt möglichst wenig oder gar nicht krank machen, können sich am besten vermehren. Das gilt offensichtlich auch für das Vogelgrippevirus H7N9.

Um solche Viren genauer zu untersuchen, locken schwedische Forscher mithilfe von Stockenten und Futter Artgenossen in eine Falle. Immer wieder finden sie in gefangenen Zugvögeln Vogelgrippeviren. Martin Wikelski beteiligt sich an den Experimenten und versieht die Enten vor dem Freilassen mit kleinen Satellitensendern. Ihren Daten kann er später entnehmen, wohin die Tiere fliegen und wie sie sich verhalten. „Unterschiede zwischen infizierten und nicht infizierten Enten sind uns nicht aufgefallen“, sagt er. Demnach dürften die Tiere normal wandern und auf den Rastplätzen oder am Reiseziel andere anstecken. Die Erreger könnten so ihren Weg von Südostasien bis nach Mitteleuropa finden. Wie groß ein solches Risiko ist, ist schwer einzuschätzen, weil die Routen vieler Zugvögel kaum bekannt sind.

Erst als 2005 Streifengänse am Quinghai-See im zentralen Hochland von China an einer Infektion mit der gefährlichen Variante des H5N1-Virus verendeten, gab es eine Spur. Wikelski und seine Kollegen deckten mit Sendern die Reiserouten der Streifengänse auf. Von ihren Rastplätzen am Quinghai-See flogen die Tiere im Frühjahr in ihre Brutgebiete bis in den Süden Sibiriens und der Mongolei. Im Herbst ging es zum Überwintern bis nach Bangladesch oder nach Südindien. Dort treffen die Gänse auf überwinternde Störche. Diese wiederum fliegen möglicherweise bis in die Moskauer Gegend. Und Stockenten, die Wikelski am Bodensee mit Sendern ausgestattet hatte, flogen innerhalb einer Woche bis Petersburg.

Somit scheint ein Staffellauf von den Vogelgripperegionen Chinas über Südindien und Moskau bis nach Mitteleuropa möglich. Bei Weißstörchen haben Forscher schon Vogelgrippeinfektionen beobachtet. „Es ist aber möglich, dass andere Vögel ähnliche Routen fliegen“, sagt Wikelski. Beim Beobachten stoßen die Forscher an Grenzen. Um die Vögel nicht zu sehr zu belasten, sollte ein Sender leicht sein. Auch die leichtesten Satellitensender reichen nur für größere Vögel. Doch auch kleinere Vögel wie Finken können die Erreger verbreiten.

Solche Arten lassen sich ab 2015 über Satellitensender beobachten, wenn das Max-Planck-Institut für Ornithologie gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos eine spezielle Antenne an der Internationalen Raumstation ISS anbringen wird. In diesem Projekt lassen sich dann auch Leichtgewichte wie Finken beobachten.

Bis dahin setzt Wikelski ohne Kontakt mit Viren aufgezogene Stockenten in die Fallen seiner schwedischen Kollegen und beobachtet, ob die dort landenden Artgenossen Grippeviren mitbringen. Denn diese Art steht ebenfalls im Verdacht, die Vogelgrippe nach Europa zu tragen: Manche Stockenten überwintern im Süden Chinas, die Tiere legen ihre Eier in vielen Regionen der Nordhalbkugel. Um ein wenig Licht auf die Wanderungen der Stockenten zu werfen, will Martin Wikelski sie mit Sendern versehen. So lässt sich beobachten, ob sie Grippeviren nach Mitteleuropa tragen könnten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false