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Zukunft der Gesundheit: Annette Schavan: „Gesundheit erhalten“

Annette Schavan über die Notwendigkeit, bei den Volkskrankheiten schnellere Ergebnisse zu erzielen – und die Vorbeugung zu verbessern.

Es gab eine Zeit, in der die meisten Nobelpreisträger auch in der Medizin aus Deutschland kamen. Wie können wir wieder zur Weltspitze aufschließen?

Deutschland hat, auch durch intensive und gezielte Forschungsförderung, in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. In der medizinischen Grundlagenforschung und in der Medizintechnik gehören viele deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Weltspitze. So hat erst im Jahr 2008 mit Professor zur Hausen ein deutscher Forscher den Nobelpreis für Medizin bekommen. Was wir zum Wohle der Patientinnen und Patienten benötigen, ist der weitere Ausbau von Exzellenz in der patientennahen Forschung sowie die nachhaltige Verknüpfung von Grundlagenforschung und klinischer Forschung.

Wir haben viele Institute und Hochschulen, die sich mit Medizin und Gesundheit beschäftigen. Wozu dann noch die Nationalen Gesundheitsforschungszentren?

In Deutschland gibt es 36 medizinische Fakultäten und rund 90 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die sich mit Gesundheitsforschung beschäftigen. Die große Aufgabe besteht darin, diese Kräfte zu bündeln. Auch Forschung und Entwicklung in der Industrie ist noch zu oft abgekoppelt von der akademischen Forschung. In den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung werden erstmals alle wichtigen Akteure zusammengebracht. Die Patienten sollen möglichst schnell von Forschungsergebnissen profitieren. Mit den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung schaffen wir die Voraussetzungen, dass zukünftig bei Volkskrankheiten noch bessere Diagnoseverfahren und Behandlungsoptionen entwickelt werden und rasch zum Einsatz kommen können.

Wie kann die Medizin bezahlbar bleiben? Schon heute kostet die Behandlung mit neuen Krebsmedikamenten Zehntausende von Euros.

Ich setze hier große Hoffnungen in die Individualisierte Medizin: Es wird in Zukunft bei immer mehr Medikamenten möglich sein, auf Grund eines einfachen und günstigen Bluttests vorab zu wissen, ob ein bestimmter Patient das Medikament gut vertragen wird und ob es Wirkung zeigt. Dies ist nicht nur für die Patienten vorteilhaft, sondern kann auch zu einer finanziellen Entlastung führen.

Die Bundesregierung fördert die Erforschung des Erbguts. Wie kann diese dem Patienten nutzen?

Das Wissen über unser Erbgut ist eine essenzielle Grundlage für das Verständnis von Leben, dessen Entwicklung, aber auch von Krankheitsmechanismen. Die Kenntnis und Deutung der genetischen Information sind oft die Grundlage für neue Ansatzpunkte bei Präventionsmaßnahmen oder zur Entdeckung innovativer Diagnoseverfahren und Therapien. Die Einführung vieler neuer Medikamente war nur auf der Grundlage dieser Erkenntnisse möglich.

Es gibt kein perfektes Erbgut, jedes Genom enthält Webfehler. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Forschung alle Menschen für krank erklärt, zumindest aus genetischer Sicht?

Nein, denn zum einen haben viele Variationen im Erbgut keinerlei Auswirkung auf das Individuum und zum anderen sind die Volkskrankheiten nicht auf eine einzelne Genvariante zurückzuführen. Vielmehr handelt es sich um die Folgen vieler unterschiedlicher Faktoren, zu denen auch Umwelteinflüsse oder individuelles Verhalten zählen. Deshalb glaube ich viel eher, dass wir in Zukunft in der medizinischen Forschung den Blick nicht mehr nur auf Krankheiten richten, sondern viel stärker als bislang die Erhaltung der Gesundheit in den Blick nehmen werden. Deshalb liegt mir viel daran, die Möglichkeiten von Prävention zu erforschen.

Viele Menschen führen Krankheiten auf negative Einflüsse aus Umwelt und Ernährung zurück, also etwa auf Schadstoffe. Welchen Stellenwert hat die Erforschung dieser Ursachen für Ihr Ministerium?

Schon seit einigen Jahren wird intensiv der Zusammenhang von Umweltfaktoren und spezifischen Krankheitsbildern, beispielsweise Asthma oder entzündlichen. Darmerkrankungen untersucht. Andere Forschungsprojekte befassen sich mit den klinischen Aspekten der durch Umwelt und Ernährung verursachten Erkrankungen. Aber auch die sechs neuen Deutschen Zentren werden diese Gesichtspunkte in ihrer Forschung aufgreifen.

Was ist die größte Herausforderung für Gesundheitsforschung und Medizin?

Die wichtigste Aufgabe für die Zukunft ist, dass Ergebnisse und Erkenntnisse der Gesundheitsforschung so schnell wie möglich den Patientinnen und Patienten zugutekommen. Diese Aufgabe müssen wir erfüllen, ohne dabei die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens aus dem Auge zu verlieren – und das alles vor dem Hintergrund eines weiter steigenden Anteils älterer Menschen. Wir stellen uns dieser Herausforderung durch die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung und neue Förderschwerpunkte zur Individualisierung der Medizin, zu Prävention und Ernährung.

Das Gespräch führte Hartmut Wewetzer.

ANNETTE SCHAVAN ist seit 2005 Bundesministerin für Bildung und Forschung. Sie ist Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.

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