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Zukunft der Gesundheit: Jeder Mensch ist einzigartig – jeder Krebs auch

Feinmechanik statt Holzhammer – ausgefeilte molekulargenetische Untersuchungen sollen die Behandlung verbessern.

Chemotherapie und Bestrahlung: Neben der Chirurgie waren das jahrzehntelang die beiden einzigen Behandlungsoptionen, die die Medizin Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium anzubieten hatte. Je nach dem, um welchen Tumor es sich handelte, wurde mal diese, mal jene Chemotherapie gewählt. Mal wurden Medikamente und Bestrahlung kombiniert, mal nicht oder nicht sofort. Letztlich waren die Unterschiede aber marginal. Ob Lunge oder Brust, ob Gehirn oder Darm: Wo Zellen sich unkontrolliert vermehrten, schlugen Mediziner im Wissen um die fatalen Folgen der Krebserkrankung mit immer ähnlichen Waffen möglichst hart zu. „Der Lungenkrebs ist ein gutes Beispiel für die lange Stagnation in der Krebsmedizin“, betont Privatdozent Roman Thomas vom Kölner Max Planck-Institut. Im fortgeschrittenen Stadium überleben die Patienten ohne Behandlung im Durchschnitt etwa ein Jahr. „Mit unterschiedlichen klassischen Chemotherapien gewinnt der Patient einige Monate dazu. Daran hat sich über viele Jahre hinweg wenig geändert.“

Mittlerweile allerdings wandelt sich ausgerechnet der auch von vielen Krebsexperten lange Zeit als weitgehend aussichtslos eingestufte Lungenkrebs zu einer jener Krebserkrankungen, die den Weg in die Zukunft weisen. Die modernen Möglichkeiten der biomedizinischen Forschung erlauben Krebsforschern einen immer genaueren Einblick in das molekulare Räderwerk dieser Tumorerkrankung. Und dabei zeigen sich zum Teil ganz erhebliche Unterschiede zwischen Tumoren, die mit herkömmlichen Methoden nicht zu unterscheiden waren.

So haben etwa zehn bis 15 Prozent der Patienten mit Lungenkrebs eine genetische Veränderung in einem Rezeptor für einen ganz bestimmten Wachstumsfaktor, EGF genannt. „Diese Patienten sprechen exzellent auf eine Therapie an, die den EGF-Rezeptor blockiert“, so Thomas. Entsprechend behandelt leben die Patienten im Vergleich zur konventionellen Chemotherapie im Durchschnitt mehr als doppelt so lange.

Ähnlich massiv profitieren Lungenkrebspatienten mit einer anderen genetischen Besonderheit, der so genannten EML4-ALK-Fusion. Hier sind zwei Gene „zusammengewachsen“ und erzeugen ein Eiweiß, ein so genanntes Fusionsprotein, das es sonst nicht gibt und das das Krebswachstum fördert. Ähnlich wie der EGF-Rezeptor lässt sich auch dieses Eiweiß medikamentös blockieren. Die Folge: Der Tumor schrumpft. Von solchen ALK-Hemmstoffen, die derzeit kurz vor der Zulassung durch die Behörden stehen, profitieren ein bis zwei Prozent aller Patienten mit Lungenkrebs.

Die Herausforderung besteht jetzt darin, viele derartige Untergruppen zu finden, um irgendwann möglichst allen Patienten mit Lungenkrebs eine jeweils optimal angepasst Behandlung anbieten zu können. Thomas und seine Kollegen haben mittlerweile zusammen mit Forschern anderer Arbeitsgruppen zwei weitere genetische Veränderungen gefunden, die für die Lungenkrebstherapie relevant werden könnten. Die eine betrifft ein Gen mit dem Namen FGFR1, das bei unterschiedlichen Tumoren in unterschiedlich vielen Kopien vorliegt. „Krebszellen, bei denen das Gen in vier oder mehr Kopien vorliegt, können durch spezielle FGFR1-Hemmstoffe zum Absterben gebracht werden“, so Thomas. Dieser bisher experimentelle Ansatz wird jetzt in ersten klinischen Studien untersucht.

Die zweite genetische Veränderung, die die Kölner beschrieben haben, betrifft ein Gen mit dem Namen DDR2. Ist dieses Gen verändert, reagieren die Krebszellen auf das bei anderen Erkrankungen bereits zugelassene Medikament Dasatinib. Auch hier sollen jetzt erste klinische Studien starten. Das DDR2-Gen ist deswegen interessant, weil damit erstmals eine möglicherweise behandlungsrelevante Genveränderung beim Plattenepithelkarzinom der Lunge gefunden wurde: „Das ist der typische Lungenkrebs bei schweren Rauchern. Auch hier scheint es also möglich zu sein, die Behandlung anhand der Tumorgene gezielter zu gestalten“, betont Thomas.

Um eine stärker individualisierte Krebstherapie geht es auch Stefan Pfister, der sich am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg mit Hirntumoren bei Kindern auseinandersetzt. Zwar gibt es in Deutschland pro Jahr nur einige hundert Kinder mit Hirntumoren. Doch viele dieser Kinder sterben. Und die, die überleben, haben oft ein Leben lang mit den Folgen der Therapie zu kämpfen.

„Unser Ziel ist es, molekulargenetische Marker zu identifizieren, die uns helfen, zu entscheiden, wie intensiv wir ein Kind mit Hirntumor behandeln müssen“, so Pfister. Genauer unter die Lupe nehmen die Heidelberger derzeit den häufigsten bösartigen Hirntumor bei Kindern, das Medulloblastom. „Hier gibt es mindestens vier verschiedene Varianten, die sich erheblich unterscheiden, obwohl sie unter dem Mikroskop ganz ähnlich aussehen“, betont Pfister. Zwei interessante Marker haben bereits Einzug in die klinische Behandlung gehalten: Medulloblastome, bei denen der Biomarker Beta-Catenin im Zellkern nachweisbar ist, sind eher weniger aggressiv. Medulloblastome, bei denen das Gen c-Myc vervielfältigt ist, sind aggressiver. Umfangreiche genetische Analysen bei mehreren hundert Tumorproben im Rahmen des internationalen Krebsgenomprojekts sollen jetzt weitere derartige Merkmale aufspüren.

Parallel dazu startet demnächst eine europaweite Studie, in der die beiden genannten Biomarker erstmals in größerem Umfang genutzt werden, um die Behandlung der Kinder zu steuern. Viele Kinder werden dann weniger intensiv therapiert werden als bisher, einige aber auch intensiver. „Dieser Ansatz hatte bei Leukämieerkrankungen von Kindern bereits großen Erfolg. Das wollen wir jetzt auch für die Hirntumoren erreichen“, so Pfister.

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