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Drei Minuten. Mehr Zeit hatten die Forscher nicht, um ihre Arbeit vorzustellen. Den meisten gelang es, die wichtigsten Erkenntnisse knapp und verständlich darzustellen. In den Pausen diskutierten die Fachleute rege weiter – ohne Zeitlimit, aber mit Gewinn.

© Tobias Schwerdt

Zukunft der Medizin: Big Bio Theory

180 Sekunden, ein Vortrag: Beim Heidelberger „European Health Science Match“ trafen sich junge Spitzenforscher, um über ihre Arbeit zu berichten.

Kann man ein schwieriges wissenschaftlichen Thema in drei Minuten abhandeln? Noch dazu an einem Ort, an dem sonst Popkonzerte stattfinden? Man kann! Die fast 100 Redner des „European Health Science Match“ (EHSM), von Tagesspiegel-Verleger Sebastian Turner als „Superstars der Medizin“ gefeiert, boten ihrem Publikum in der „halle02“ auf dem Gelände des ehemaligen Heidelberger Güterbahnhofs fast eine Wissenschaftsshow: vielfältige Einblicke in neue Erkenntnisse, dazu medizinische und biotechnische Produktideen und Ansätze für den Kampf gegen Krankheiten.

Jeder Sprecher und jede Sprecherin war gezwungen, in 180 Sekunden das Wesentliche vorzustellen, eine Idee zum Leuchten zu bringen. Das gelang den meisten der überwiegend jungen, aber bereits profilierten Wissenschaftler aus Deutschland, vielen anderen europäischen Ländern sowie aus Israel überraschend gut und auf unterhaltsame Weise. Pointierte Vorträge wurden von den rund 600 Besuchern lautstark bejubelt und in der Pause lebhaft diskutiert. Veranstaltet wurde das „Science Match“ vom Tagesspiegel und dem Biotechnologie-Cluster Rhein-Neckar.

Krebs als Megathema

Das beherrschende Thema des Vortragsmarathons war Krebs. Das lag nicht nur daran, dass viele Referenten vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) stammten, das in Heidelberg ansässig ist. Die Krankheit ist die größte Herausforderung für die Medizin. Alle Versuche, sie mit großangelegten Forschungs- und Förderprogrammen zu bezwingen, sind bislang fehlgeschlagen. Und doch, bei dem Treffen wurde auch deutlich, wie es in kleinen Schritten voran geht.

Krebs ist vor allem eine genetische Krankheit, die Erbanlagen der Tumorzelle sind hochgradig verändert, mutiert. Das erklärt zu einem wesentlichen Teil das entfesselte und zerstörerische Wachstum der Geschwulstzellen. Inzwischen ist es möglich, ein umfassendes genetisches „Täterprofil“ des Krebses zu erzeugen, wie Gabriele Beer von der Firma Roche Diagnostics berichtete.

Selbst in einfachen Blutproben lässt sich das Erbgut von Krebszellen feststellen. Das Ziel ist eine auf den einzelnen Patienten und „seinen“ Tumor maßgeschneiderte Behandlung, über die Thorsten Zenz vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg informierte. Umgekehrt lässt sich auch bereits vor einer Chemotherapie feststellen, ob diese Erfolgsaussichten hat.

Comeback der Immuntherapie

Die größten Hoffnungen setzen Krebsmediziner auf die Immuntherapie. Nachdem sie lange Zeit ein Schattendasein gefristet hatte, mehren sich die Berichte über langfristige Heilungserfolge. Neue Medikamente wecken das körpereigene Immunsystem des Krebskranken auf, so dass es sich gegen den Tumor wendet. In der Umgebung einer Geschwulst finden sich häufig Anzeichen für eine Entzündung, also eine Aktivität des Immunsystems. Häufig aber hat es der Krebs geschafft, mit molekularen Signalen die Körperabwehr lahmzulegen, sagte Viktor Umansky vom DKFZ. Die Entzündung um den Tumor kann paradoxerweise ein geschwächtes Immunsystem bedeuten.

Abseits der ausgetretenen Pfade lassen sich aufregende Entdeckungen machen. Davon ist Ariel Munitz von der Universität Tel Aviv überzeugt. Er beschäftigt sich mit eosinophilen Granulozyten, weißen Blutkörperchen, die bei der Abwehr von Parasiten wichtig sind. Asthmakranken dagegen können die körpereigenen „Eosinophilen“ schaden.

Doch Munitz verfolgt eine andere Idee. Er hat die Immunzellen in der Umgebung von Darmkrebs gesichtet und sieht sie als unterschätzte „Underdogs“ bei der Krebsabwehr. Indiz dafür ist, dass Asthmapatienten bessere Überlebenschancen haben, wenn sie an Darmkrebs erkranken. Ihre hyperaktiven Eosinophilen weisen den Tumor in die Schranken, hofft Munitz.

Antikörper + Gift = Therapie

Zu den wichtigsten Waffen des Immunsystems gehören Antikörper, y-förmige Eiweißmoleküle, die sich an unliebsame Eindringlinge oder als feindlich erkannte Krebszellen heften. In vielfältigen Abwandlungen haben sie sich in den letzten Jahrzehnten in der Medizin etabliert und helfen etwa gegen Tumoren, Rheuma und chronische Darmentzündungen – eine Behandlung nach dem Vorbild der Natur. Auch in Heidelberg waren Antikörper ein wichtiges Thema. Eine Idee besteht darin, sie mit Giftstoffen zu koppeln. Der Antikörper ist imstande, das Ziel der Giftattacke, etwa eine Tumorzellen, zu „erschnüffeln“. Ist er am Ziel, kann das Gift seine Wirkung entfalten. Andreas Pahl von Heidelberg Pharma geht der Idee nach, das in Knollenblätterpilzen enthaltene Amanitin in der Krebsbehandlung einzusetzen – angeheftet an einen Antikörper, wie Pahl sagte.

Herzschwäche als neue Epidemie

Das Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben, ist dank besserer Vorbeugung und Behandlung in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Doch das Überleben hat seinen Preis, denn als Folge von Durchblutungsstörungen des Herzens kann sich eine Pumpschwäche entwickeln. Der Herzmuskel hat dann nicht mehr genügend Kraft, um ausreichend Blut in den Kreislauf zu drücken.

In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Patienten mit Herzmuskelschwäche verdreifacht, die Behandlungsmöglichkeiten sind begrenzt und jeder zweite stirbt innerhalb von fünf Jahren nach der Diagnose. Jeder fünfte erkrankt im Lauf seines Lebens an einer Herzschwäche. Mehrere Wissenschaftler widmeten sich beim EHSM dem brisanten Thema und stellten Therapieansätze vor.

Thomas Thum von der Medizinischen Hochschule Hannover konzentriert sich auf nicht kodierende Ribonukleinsäure (RNS). Diese Form von Erbsubstanz wird zwar von der Erbinformation DNS im Zellkern abgelesen, dient aber nicht als Bauanleitung für Proteine. Trotzdem kann sie eine Aufgabe haben, wie Thum herausfand. Er vermutet, dass ein langer nicht-kodierender RNS-Abschnitt namens „Chast“ eine entscheidende Rolle beim Entstehen einer Pumpschwäche des Herzmuskels spielt.

Anti-Information löscht Information

Um „Chast“ auszuschalten, kann man eine „Antisense“-Therapie einsetzen. Dabei wird ein zur RNS-Erbsequenz gegensinniges Molekül eingesetzt, das deren Information „auslöscht“. Zumindest in Mäusen hat sich dieser Ansatz als erfolgversprechend erwiesen. Bei den Tieren bildeten sich Symptome einer Herzmuskelerkrankung zurück.

Auf eine Gentherapie der Herzmuskelschwäche setzt Patrick Most von der Universität Heidelberg und dem Unternehmen Uniqure. Most hat entdeckt, dass Patienten mit einer Pumpschwäche einen Mangel an S100A1 haben. Dieses Protein soll dazu beitragen, dass der Herzmuskel gekräftigt wird und nicht übermäßig wächst. Zudem soll auch der Herzrhythmus stabilisiert werden.

Uniqure schleust die Bauanleitung für S100A1 mit Hilfe eines Virus in die Herzzellen. Das Gen wird dann in das Erbgut der Zelle eingebaut und kann dazu beitragen, dass ausreichend S100A1 gebildet wird. Zumindest im Tierversuch war die Gentherapie bereits erfolgreich. Entsprechend behandelte Schweine überlebten die ersten zwölf Monate nach dem Eingriff zu 90 Prozent. Nun muss sich die Behandlung beim Menschen bewähren.

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