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So könnte eine Tarnkappe funktionieren

© TSP/Reinheckel

Zukunft: Der Traum von der Tarnkappe

Ein Umhang, der unsichtbar macht, das ist der Stoff aus dem Mythen und Märchen gemacht sind. Physiker arbeiten an Materialien, die das können.

Die Formel für Unsichtbarkeit zeigt sich überraschend bunt. Auf dem Probenhalter im Karlsruher Institut für Technologie schillern kleine Stückchen eines Materials, mit dessen Hilfe Martin Wegener winzige Gegenstände verschwinden lassen will. „Inzwischen ist vieles möglich geworden, woran man vor ein paar Jahren noch nicht glaubte“, sagt der Physiker. Für einen kurzen Moment wirkt er, als könne er selbst diese rasante Entwicklung kaum fassen.

Seit jeher beflügeln Tarnkappen die menschliche Fantasie. Schon in der griechischen Mythologie kann Perseus so ungesehen fliehen, nachdem er die schlafende Medusa geköpft hat, in Richard Wagners Oper „Rheingold“ zwingt der machtbesessene Zwerg Alberich den Schmied Mime, ihm einen Tarnhelm zu machen. Und auch Zauberschüler Harry Potter hat für brenzlige Situationen einen Tarnumhang.

Doch Märchen haben in der Physik keinen Platz. Entsprechend schwer hatte es der deutsche Forscher Ulf Leonhardt, als er 2005 eine Arbeit darüber publizieren wollte, wie eine Tarnkappe in Wirklichkeit machbar sein könnte. Die angesehene amerikanische Wissenschaftszeitschrift „Science“ lehnte sie zunächst ab, ebenso das britische Konkurrenzblatt „Nature“. In zähen Verhandlungen mit einer renommierten Physikzeitschrift erfuhr Leonhardt, dass zwar ein wissenschaftlicher Gutachter begeistert war. Ein anderer jedoch lehnte sie mit dem Hinweis ab, dass er von einem laufenden Patentverfahren auf dem Gebiet wisse. „Das war ein klassischer Interessenkonflikt, ein Skandal bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift!“, sagt Leonhardt, der heute am Weizmann-Institut für Wissenschaften in Israel forscht.

Tatsächlich arbeitete eine Gruppe um den englischen Physiker John Pendry vom Imperial College in London ebenfalls an der Tarnkappenidee. Pendry hatte darüber Vorträge auf Geheimkonferenzen militärischer Geldgeber gehalten. Schließlich meldete sich der für Physik zuständige Redakteur von „Science“ reumütig bei Leonhardt und überredete ihn, seine Arbeit ein zweites Mal einzureichen. 2006 erschien sie in der Fachzeitschrift gleichzeitig mit einem Artikel von Pendrys Gruppe, die Initialzündung für ein ganz neues Forschungsgebiet.

Leonhardt hatte bereits in den frühen 1990er Jahren erste Ideen, wie Dinge unsichtbar gemacht werden könnten. Damals sollte er als Habilitand an der Universität Ulm eine Vorlesung über Allgemeine Relativitätstheorie halten. Einsteins Theorie beschreibt, wie Massen die Raumzeit krümmen. Die Folge: Auch das Licht nimmt krumme Wege, zum Beispiel um einen Stern herum. Doch nicht nur im All, auch in transparenten Materialien ist für Licht der krumme Weg oft der kürzeste. Deshalb bündeln es optische Linsen oder erscheint ein Strohhalm in Wasser abgeknickt, obwohl er es nicht ist.

Diese Ähnlichkeit brachte Leonhardt auf die Spur: Wenn ein Stern wie eine Linse wirken kann, müssten optische Elemente auch mit der Formelsprache der Allgemeinen Relativitätstheorie beschreibbar sein. Das ist die Kernidee der von ihm mitinitiierten „Transformationsoptik“: Man nehme Einsteins berühmte Feldgleichungen und baue sie zu einem Designwerkzeug für optische Anwendungen um. Einfach gesagt füttert man auf der einen Seite die Aufgabenstellung in diese Gleichungen hinein. Auf der anderen Seite kommt eine Art Rezept für das gewünschte Material heraus. Es beschreibt zum Beispiel die physikalischen Eigenschaften, die es grundsätzlich haben muss, um ein Objekt optisch verschwinden lassen zu können. Wie allerdings das Material selbst Atom für Atom aufgebaut sein muss, sagt das Rezept leider nicht. Die Lösung dieses Problems bleibt der Fantasie der Forscher überlassen.

Der optische Verschwindetrick, auf den die Forscher setzen, ist überraschend einfach. Das Tarnkappenmaterial muss die Lichtstrahlen um das versteckte Objekt möglichst ohne Störungen herumleiten: Das Objekt verschwindet in einer Art optischem „Loch“ im Raum. So einfach die Idee ist, so schwierig ist sie in echte Materialien umzusetzen. Ein Problem sind die Lichtverluste im Material. Nur wenn sie gering sind, funktioniert die Tarnung überzeugend. Sonst würde sich das Versteck durch eine gewisse Abdunklung verraten. Die subtilere zweite Herausforderung: Die Lichtstrahlen dürfen keinerlei Information über den Umweg um das Objekt in sich tragen. Das heißt, dass sie exakt gleichzeitig mit den ungestörten Lichtstrahlen am Ort des Betrachters eintreffen müssen. Sie müssen also in der Kurve um das Objekt herum schneller werden. Andernfalls wäre immer eine physikalische Methode denkbar, etwa in Form einer Spezialbrille, die diese versteckte Lichtverzögerung sichtbar macht und das Versteck enttarnt.

Das Rezept ist also klar, nun kommt die Fantasie der Materialforscher ins Spiel. Wegeners Karlsruher Gruppe forscht an einem Typ von viel versprechenden Tarnmaterialien, die „Metamaterialien“ heißen. Der Brite Pendry hat sie Ende der 1990er Jahre entdeckt. „Normale“ Materialien bestehen aus atomaren Grundbausteinen, die sich wiederholen. In allen Metallen zum Beispiel baut dieses Atomlego streng geordnete dreidimensionale Kristalle auf. Auch Metamaterialien bestehen aus solchen winzigen Legobausteinen. Allerdings müssen diese Bausteine ganz besondere Eigenschaften haben, um Licht verlustfrei und schnell genug um ein Versteck herumzuleiten. In der Physik heißen diese Bausteine auch Metaatome – allerdings bestehen sie jeweils aus vielen Atomen. Man kann sich diese künstlichen Materialien auch als räumliches Gewebe sehr feiner, gleichmäßiger Muster vorstellen. Sie können aus Metall sein, müssen aber nicht.

Dazu muss man sich wieder anschauen, was ein echter Tarnumhang leisten muss: Er muss in unserer optisch dünnen Luft funktionieren. Hier verdirbt allerdings die kleine Schwester der Allgemeinen Relativitätstheorie ein wenig das Spiel. Die Spezielle Relativitätstheorie setzt nämlich allen Naturvorgängen mit der Lichtgeschwindigkeit c, die auch in Luft gilt, ein absolutes Tempolimit. „Das gilt allerdings nur für seine Energie“, sagt Wegener. Da Lichtwellen ausgedehnte Gebilde sind, darf ihre Front durchaus schneller als c laufen. Diesen Spielraum nutzen die Metamaterialien aus, um Licht scheinbar schneller als c durch die Kurve um das Versteck herumzujagen.

Dazu müssen die Metaatome das Licht auf sehr spezielle Weise leiten. Licht besteht aus elektromagnetischen Wellen. Die Atome normaler Materie, etwa in Wasser oder Glas, wirken allein auf das elektrische Feld des Lichts. Die künstlichen Metaatome dagegen müssen den magnetischen Feldanteil des Lichts zusätzlich manipulieren, um die Tarnvorschrift zu erfüllen.

„Sie können sich das wie Elektromagneten aus der Schule vorstellen, die auf winzige Abmessungen geschrumpft sind“, sagt Wegener. Bei sichtbarem Licht müssen diese Metaatome wenige hundert Nanometer (Milliardstel Meter) klein sein. Das von Pendry erfundene „klassische“ Grundelement ist ein winziger Ring mit Schlitz. Inzwischen gibt es aber viele verschiedene Metaatome, die wie erwünscht wirken. Wegeners Team experimentiert zum Beispiel mit Helixstrukturen, sozusagen mikroskopischen Locken. Die Karlsruher stellen sie mit einem feinen Laserstrahl her, der diese Formen computergesteuert in ein lichtempfindliches Material schreibt. Durch Ätzen wird es danach zu einer Art Negativform, die zum Beispiel mit einem Metall wie Gold gefüllt werden kann. Danach ätzen die Karlsruher die Form weg und erhalten die Metallstruktur. Sie können aber auch Metamaterialien aus Kunststoff produzieren.

Wegeners Team hat so bereits „Tarnteppiche“ hergestellt, unter denen sich Objekte verstecken lassen. Allerdings sind sie noch winzig. Ein normaler Teppich würde so ein Versteck durch einen Buckel verraten. Der Tarnteppich erzeugt jedoch die Illusion, unschuldig glatt dazuliegen. Einen echten Tarnumhang für große Objekte oder gar einen Menschen sieht Wegener noch in weiter Ferne. Das hat mehrere Gründe. „Der Umhang müsste viel dicker als das Objekt sein“, sagt der Physiker, eine Art dickes Kissen, das Licht in sich aufnimmt und sanft im Bogen umleitet. Ein anderer Nachteil würde einen Harry Potter noch mehr behindern: Da das Licht von dem Umhang um den Menschen herumgeleitet würde, wäre es unter so einem Umhang stockfinster. Der Held könnte genauso wenig herausschauen wie Außenstehende ihn sehen würden. Zudem fehlt noch ein Metamaterial, das eine wirklich perfekte Verschwindetechnik in drei Dimensionen beherrscht. Zu den ungelösten Problemen gehören auch die hohen Lichtverluste in Metamaterialien, durch die sich eine Tarnkappe verraten würde.

Es gibt andere Ideen, die dem getarnten Harry sogar zum Durchblick verhelfen könnten. Leonhardt sieht die langfristige Lösung nicht in Metamaterialien, sondern in Altbekanntem: „Denken sie an Kalkspat.“ Solche Kristalle zeigen das Phänomen der Doppelbrechung. Legt man sie auf eine Zeitungsseite, erscheint die Schrift in zwei Bildern, die gegeneinander verschoben sind. Klebt man zwei solcher Kristalle geschickt zusammen, dann kann man damit die Zeitung ebenfalls in einen Tarnteppich verwandeln. „Legt man sie über einen Gegenstand und setzt die Kristalle darauf, so erscheint die Zeitung flach“, sagt Leonhardt. Der Gegenstand verrät sich also nicht mehr durch einen Buckel, wie bei Wegeners Tarnteppich. Leonhardt ist überzeugt davon, dass eher solche Materialien den Weg zur echten Tarnkappe weisen werden.

Die beiden Physiker fasziniert zudem an der Transformationsoptik, dass sie sich auch als Designwerkzeug für Schallwellen, Wasserwellen und sogar seismische Wellen eignet. Weil diese viel langwelliger und langsamer als Licht sind, lassen sich die gröberen Tarnstrukturen einfacher konstruieren. Trickreich geformte Küstenschutzbauten könnten zum Beispiel Hafenstädte für Tsunamiwellen „unsichtbar“ machen. Geforscht wird auch an einer Tarntechnik, die Hochhäuser vor Erdbebenwellen schützen kann. Außerdem gibt es die Idee, Solarzellen mit Tarntechnik effizienter zu machen. Solarzellen brauchen zwei elektrische Kontakte aus Metall, und einer muss auf ihrer Oberseite sitzen. Bei heutigen Zellen ist er als dünnes Gitter ausgeführt, das in seinen Lücken das Licht durchlässt. Wäre das Gitter für die Solarzelle unsichtbar, dann könnte sie noch mehr Sonnenlicht einfangen. Solche Anwendungen sind wohl eher realisierbar als ein echter Tarnumhang. Vielleicht hat das sein Gutes, denn zumindest in den Mythen verleiten sie ja doch meist zu Mord und Totschlag.

Roland Wengenmayr

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