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Ausgesperrt. Schon jetzt droht Studierenden die Zwangsexmatrikulation, wenn sie zu langsam sind. Ob es wirklich dazu kommt, hängt aber vom Institut ab. Mit der Novelle des Hochschulgesetzes könnte die Praxis um sich greifen, befürchten die Asten.

© K. Kleist-Heinrich

Zwangsexmatrikulationen: Aus der Uni geworfen

Studieren für immer? Das will Berlin verhindern und plant die Zwangsexmatrikulation für zu langsame Studierende. Kann dieses Instrument die Studienprobleme lösen?

Wie lange soll man studieren dürfen? Jeder so lange, wie er braucht, findet Erik Marquardt von der Berliner Landes-Asten-Konferenz. Sanktionen für Langsame und schließlich die „Zwangsexmatrikulation“, wie sie jetzt in der Novelle des Berliner Hochschulgesetzes verankert werden sollen, lehnen die Studierendenvertreter ab: „Wir befürchten, dass sich Willkür breit macht“, sagt Erik Marquardt. Die Studierenden würden wegen der Androhungen nicht mehr das studieren, was sie interessiert, sondern nur noch ihren Scheinen nachjagen. Marquardt hofft auf rege Beteiligung seiner Kommilitonen bei den für den heutigen Mittwoch anberaumten Vollversammlungen an den Universitäten. Dann könnte das Parlament vielleicht doch noch ein Einsehen haben. In wenigen Wochen wird es die Novelle behandeln.

Das neue Gesetz erlaubt den Hochschulen, Studierende, die die Regelstudienzeit überschreiten, zur Beratung bei einem Professor zu verpflichten. Dieser darf der Studentin oder dem Studenten Auflagen erteilen. Zum Beispiel im kommenden Semester an einer noch ausstehenden Prüfung teilzunehmen. Erscheint der Studierende gar nicht erst zur Beratung oder kommt der Auflage nicht nach, muss er damit rechnen, exmatrikuliert zu werden. Allerdings muss bei der Erteilung von Auflagen die persönliche Situation des Studierenden, wie Schwangerschaft oder Krankheit, berücksichtigt werden. Wie streng die Auflagen sind, entscheidet der beratende Professor.

Genau das stört Christine Ilgert. Die 23jährige Soziologiestudentin ist im dritten Semester und weiß schon jetzt, dass sie länger studieren wird, als eigentlich erlaubt ist: „Ich habe ein vierjähriges Kind, ich arbeite neben dem Studium und engagiere mich in der Hochschulpolitik. Einige Pflichtveranstaltungen finden abends statt, die kann ich wegen des Kindes nicht wahrnehmen. Sechs Semester sind unter diesen Umständen nicht machbar.“

Es kann als sicher gelten, dass ihr auf Grund ihrer Lebenssituation keine Zwangsexmatrikulation drohen würde, aber Ilgert findet die Regelung trotzdem nicht akzeptabel. Sie will sich für ihr Studientempo nicht vor einem Professor rechtfertigen müssen. Dass sie und die anderen „Langzeitstudierenden“ in der Beratung glaubhaft machen müssen, warum sie die Regelstudienzeit nicht einhalten, empfindet sie als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Zwar heißt es im Gesetzesentwurf, Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse dürften nicht ohne deren Einverständnis an Dritte weitergegeben werden. Das reicht der Studentin aber nicht: „Ich habe kein Interesse daran, dass mein Professor weiß, dass ich schwanger oder krank bin. Ich möchte auch nicht auf das Gutdünken des Professors angewiesen sein.“

Die Befürworter der Pflichtberatungen verstehen die Aufregung nicht. Wolfgang Albers von der Linken steht auf dem Standpunkt, es müsse Grenzen der studentischen Freiheit geben, das Studium koste die Gesellschaft schließlich viel Geld: „Der Studienplatz ist kein Privatbesitz.“ Auch FU-Präsident Peter-André Alt ist für den Passus. Schließlich bestätige das Gesetz nur eine schon vorhandene Praxis.

Das stimmt. Und stimmt wieder nicht. Schon das jetzt geltende Berliner Hochschulgesetz erlaubt den Hochschulen in der Tat, Satzungen zu beschließen und damit die „Zwangsexmatrikulation“ zu regeln. Doch bisher gehen die Hochschulen dabei höchst unterschiedlich vor. Pflichtberatungen gibt es fast immer, jedoch sind nicht an alle auch Auflagen geknüpft. Das sei auch vollkommen ausreichend, finden die Studierendenvertreter. Vor allem gebe es sowieso keine Chance fürs ewige Studium: „Prüfungen dürfen an den meisten Unis nur zwei Mal wiederholt werden, teilweise sogar in einer festgelegten Zeit“, sagt Marquard. „Dadurch ist man sowieso gezwungen schneller zu studieren.“

Die Asten befürchten, dass die schon jetzt erlaubte „Zwangsexmatrikulation“ mit der Novelle an den Hochschulen einen neuen Aufschwung bekommt. Aus den Hochschulleitungen heißt es hingegen, es werde sich eigentlich gar nichts ändern. Schließlich überlasse es die Novelle weiterhin den Hochschulen, ob sie Langzeitstudierenden die Exmatrikulation androhen.

Bei den Wirtschaftswissenschaftlern der Freien Universität geht es schon jetzt streng zu. Wer dort zwei Semester über der Regelstudienzeit liegt, erhält bei der Rückmeldung zum neunten Semester die Aufforderung, sich zu einer Beratungsstunde einzufinden. Dann heißt es beispielsweise, bis zum darauffolgenden Semester einen Schein zu machen. Der bloße Versuch reicht grundsätzlich nicht aus. Fällt der Studierende zwei oder drei Mal durch, kommt es zu einer Einzelfallentscheidung über Gehen oder Bleiben: „In den vergangenen zwei Jahren ist es bei uns jedoch nur zu zwei Exmatrikulationen gekommen“, heißt es aus dem Prüfungsbüro. Betroffen gewesen seien bisher nur Langzeitstudenten mit dem Ziel, einen Diplomabschluss zu erreichen. Aber auch Bachelorstudenten seien bereits zu Beratungen einbestellt worden.

Von wem die Studierenden sich beraten lassen, bleibt ihnen überlassen. Allerdings behält sich das Prüfungsamt vor, am Ende selber über die Exmatrikulation zu entscheiden: „Wenn wir sehen, dass ein Professor bei der Verteilung von Auflagen zu nett ist, liegt die Entscheidung über die Zukunft des Studierenden bei uns.“ Christine Ilgert hingegen fragt: „Wer langsam studieren möchte, soll das tun. Wen stört das?“

Zum Beispiel die Studienfachberater des Fachbereichs Psychologie der Humboldt-Universität. 100 Bewerber kommen hier auf einen Studienplatz, dennoch können pro Semester nur zwischen 90 und 100 Studierende angenommen werden. „Zehn von ihnen allerdings sind nur eingeschrieben und nehmen keine Veranstaltungen wahr“, sagt die Studienfachberaterin Eva Kischkel. Diese Studienplatzblockade wird nicht gerne gesehen. Daher geht hier die Zwangsberatung viel früher los als an anderen Instituten, deren Studiengänge keinen bundesweiten Numerus clausus haben: „Wer nach dem ersten Semester noch keinen Schein gemacht hat, wird zur Beratung einbestellt und bekommt die Auflage dies bis zum nächsten Semester nachzuholen.“ Oder es zumindest zu versuchen. Fällt man durch, kommt eine wird Einzelfallentscheidung getroffen, die die Hintergründe des Scheiterns erfragt. Bei gesundheitlichen Problemen oder Stress mit dem Nebenjob zeigt sich das Institut entspannt: „Wir wollen die Leute ja halten und durch das Studium bringen.“

„Das Instrument der Zwangsexmatrikulation ist ungeeignet, Studienprobleme zu lösen, denn die Studienbedingungen würden durch solche Zwangsmittel nicht verbessert“, findet hingegen Helmut Mehnert vom Servicezentrum für Lehrerausbildung an der TU, abweichend von der Meinung der Uni-Präsidenten. Beratung und Hilfe seien eine andere Sache als Druck.

So hat man an der Hochschule für Technik und Wirtschaft auch lange gedacht. Doch ab dem kommenden Wintersemester sollen die Beratungen für Langzeitstudierende nicht mehr wie bislang ohne Auflage enden. Und an dieser Entscheidung ist nicht mehr zu rütteln – ob die Novelle nun verabschiedet wird oder nicht, heißt es aus der Hochschule.

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