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Muss sich neu erfinden. Wolfgang Prosinger.

© Kai-Uwe Heinrich

Zeitung im Salon am 29. April: In der Rente, in der Krise

Nirgendwo wird so viel gelogen wie beim Thema Ruhestand, findet Wolfgang Prosinger. Der Tagesspiegel-Redakteur hat ein grundehrliches Buch über die Lebensphase nach der Arbeit geschrieben. Am 29. April stellt er es im Tagesspiegel-Salon vor und erklärt, warum es so schwer ist, sich im Alter neu zu erfinden.

Ein Mittwochvormittag im Supermarkt: Das ist für Thomas Hecker, gerade 65 geworden, eine ganz neue Erfahrung. Wohin man auch blickt – lauter Rentner! Sie stehen in Grüppchen herum und plaudern, sie streiten an der Kasse, wer zuerst dran ist, und da, an der Wursttheke: Da liest ein Mann vom Einkaufszettel ab und diktiert mit wichtiger Miene seiner Frau, was sie bei der Verkäuferin in Auftrag geben soll. Hecker staunt: Kann die Frau nicht allein sagen, dass sie zwei Scheiben Kochschinken möchte? Kann sie nicht, will sie nicht. Denn ihr Mann, im früheren Leben womöglich Abteilungsleiter und das Kommandieren gewöhnt, braucht eine Aufgabe!

Thomas Hecker und der Wursttheken-Kommandeur haben eines gemeinsam: Sie sind „In Rente“. So lautet der Titel des neuen Buches von Tagesspiegel-Redakteur Wolfgang Prosinger, der selbst vor kurzem die 65 überschritten hat. Prosinger hat sich die Kunstfigur Thomas Hecker ausgedacht, um seine Gedanken und Befürchtungen über die Rente und das Altern in Buchform zu bringen. Denn das Thema beschäftigt den ehemaligen Ressortleiter der Seite 3, der bereits ein Buch über Sterbehilfe geschrieben hat („Tanner geht. Ein Mann plant seinen Tod“), seit langem. Protagonist Thomas Hecker, ebenfalls Redakteur, wenn auch nicht beim Tagesspiegel, erlebt also stellvertretend, ernst und komisch, was viele Rentner durchmachen: den Gang zur Deutschen Rentenversicherung. Den Abschiedsumtrunk am Arbeitsplatz. Einen geselligen Abend mit Ex-Kollegen, ebenfalls Rentnern, die nur von früher erzählen. Die ersten Tage allein zu Hause, während die jüngere Ehefrau arbeiten geht. Sein Gefühl von Leere überdeckt Hecker mit ein paar Gläschen Alkohol, die bald zu ständigen Begleitern werden. Und die Ehefrau ist zunehmend irritiert darüber, dass der einst so wache Mann nichts mit sich anzufangen weiß und nicht mal im Haushalt eine echte Hilfe ist.

Mit der Arbeit fallen auch Sinn und Struktur weg

„Thomas Hecker und ich sind zu 60 Prozent identisch“, sagt Wolfgang Prosinger und holt wie zum Beweis seinen Rentenausweis aus der Hosentasche. Für ihn steht das schmucklose Papierchen für den „dreifachen Schock“, den viele Menschen zu Beginn der Rentenzeit erleben. „Wenn die Arbeit wegfällt, fallen auch Sinn, Struktur und Sozialkontakte weg. Hinzu kommt der finanzielle Schock – noch immer machen sich viele nicht klar, was für ein gravierender Einschnitt das ist.“ Auf Heckers Rentenbescheid stehen 1180 Euro, und damit gehört er noch zu den Privilegierten. „Drittens gibt es den ganz allgemeinen Altersschock. Du kannst dich nicht mehr über das Altern hinwegschwindeln“, grinst Prosinger. „Jetzt hat man’s amtlich: Du bist ein alter Sack.“ Also nur Nachteile? Hört man nicht dauernd von Rentnern, die ihren „Unruhestand“ – ein Unwort, wie Prosinger findet – in vollen Zügen genießen? „Sicher gibt es viele Leute, die mit Begeisterung in die Rente gehen oder nach einem harten Arbeitsleben froh sind, nie wieder arbeiten zu müssen“, gibt Prosinger zu. „Aber wenn man seine Arbeit geliebt hat, ist es ein Einschnitt, mit dem man erst mal fertig werden muss. Es ist kein Zufall, dass 30 Prozent der Männer nach Rentenbeginn erkranken.“ Frauen kämen mit der Umstellung oft besser zurecht.

Viele Ratgeberbücher kleistern die Probleme zu

Die üblichen Ratgeberbücher seien beim Übergang in die neue Lebensphase keine große Hilfe. „Da werden die Probleme zugekleistert und schöngeredet, nach dem Motto ,jetzt beginnt die schönste Zeit Ihres Lebens’. Ich fühle mich davon nicht ernst genommen.“ Eine der Figuren in seinem Buch drückt es so aus: „Kaum irgendwo anders wird so viel gelogen wie beim Thema Ruhestand.“ Wolfgang Prosinger selbst hat übrigens noch Aufschub bekommen: Zum Wohlgefallen der Chefredaktion arbeitet er weiter beim Tagesspiegel. Thomas Hecker, die Kunstfigur, hat diese Möglichkeit nicht. Aber es gelingt ihm, mithilfe von Ehefrau und Tochter, sich neu zu erfinden.

Zeitung im Salon mit Wolfgang Prosinger am 29. April, Beginn 19 Uhr, Eintritt inkl. Sekt, Zwei-Gang-Menü und Live-Piano mit Kim Eustice 20 Euro. Anmeldung hier oder unter Tel. 29021-560.

BUCHVERLOSUNG Wir verlosen Exemplare: Schicken Sie bis zum 23. März eine Mail an veranstaltungen@tagesspiegel.de oder eine Karte an Der Tagesspiegel, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin, Stichwort: Rente.

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