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Christian Lindner im Interview: "Ich bin überzeugter Liberaler"

Der FDP geht es nicht gut. Generalsekretär Christian Lindner spricht mit dem Tagesspiegel über Trojaner und Piraten, Risiko und Haftung in der Schuldenkrise – und den Segen erzwungener Mitgliederbefragungen.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Lutz Haverkamp

Herr Lindner, wären Sie gern ein Pirat?

Ich bin überzeugter Liberaler. Die Piratenpartei ist ein interessantes Phänomen, das sich schnell verflüchtigen könnte, wenn man es besser kennt. Es gibt ein paar Berührungspunkte mit der FDP. Aber hinter Haltungen stehen bei den Piraten keine Konzepte. Und beim Umgang mit Steuergeld machen die Piraten ihrem Namen ja so viel Ehre, dass sogar Gregor Gysi daneben wirkt wie ein Sparkommissar.

Die Piraten liegen in Umfrage bei neun Prozent, die FDP bei drei. Was machen die Piraten richtig?

Die FDP ist eine traditionsreiche Partei, die immer wieder schwierige Phasen hatte. Die Piraten sind neu und haben den Reiz des Unkonventionellen. Warten wir mal ab, wie lange das noch anhält.

Die Piraten sagen, Ihre Partei regiere in Bayern und im Bund mit, habe also eine Mitverantwortung, wenn mit verfassungswidrigen Staatstrojanern in der Privatsphäre der Bürger geschnüffelt wird. Hätte die FDP genauer hinsehen müssen?

Da schießen die Piraten übers Ziel hinaus. Die Sicherheitsbehörden müssen bei begründetem Verdacht auch Kommunikation im Internet überwachen können. Liberale achten darauf, dass der Rechtsstaat dabei niemals den ganz persönlichen Lebensbereich verletzt. Der Zweck heiligt ausdrücklich nicht alle Mittel. Deshalb haben uns die aktuellen Fälle alarmiert. Es ist eine Software eingesetzt worden, die mehr kann als sie darf. Das muss aufgeklärt werden. Danach wird möglicherweise über neue gesetzliche Grundlagen gesprochen werden, die für Behörden klarstellen, was gestattet ist und was nicht.

Warum wird diese komplizierte und missbrauchsanfällige Trojaner-Software nicht verboten?

Die konkrete Software ist tatsächlich problematisch. Die arbeitet wie eine Hausdurchsuchung, bei der die Polizei danach die Wohnungstüre für alle offen lässt, damit man sich bedienen oder gefälschte Beweise hinterlegen kann. Was zudem nicht geht, das ist das Fotografieren von Bildschirmen oder das Scannen von persönlichsten Daten auf Computern. Eine Software, die da nicht scharf abgrenzen kann, darf es nicht geben. Ob solche Trojaner überhaupt erforderlich sind, ist fraglich. Bei Telefonaten über den Dienst Skype gibt es bessere Wege. In jedem Fall könnten zukünftig unabhängige Stellen die Rechtmäßigkeit prüfen – ein Grundgesetz-TÜV für solche Software.

Zu den Erfolgsgeheimnissen der Piratenpartei wird auch deren Transparenz gezählt. In Ihrer Partei haben jetzt die Mitglieder einen Mitgliederentscheid zum Euro erzwungen. Fühlen Sie sich bedroht?

Ich sehe im Gegenteil eine Chance. Dass wir das Instrument eines Mitgliederentscheids haben, ist für andere Parteien ein Vorbild. Weil das Grundgesetz Bürgerbefragungen nicht zulässt, sollten die Parteien ihre Mitglieder bei grundlegenden Entscheidungen beteiligen. Ich rufe deshalb alle Parteien auf, ihre Mitglieder zu diesem wichtigen Thema zu befragen. Ich fände spannend zu sehen, ob wirklich alle Grünen und Sozialdemokraten europäische Gemeinschaftsschulden wollen.

Sollte das Grundgesetz plebiszitäre Elemente in Fragen der Zukunft Europas zulassen?

Bei allen politischen Fragen: Ja. Die Bürger sind informierter als früher, und ein Rückfall in Zeiten der Weimarer Republik ist in unserer gereiften Demokratie nicht zu befürchten. Die Zeit ist reif für mehr direkte Demokratie. FDP-Programme sind traditionell progressiv bei Volksentscheiden. Ich persönlich bin zurückhaltender. Ich ziehe die Befragung des Volkes der Volksgesetzgebung vor, weil das Instrument besser zum Föderalismus passt und dem Parlament Raum für die konkrete Umsetzung lässt.

Fürchten Sie nicht, dass die populären Thesen von Frank Schäffler in der FDP verfangen und Sie die Basis einfach wegpustet?

In der FDP fürchtet keine Seite die Diskussion. Wir werden zu unseren Veranstaltungen deshalb auch Bürgerinnen und Bürger einladen, mit uns über Europa zu diskutieren. Ich sehe die Gelegenheit, unsere Stärken wieder hervorzuheben: faire Diskussion, Wirtschaftskompetenz und europäische Tradition.

Wie sich die FDP künftig in der Euro-Krise postioniert, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Die Antragsteller argumentieren streng liberal und lehnen eine Schuldenunion, die sie in einem dauerhaften Rettungsschirm sehen, ab. Was setzen Sie dem entgegen?

Eine streng liberale Position, die auch in der Praxis funktioniert. In der Analyse teile ich ja viele von Franks Thesen. Wir alle sagen, dass der Steuerzahler für private Verluste nicht aufkommen darf, dass unter Rot-Grün der Stabilitätspakt aufgeweicht wurde und dass eine Umschuldung Griechenlands wohl unvermeidlich ist. Wir wollen wieder klare Regeln für Währungsstabilität, Verschuldung und die Unabhängigkeit der Notenbanken. Frank Schäffler gibt sich aber damit zufrieden, dass es nie zu dieser Krise hätte kommen dürfen. Stimmt, hilft aber nicht. Der Überdruck muss aus dem Finanzsystem. Aber nicht durch die Explosion nach Methode Schäffler, sondern kontrolliert, weil sonst eine Rezession mit Arbeitslosigkeit droht. Der ESM, gegen den er sich wendet, sieht die Beteiligung privater Gläubiger in künftigen Krisen vor, hat einen ausdrücklichen Parlamentsvorbehalt und wird mit automatischen Sanktionen und Reformpolitik kombiniert. Das ist ein Fortschritt in Richtung auf eine liberale Wirtschaftsverfassung für Europa.

Wie viel Zeit bleibt noch bis zum Schuldenschnitt in Griechenland?

Ein freiwilliger Verzicht der Gläubiger ist geplant und steht bevor. Ich teile aber die Skepsis von Wolfgang Schäuble, ob die Höhe von 21 Prozent reicht. Über Weiteres spekuliere ich nicht. Richtig ist, dass jetzt Instrumente geschaffen werden, um Ansteckungsgefahren und Auswirkungen auf Banken zu kontrollieren. Als Philipp Rösler das kürzlich gefordert hat, gab es noch Kritik vom Koalitionspartner.

Kann Griechenland den Anschluss an funktionierende Euroländer überhaupt finden?

Die Ausgangslage ist schwierig. Ich rechne damit, dass das Land mindestens ein Jahrzehnt braucht. Dabei müssen wir helfen, ohne zu bevormunden. Griechenland ist kein Protektorat.

Wer soll den Schuldenschnitt bezahlen?

Natürlich die Gläubiger, die von Zinsen profitieren wollten. In der Sozialen Marktwirtschaft gehören Risiko und Haftung zusammen. Da müssen die Finanzmärkte neu geordnet werden. Betroffen wären insbesondere die europäischen Banken. Die müssten sich für einen Teilausfall der Anleihen rüsten. Sollten sie dazu nicht die Kraft haben, was weniger in Deutschland als womöglich in Frankreich der Fall sein könnte, müssen zuerst die Sitzländer der Banken helfen. Erst im letzten Zug könnte es koordinierte europäische Hilfe geben. In Deutschland gibt es den Bankenrettungsfonds Soffin, der notfalls wieder geöffnet werden kann. Da zahlen die Banken übrigens für Hilfe.

Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sagt, nicht Banken sondern verschuldete Staaten seien Schuld und müssten zahlen.

Das ist kompliziert. Staatsanleihen galten bisher ja als mündelsichere Anlagen. Die Banken mussten qua Gesetz keine Risikovorsorge treffen. Auch Lebensversicherer und Privatleute haben daher diese Anleihen gekauft. Es war die Politik, die dann durch ausufernde Staatsschulden das Sicherheitsversprechen gebrochen hat. Allerdings hat niemand die Banken gezwungen, die Papiere zu kaufen. Daraus muss der Gesetzgeber Konsequenzen ziehen.

Herr Lindner, am Freitag trifft sich die Koalitionsspitze. Wird beschlossen, was die FDP seit zwei Jahren verspricht: Mehr Netto vom Brutto?

Zum Jahresbeginn 2010 hat es bereits eine Entlastung von 24 Milliarden Euro gegeben. Aber die Prioritäten haben sich verschoben: Wir müssen den Staat schneller aus der Abhängigkeit der Finanzmärkte befreien. Wir wollen die Schuldenbremse nicht wie Peer Steinbrück erst 2016, sondern spätestens 2014 erfüllen. Der nächste Entlastungsschritt ist deshalb im Volumen begrenzt. Ich warne vor zu hohen Erwartungen. Es wird um mehr Gerechtigkeit gehen, durch eine Reduzierung der kalten Progression oder des Solidaritätszuschlags. Für neue Staatsausgaben, zum Beispiel 1,5 Milliarden Euro für ein Betreuungsgeld, ist in dieser Legislaturperiode erst recht kein Spielraum vorhanden.

Die Sozialversicherungen melden Rekordeinnahmen. Werden die Beiträge sinken?

Im Bereich der Rentenbeiträge erwarte ich das. Bei Kranken- und Arbeitslosenversicherungsbeiträgen bin ich jedoch zurückhaltend. Die Menschen erwarten von diesen Systemen langfristige Stabilität. Deshalb dürfen Politiker konjunkturelle Mehreinnahmen nicht gleich wieder verjubeln, sondern müssen Vorsorge für schlechtere Zeiten treffen. Wenn uns die Euro-Krise eines gelehrt hat, dann ist das die Folge von ausufernden Staatsschulden. Die Einführung einer Schuldenbremse in der Verfassung war deshalb richtig. Und wenn der Staatshaushalt dauerhaft langsamer wächst als die Wirtschaft, könnten wir den Staat in einer Generation deutlich entschulden. Der schuldenfreie Staat – das wäre ein faszinierendes Ziel.

Das Gespräch führten Antje Sirleschtov und Lutz Haverkamp.

DER JUNGE

Mit 16 wurde Christian Lindner Mitglied der FDP. Mit 21 war er Abgeordneter – der jüngste in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Und mit 30 wurde er bereits Generalsekretär der Bundespartei. Für die Nachfolge von Guido Westerwelle als Parteichef war er vielen mit 32 dann aber doch noch zu jung.

DER MITFÜHLER

Lindner will weg vom Image der FDP als „Steuersenkungspartei“ und predigt einen „mitfühlenden Liberalismus“ – was ihn nicht daran hindert, eine Schuldenbremse fürs Sozialsystem zu fordern.

DER EUROPÄER

Deutschland brauche nicht weniger, sondern mehr Europa, sagt Lindner – und verwahrt sich gegen Nationalpopulismus. Allerdings brauche es für den EU-Raum klare Vorgaben. Und für die internationalen Finanzmärkte bessere Regularien. Der Liberale nennt das eine der größten Herausforderungen.

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