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50 Jahre Amnesty: Die Macht der Vielen

Amnesty International wird 50. Drei Millionen ehrenamtliche Aktivisten in 150 Ländern arbeiten heute für den Schutz der Menschenrechte. Und keine Regierung, so mächtig sie auch sein mag, wird gern von ihnen kritisiert.

Von Hans Monath

Es war eine folgenreiche Tat, zu der sich Peter Benenson am 28. Mai 1961 in London entschloss. An diesem Tag veröffentlichte der Rechtsanwalt einen Artikel, in dem er die Freilassung zweier portugiesischer Studenten forderte. Sie waren eingesperrt worden, weil sie auf die Freiheit anstießen. Der Brite forderte die Leser auf, sich mit Briefen für politische Gefangene einzusetzen.

Ein halbes Jahrhundert später feiert die Organisation Geburtstag, die der Artikel ins Leben rief. Den Erfolg von Amnesty International (ai) konnte der Gründer nicht vorausahnen. Drei Millionen ehrenamtliche ai-Aktivisten in 150 Ländern arbeiten heute für den Schutz der Menschenrechte. Und keine Regierung, so mächtig sie auch sein mag, wird gern von ihnen kritisiert.

Wie viele Divisionen der Papst denn habe, soll Stalin einmal gefragt haben. Wenige Jahrzehnte später brach das Sowjetimperium unter der Wirkung von Ideen zusammen, denen es wenig entgegensetzen konnte. Auch der Einfluss von ai stützt sich nicht auf Divisionen und Kanonenboote. Seine Macht speist sich aus Freiheitswillen und aus Solidarität.

Der Aufstieg der Organisation fällt in eine Zeit, in der die Menschenrechte nach ihrer Verkündung 1948 weltweit einen Siegeszug angetreten haben – zumindest, was ihren Anspruch betrifft. Selbst brutale Regime halten es nicht mehr für opportun, sich offen zu willkürlichen Verhaftungen zu bekennen. Trotzdem sind in vielen Ländern weiter Gewalt und Folter an der Tagesordnung, trotzdem verbessert sich mit wirtschaftlichem und technologischem Fortschritt nicht automatisch die Lage der Menschen.

Der Organisation wird manchmal vorgeworfen, sie sei eine Missionstruppe westlich-politischer Kultur. Gegen diese Sicht sprechen nicht nur Tausende Aktivisten in Afrika, Lateinamerika und Asien. Dagegen steht ebenso die Tatsache, dass ai immer wieder Fehlentwicklungen im Westen anprangert – etwa die Aufweichung des Folterverbots im Antiterrorkampf der USA. Auch der rot-grünen Bundesregierung warf sie damals Mithilfe vor. Heute kritisiert ai scharf den Umgang der EU mit Flüchtlingen.

Die Hilfsorganisation für politische Gefangene hat ihren Ansatz längst erweitert und kämpft für die Rechte von Frauen und Vertriebenen, für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Ob diese Aufweichung des Profils langfristig guttut, ist eine offene Frage. Ein Geheimnis des bisherigen Erfolgs jedenfalls war die Personalisierung: Sich für einen namentlich bekannten Menschen einzusetzen, ist befriedigender, als nur in abstrakter Form Missstände zu beklagen. Und immerhin ein Drittel aller ai-Eilaktionen für Gefangene zeigt Wirkung. Zum Erfolg beigetragen hat auch die demokratische, dezentrale Organisationsform, die zu den Bedürfnissen von werteorientierten, modernen Menschen passt. Sie wollen sich einmischen, ohne sich unterzuordnen.

Es ist nur folgerichtig, dass der Bundespräsident heute persönlich zum Geburtstag gratuliert. Fünfzig Jahre sind keine lange Zeit, um aufzuschließen zu den großen klassischen Organisationen wie Parteien und Gewerkschaften. Mehr Mitglieder als FDP oder Grüne hat die deutsche ai-Sektion jedenfalls schon.

Wünschen darf man Amnesty ein so erfolgreiches Wirken, dass der Einsatz für die Opfer von Gewalt und Unrecht bei den nächsten runden Geburtstagen weniger dringend gebraucht wird. Doch weil das Schicksal der Menschenrechte nicht allein von ihren Verteidigern abhängt, stehen die Aussichten dafür leider nicht gut.

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