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Ohne klare Kante: Frank Henkel war in der Berliner CDU der Mann fürs Innere. Vorm Senatorenamt hat er sich gescheut – aus gutem Grund, wie es aussieht.

© picture alliance / dpa

Nach alarmierender Kriminalitätsstatistik: CDU zweifelt an Innensenator Henkel

Krisenmanagement: mangelhaft. Administration: ausreichend. Innenpolitisches Profil: unscharf. Und jetzt auch noch die alarmierenden Zahlen der Kriminalstatistik. Die Bilanz von Berlins Innensenator Henkel ist bescheiden. Schon werden in der CDU Zweifel laut, ob er der richtige Mann für die Zukunft ist.

Von
  • Ulrich Zawatka-Gerlach
  • Sabine Beikler

Sitzfleisch hat er. Um 13 Uhr, als im Innenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses die vierte Sitzungsstunde anbricht, sitzt Innensenator Frank Henkel noch immer auf seinem Stuhl, als wäre er soeben aus Bronze gegossen worden. Das breite Kreuz durchgedrückt, die Hände verschränkt, schaut er geradeaus. Der Kapitän auf hoher See. Trotzdem wirkt der CDU-Mann seltsam abwesend – als wäre dies nicht sein Schiff, auf dessen Kommandobrücke er steht. Und so fragt der Grünen-Abgeordnete Benedikt Lux zweifelnd: „Also, ich weiß nicht, ob Sie mir überhaupt zuhören, Herr Henkel?“

„Immer“, erwidert der Senator. Aber er schüttelt den Kopf und lacht. Henkel ahnt, auch ohne zuzuhören, dass ihn die Opposition mal wieder vorführen will. Am Montag sprach der Innenausschuss über die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2012, die wenig schmeichelhaft für einen christdemokratischen Innensenator ausfällt, der seine Amtszeit an den Anspruch knüpft, in jedem Berliner Kiez für Recht und Ordnung zu sorgen. Mit einer starken Polizei, für die Henkel unentwegt personelle Verstärkung fordert. Bis Herbst 2011 in der Opposition, danach in der Landesregierung. Stattdessen präsentiert der Polizeipräsident Klaus Kandt den Abgeordneten zumindest teilweise alarmierende Zahlen. Mord und Raub, gefährliche Körperverletzung und Einbrüche nahmen in Berlin stark zu. „Das kann nicht zufriedenstellen“, gibt Henkel zu. Er mache sich Sorgen.

Die Opposition hat ihn schon Tage vor der Sitzung gerügt. Auch die Gewerkschaft der Polizei zeigt sich entsetzt. Es ist auch nicht das erste Mal, dass der Innensenator und CDU-Landeschef in der Amtsführung schwächelt und sich öffentlicher Kritik erwehren muss. Am Montag hat er Glück. Drei Stunden arbeitet der Innenausschuss seine Tagesordnung ab, und danach ist der Sauerstoff im sommerlich warmen Sitzungssaal 311 so weit verbraucht, dass auch Grüne, Linke und Piraten nur noch halbherzige Angriffe gegen Henkel starten. Trotzdem – der Senator mag das nicht. Jetzt mahlen die Kiefer, jetzt streicht er sich über die Augenbrauen, befasst sich demonstrativ mit dem Smartphone und den vor ihm liegenden Akten. Irgendwas unterschreibt er dann, mit grüner Senatorentinte. Was Henkel in solchen Momenten wirklich bewegt, sieht man ihm nicht an. Aber vielleicht fragt sich der Innensenator, was auch viele in der CDU bewegt: Ob es nicht besser gewesen wäre, gegen allen innerparteilichen Druck im Dezember 2011 dieses schwere Regierungsamt abzulehnen?

Die nächste Bewährungsprobe ist der 1. Mai. Ein Tag, unter dem seit den 80er Jahren noch jeder Innensenator in Berlin zu leiden hatte. Mehr als 20 Demonstrationen sind angemeldet. Allein am Vorabend, in der Walpurgisnacht, werden voraussichtlich wieder 7000 Polizisten unterwegs sein. Vom Kreuzberger Spreewaldplatz werden am Abend des 1. Mai wohl 10 000 Demonstranten zum Pariser Platz ziehen, die Route für die NPD steht noch nicht fest. Wenn es Krawalle gibt, wird sich der politische Druck auf Henkel – nicht nur von Seiten der Opposition, sondern auch aus der eigenen Partei – mit Sicherheit verstärken.

Schon fast vergessen scheinen jene schönen Zeiten, in denen Henkel den Berliner CDU-Landesverband wieder zum Leben erweckte. Nach dem innerparteilichen Chaos 2008 wurden die Verhältnisse in der Union übersichtlich wie schon lange nicht mehr. Der Machtkampf zwischen dem damaligen CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger und Parteichef Ingo Schmitt war ausgestanden. Die Matadore wurden kampfunfähig aus der Arena getragen. Beide Ämter führte Henkel seitdem in Personalunion – im September 2008 wurde er zum Fraktionschef, zwei Monate später zum Landesvorsitzenden gewählt.

Mutig, entschieden, besonnen - davon ist wenig übrig geblieben

Einfach war es für Henkel anfangs nicht: Der Landesparteitag, der ihn wählen sollte, wurde vom damaligen Bundes-Generalsekretär Ronald Pofalla heruntergemacht. „Ein Weiter-so kann und darf es in der Berliner CDU nicht geben“, dröhnte der heutige Kanzleramtschef bei seiner Standpauke. Und so machte sich Henkel gemeinsam mit der Vize-Landeschefin und Bundestagsabgeordneten Monika Grütters ans Aufräumen. Anders als sein Vorgänger Schmitt wollte er einen inhaltlichen Neuanfang. Ideen statt innerparteilichen Krach und Intrigen lautete Henkels Devise. Ganz in der Tradition der „Jungen Politiker“, einer Gruppe von Nachwuchsleuten unter 40 Jahren, die 1999 ins Abgeordnetenhaus drängten. Dazu gehörten auch der heutige Gesundheitssenator Mario Czaja, Ex-Justizsenator Michael Braun und der frühere Finanzsenator Peter Kurth. Ihnen ging es um die Frage, wie sich eine liberal-konservative Partei in der Großstadt nicht nur behaupten, sondern mehrheitsfähig sein kann.

In diesem Sinne, zehn Jahre später, initiierte Henkel beispielsweise ein neues Bildungskonzept für die Union, und die Partei machte sich Gedanken über die Nachnutzung des Flughafens Tegel, die Henkel als das „Projekt TXXL“ vorstellte. Noch heute sagt er mit großer Überzeugung: „Ich bin nicht dogmatisch, sondern leite einen sachorientierten, lebensnahen Kurs. Ob man es Henkel-Kurs nennt oder Großstadtkurs, am Ende ist es wichtig, dass wir uns geöffnet haben. Personell wie inhaltlich.“

Dem CDU-Landeschef gelang es damals auch, die Macht der ehemals dominierenden Bezirksvorsitzenden einzudämmen und so das eigentliche Führungsgremium, den Landesvorstand, durch ein „Präsidium“ zu stärken. Er öffnete die CDU auch personell. Nur so bekam der parteipolitische Newcomer und Unternehmer Thomas Heilmann die Chance, stellvertretender Landesvorsitzender, dann Justizsenator und wohl im Mai CDU-Kreischef in Steglitz-Zehlendorf zu werden.

Als sich die Neuköllner CDU im Streit verfeindeter Lager fast zerlegte, bewies Henkel Ruhe und Besonnenheit. Er moderierte den Konflikt herunter – und überzog nur diejenigen mit Parteiordnungsverfahren, die jeden Kompromiss verweigerten. Das war mutig. Die Berliner CDU hat noch immer einflussreiche Kiezstrukturen. Einmischungen „von außen“, also durch die Parteispitze, wurden früher oft zum Bumerang. Im Gegensatz zu vielen Vorgängern konnte Henkel durchgreifen, weil er die breite Unterstützung der Basis im 12 500 Mitglieder starken Landesverbands hatte. Und noch hat.

Auch im Berliner Wahlkampf 2011 funktionierte das „Prinzip Henkel“. Er war der unangefochtene Spitzenkandidat, der seine Partei „weiter inhaltlich aufstellen“ wollte, als glaubhafte Alternative zum rot-roten Senat. In der Landes-CDU wagte es niemand, sich gegen ihn zu stellen. Unter seiner Regentschaft hörte auch das halblaute Gerede auf, und nach außen wirkte er – freundlich, aber robust – wie einer, der an die eigene Mission glaubt. „Authentisch“ nannte ihn der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit damals. Henkel war wohl der erste Berliner CDU-Politiker, den Wowereit seit dem Bruch der Großen Koalition 2001 ernst nahm. Dass die Union bei der Abgeordnetenhauswahl im September 2011 sogar die Grünen überholte, mit 23,4 Prozent zweitstärkste Kraft und letztlich neuer Koalitionspartner der SPD wurde, war nicht zuletzt Henkel zu verdanken. Sein Wahlkampf-Porträt, freundliches Lächeln, weiche Gesichtszüge, rahmenlose Brille, klebte auf 650 Großflächenplakaten in der Stadt. Damit machte die Union Punkte.

Dann wurde Henkel Senator für Inneres. Oder besser gesagt, er musste es werden, irgendwie fürchtete er sich vor dem Job. Aber: War die Innenpolitik nicht früher sein Lieblingsthema? War er nicht Einer, der sich mit markigen Sprüchen genussvoll als Haudrauf profilierte? Die Statur dazu passte: Der große, kompakte Mann mit dem breiten Gesicht und den sorgfältig zurückgekämmten Haaren. Saftige Zwischenrufe im Parlament waren bis vor eineinhalb Jahren seine Spezialität. Die innere Sicherheit war für den Oppositionsführer Frank Henkel stets eine Paraderolle, er repräsentierte damit glaubwürdig ein für die Union zentrales Thema.

Nur gibt es dieses Bild nicht mehr, seitdem Henkel als Bürgermeister und Innensenator in der Regierung sitzt. Die Zwischenbilanz fällt jedenfalls nicht gut aus. Sein ungeschicktes Verhalten und amtsinterne Pannen im Zusammenhang mit der Zwickauer Terrorzelle NSU machten ihm schwer zu schaffen. Noch im März beschwerten sich im Innenausschuss des Parlaments die Rechtsexperten der Oppositionsfraktionen, weil Henkel mit ihnen nicht über die NSU diskutierte, sondern auf Dienstreise in Kroatien weilte.

Sucht die CDU schon einen neuen Spitzenmann für die Wahl 2016?

Die von ihm geforderten, im Koalitionsvertrag mit der SPD zugesagten 250 zusätzlichen Polizeibeamten werden gerade ausgebildet. Anfang 2015 sind sie frühestens im Dienst. Ob Henkel 150 weitere Polizisten bekommt, die er noch haben will, wird sich erst im Laufe der Haushaltsberatungen für 2014/15 entscheiden. Eine deutlich höhere Beamtenbesoldung wird Henkel jedenfalls nicht durchsetzen können. Und hat er Konzepte gegen den Anstieg der Alltagskriminalität? „Wir haben stark den Eindruck, dass er uns da was schuldig ist“, sagt ein CDU-Spitzenfunktionär. „Er hat gestalterische Schwierigkeiten“, sagt ein anderer Parteifreund und meint damit auch die Schwäche der beiden Staatssekretäre und Henkel-Vertrauten Bernd Krömer und Andreas Statzkowski. Zwei altgediente CDU-Funktionäre und einflussreiche Bezirkspolitiker aus dem Berliner Westen, deren Karriereansprüche mit den Staatssekretärsjobs in der Innenbehörde befriedigt wurden.

Ein „Hauch der Enttäuschung“, so beschreibt ein langjähriger CDU-Politiker aus dem mitgliederstarken Südwesten in Berlin das Gefühl bei vielen Christdemokraten an der Parteibasis. Administrative Stärke zeige Henkel nicht. Verwaltungsmitarbeiter erzählen, dass man bei ihm nicht den Eindruck habe, der Verwaltungschef gebe wegweisenden fachlich-politischen Input oder sei für Ideen empfänglich. Es fehle ihm, sagen Kritiker, ein eigenständiges Profil, selbst gesetzte Themen.

Auch Henkels Krisenmanagement gilt als miserabel, sein innenpolitisches Profil als unscharf. „Er muss da dringend Kante zeigen. In seinen Bereichen Sport und Sicherheit ist er zu zaghaft“, sagt ein Spitzenmann in der CDU. Die Parteifreunde vermissen in Henkels Ressort Konzepte und eine Entschlossenheit, wie der Chef sie im Herbst vergangenen Jahres nur ausnahmsweise zeigte. Es ging damals um Sybille von Obernitz. Der Wirtschaftssenatorin fehlte zunehmend das politische Gespür für ihr Amt, sodass Henkel sehr konsequent die Notbremse zog und sich von ihr trennte. Nur wenige Tage später fand Henkel in Cornelia Yzer eine Nachfolgerin, die ihr Haus gut im Griff zu haben scheint.

Aber vielleicht sind Henkel die Schuhe des Amtsvorgängers Ehrhart Körting doch zu groß. Der profilierte und stets diskussionsfreudige Sozialdemokrat wurde zum Beispiel über die Grenzen von Berlin hinaus für seine erfolgreiche Deeskalationsstrategie beim 1. Mai bekannt. Aber auch für seine Moscheebesuche und den von Körting gesuchten Kontakt und Dialog mit den muslimischen Gemeinden. Momentan sieht es so aus, als wenn Henkel seine politische Kraft nicht aus dem Regierungsamt, sondern nur noch aus seiner Rolle als bislang erfolgreicher Parteichef schöpft.

Schon in ein paar Wochen, am 1. Juni, will sich Frank Henkel turnusmäßig wieder zum Parteichef wählen lassen. Noch hat der „Frank“, wie sie ihn nennen, die volle Unterstützung seiner Basis. „Er ist ein guter Vorsitzender“, konstatiert einer. „Er ist das Herz der CDU“, schwärmt ein anderer, „der gefühlte Liebling der Partei.“ Die Frage jedoch, ob sie ihn 2016 erneut zum Spitzenkandidaten küren wollen, will derzeit niemand mit einem Ja beantworten. Schauen wir mal, heißt es. Von anderer Seite wird sogar kolportiert, dass schon mit anderen CDU-Politikern geliebäugelt wird. Da fällt zum Beispiel der Name David McAllister. Der gebürtige Berliner ist seit vergangenen Januar nicht mehr Ministerpräsident in Niedersachsen und auf der Suche nach einer neuen Tätigkeit.

Erschienen auf der Reportage-Seite.

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