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Herrschen statt teilen in der Berliner SPD? Raed Saleh, Michael Müller und Jan Stöß.

© Foto-Combo: dapd

Wowereit, Müller, Saleh und Co.: Machtkampf in der Berliner SPD

Mit Klaus Wowereits dritter Bürgermeisteramtszeit wurden viele Posten in der SPD neu besetzt. Die ist in Berlin links und will so auch endlich gesehen werden. Inzwischen ist daraus ein rabiater Kampf um die Macht geworden.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Sie lernten sich kennen, als der eine noch nicht reich und der andere noch nicht mächtig war. Harald Christ, der mit Finanzgeschäften vom Arbeitersohn zum Millionär avancierte, und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Seit vielen Jahren sind sie gute Freunde, seit zwei Jahren ist Christ auch Schatzmeister der Berliner SPD. Doch wenn die Hauptstadt-Sozialdemokraten Anfang Juni ihren neuen Landesvorstand wählen, hört er auf. Christ hat die Lust an der Parteiarbeit schnell verloren. Den meisten Genossen im SPD-Landesverband ist er auch fremd geblieben, der gebürtige Wormser, der sich abseits des linken Mainstreams bewegt, der sich im noblen Capital Club am Gendarmenmarkt wohler fühlte als in der Parteizentrale in Wedding.

Harald Christ ist nur eine Personalie, aber eine, die Klaus Wowereit nicht kaltlassen dürfte. Denn der rasche Rückzug des Landesschatzmeisters ist auch ein Symptom für den Zustand der größten Berliner Regierungspartei – und für die viel größeren Probleme, die seit seiner Wiederwahl auf den Regierungschef einstürzen.

Wowereit muss Briefe schreiben, damit sich das BMW-Guggenheim-Lab nach Gewaltandrohungen aus der Kreuzberger Alternativszene nicht aus Berlin zurückzieht. Er muss erklären, warum er private Kontakte zum Eventmanager Manfred Schmidt pflegte. Er muss sich der eigenen Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus erwehren, deren neuer Vorsitzender Raed Saleh auf Krawall gebürstet ist. Und ihm droht, dass seine größte Stütze im politischen Alltagsgeschäft, der Stadtentwicklungssenator und SPD-Landeschef Michael Müller, von einer neuen innerparteilichen Mehrheit bei den Juni-Wahlen aus dem Amt gewählt wird.

Eine Mehrheit, die um die lichte Zukunft der Sozialdemokratie als linker Volkspartei bangt und die Macht entschlossen an sich reißen will. Damit könnte sie Wowereit in seiner dritten Amtszeit wirklich in Bedrängnis bringen. Letztlich tobt der Kampf um die strategische Frage, ob sich die Berliner SPD politisch neu sortieren muss, um als moderne Großstadtpartei in einigen Jahren überleben zu können, wenn nicht mehr Wowereit die Wahlkämpfe erfolgreich bestreitet. Oder ob die Partei mit einem kompromisslos linken Kurs Gefahr läuft, die gesellschaftliche Mitte preiszugeben, und damit womöglich die Hegemonie als größte Regierungspartei. Das will der Regierende Bürgermeister verhindern.

Müller auch. Er führt die Berliner SPD seit 2004 und tritt im Juni noch einmal an. Aber zum ersten Mal muss er mit einem Gegenkandidaten rechnen, von dem es heißt, dass er die Mehrheit der Parteitagsdelegierten hinter sich habe. Es geht um Jan Stöß. Der Verwaltungsrichter, Fachmann für öffentliches Bau- und Planungsrecht, hat seine politische Karriere als Landesschülersprecher und Juso-Unterbezirkschef in Hildesheim begonnen und kam, wie so viele, in den 90er Jahren nach Berlin. Im unruhigen SPD-Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg arbeitete sich Stöß im Laufe der Jahre unauffällig nach oben. „Ein Mann der Tat“, sagt er von sich selbst. Ein smarter Typ, 38 Jahre, schlank und groß. Geprägt durch das libertäre, urbane Milieu seines Bezirks aber auch durch innerparteiliche Zerwürfnisse im SPD-Kreisverband, bei denen es weniger um Inhalte als um persönliche Animositäten und die Verteilung von Ämtern und Mandaten ging.

Wann hört "Wowi" auf? Und wer wird ihn beerben?

Als Stöß dort 2008 den Vorsitz übernahm, mahnte er einen Neuanfang an. „Wir dürfen uns die Deutungshoheit über die linken Themen nicht streitig machen lassen und müssen verlorenes Terrain zurückgewinnen“, schrieb er in einem Memorandum. Das war ambitioniert gedacht. Doch bei der Wahl 2011 verloren die Sozialdemokraten in Friedrichshain-Kreuzberg über sechs Prozent der Wählerstimmen. Sie erhielten nur noch 23,9 Prozent und wurden von den Grünen, die auf 30,3 Prozent kamen, abgehängt. Seinen Traum, Bezirksbürgermeister zu werden, musste Stöß aufgeben.

Trotzdem hält er seinen Bezirksverband für die „Avantgarde einer modernen, linken Großstadtsozialdemokratie“ und baut mit Blick auf den SPD-Wahlparteitag seine Position in der Partei systematisch aus. Vor vier Wochen wählte ihn die „Berliner Linke“, wie sich der Mehrheitsflügel der SPD nennt, einstimmig zum neuen Sprecher. „Die Voraussetzungen für linke Politik sind durch die große Koalition nicht einfacher geworden“, sagte Stöß in seiner Vorstellungsrede. „Umso wichtiger ist es, mehr SPD pur zu vertreten.“

Obwohl die Gerüchte, dass Stöß auch den SPD-Landeschef Müller beerben will, seit einem halben Jahr durch die Parteigremien wabern, hat er seine Kandidatur noch nicht erklärt. Aber er kommt jetzt alle zwei Wochen zu den Plenarsitzungen des Landesparlaments, um die Genossen Abgeordneten im Kasino zu umwerben. Und er will sich am Sonnabend im IG-Metall-Haus in Kreuzberg als SPD-Kreisvorsitzender bestätigen lassen. Es gibt spannendere Ereignisse als die Wiederwahl eines SPD-Kreischefs. Aber es ist die Kreuzberger Fanfare im erbitterten Machtkampf um die Parteiführung. Ein Konflikt, der vielleicht schon in absehbarer Zeit auch über das politische Schicksal Wowereits entscheiden könnte. Denn was macht der Regierende Bürgermeister, wenn Müller den SPD-Landesvorsitz verlieren sollte? Und damit die Aussicht auf eine Spitzenkandidatur im Wahljahr 2016. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Wowereit den treuen Weggefährten und Parteisoldaten aus Tempelhof als Amtsnachfolger favorisiert. Doch vielen in der SPD fällt es schwer, sich Müller als Regierenden Bürgermeister vorzustellen. Ein Mann mit begrenztem Kommunikationstalent und allzu braven öffentlichen Auftritten, das weiß er selbst.

Sollte der SPD-Landesparteitag die Pläne des Regierenden durchkreuzen, spekulieren manche Genossen bereits darauf, dass sich Wowereit schon 2013 aus der Landespolitik verabschiedet. Andererseits schloss er kürzlich nicht aus, bis 2021 weiterzuregieren. Alles scheint möglich. Bereits jetzt ist die Berliner SPD nicht mehr das, was sie über ein Jahrzehnt war: eine stabile, geschlossene Regierungspartei. Es ist eine pikante Melange politischer und persönlicher Interessen, die den SPD-Landesverband aus dem Gleichgewicht bringt: Die junge „Generation Facebook“ drängt machtvoll nach vorn. Die rot-schwarze Koalition wird als Betriebsunfall verstanden, dessen Schaden zu begrenzen ist. Die potenziellen Kandidaten für die Bundestagswahl 2013 rangeln um aussichtsreiche Listenplätze, und es werden noch bis Mai neue Kreis- und Ortsvorstände gewählt.

Der Konkurrent, Raed Saleh, zeigt Ehrgeiz.

Bis zum Jahresende konnte sich der Regierende Bürgermeister noch auf drei starke Säulen stützen: das Kabinett, die Partei und die Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Eine kann mal wegbrechen, aber die anderen brauche ich“, sagte er in vertraulicher Runde. Als Müller im Dezember 2011 in den Senat aufrückte und den Fraktionsvorsitz aufgab, zerbröselte die erste Säule. Zum neuen Fraktionschef wurde Raed Saleh gewählt, dem Wowereit vor dessen Wahl mit brutaler Ehrlichkeit unter vier Augen sagte: „Mach etwas anderes, Fraktionschef kannst du nicht“. Aber Saleh kennt keine Höhenangst, wenn es um die eigene Karriere geht. Irgendwann will er, das hat er Parteifreunden anvertraut, Regierender Bürgermeister werden. Geboren in der Nähe von Nablus, Westjordanland, als siebtes von neun Kindern, kam er früh nach Berlin. Er machte Abitur, führte zehn Jahre die Geschäfte der Fastfoodkette „Burger King“ in der Spandauer Altstadt und ist heute Miteigentümer einer großen Online-Druckerei. Mit 18 Jahren wurde Saleh Sozialdemokrat, nahm schnell führende Positionen im Bezirksverband und in der Arbeitsgruppe „Migration“ ein. Seit 2006 sitzt er im Parlament, zwei Jahre später übernahm er in Spandau den SPD-Kreisvorsitz. Kleingartenfeste, Empfänge und Bürgersprechstunden – da blüht er auf.

In Spandau hat Saleh das Jugendprojekt „Stark gegen Gewalt“ mitgegründet und gemeinsam mit den Genossen in Alt-Pankow ein Parteiordnungsverfahren gegen den Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin initiiert, dem er Rassismus vorwarf. Als die SPD-Spitze im Oktober 2011 die Sondierungsgespräche mit den Grünen abbrach und der CDU Koalitionsverhandlungen anbot, gab es im Landesvorstand zu diesem Beschluss zwei Enthaltungen. Beide kamen aus Spandau. Gemeinsam mit Stöß kämpft Saleh im Verein „Jede Stimme“ um ein Wahlrecht für Ausländer, und beide ziehen nicht nur dort an einem Strang. Seit er im Amt ist, legt sich der neue Fraktionschef systematisch mit den eigenen Genossen im Senat an.

Mal geht es um die Rekommunalisierung von S-Bahn oder Wasserbetrieben, mal um die Mietenpolitik oder die Sanierung des ICC. Im Streit um einen Mindestlohn von 8,50 Euro für Langzeitarbeitslose, den Saleh forderte, wurde er von einem wütenden Wowereit per Senatsbeschluss ausgekontert. Müller fragte in der SPD-Fraktion süffisant nach, ob es nicht klüger wäre, statt der eigenen Leute auch mal die Senatoren der CDU „vors Rohr zu binden“.

Müller ist nicht der Einzige, der sich noch an opferreiche Flügelkämpfe und Intrigen erinnern kann. Das war in den 90er Jahren, als die Berliner Sozialdemokraten verzweifelt nach einem Weg suchten, sich aus der großen Koalition unter dem CDU-Regierungschef Eberhard Diepgen zu befreien. Damals steuerte die SPD auf die 20-Prozentgrenze zu, und der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Thierse regte sich über die „verschimmelte Rechts-Links-Konfrontation“ auf. Dieser Streit war noch dominiert von den großen West-Berliner SPD-Kreisen. Inzwischen haben sich die Gewichte zugunsten der innerstädtischen Verbände in Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow verschoben, denen Akademiker, Kreative und junge Ministerialbeamte zulaufen. Zunehmend bestimmen sie die innerparteiliche Diskussion.

Das könnte eskalieren. Ein unüberhörbares Signal war schon vor zwei Jahren eine Parteitagsdebatte um die Stadtautobahn A 100, für deren Weiterbau sich trotz einer Brandrede des Regierenden Bürgermeisters nur eine denkbar knappe Mehrheit fand. Wäre es anders gekommen, wären Wowereit und Müller sofort zurückgetreten. Damals plädierten Saleh und Stöß energisch gegen das innerstädtische Großprojekt, im Sinne einer „sozial- und menschengerechten Verkehrspolitik“. Es folgte ein Wahlkampf, in dem Wowereit die wirtschaftliche Entwicklung Berlins in den Vordergrund rückte. Dieses Versprechen will er nun mit der CDU, nicht mit den Grünen durchsetzen. Das nagt an der Seele der Partei und der rebellischen Fraktion, auch wenn sich beide Seiten zurzeit bemühen, den Konflikt zu begrenzen. Zwischen Wowereit und der Fraktion sei Waffenstillstand ausgerufen worden, sagte ein Vertrauter Salehs – und lachte. Der Regierungschef wiederum empfing Emissäre, die ihn baten, auf Müller Einfluss zu nehmen. Der SPD-Landeschef solle öfter mal zum Handy greifen, er solle mehr reden mit den Parteifreunden, auch wenn er manche nicht leiden könne. Vor allem sollten Müller und Stöß miteinander verhandeln, „damit im Juni nicht beide Akteure im Blindflug aufeinanderprallen“, wie der Chef eines großen SPD-Kreisverbands sagt.

Der Vorschlag des Wowereit-Freundes Christ, den nächsten Landeschef durch eine Mitgliederbefragung zu küren, wurde schnell vom Tisch gewischt. Linke und rechte Funktionäre in der Partei waren sich im Landesvorstand einig, dass der innerparteiliche Konflikt nicht über mehrere Wochen öffentlich breitgetreten werden soll. Nur der ultralinke Donnerstagskreis, ein Relikt sozialdemokratischer Strömungskultur aus der Vorwendezeit, setzt auf die offene Konfrontation und schimpft in einem Rundbrief über die „SPD-Riege des Senats und ihre Aktentaschenträger“. Zu dieser Riege gehört übrigens auch die Sozialsenatorin Dilek Kolat. Eine resolute Frau, arbeitswütig und politisch erfahren, Migrantin, vormals Sprecherin der Linken in der Abgeordnetenhausfraktion. Gelegentlich hört man, sie könnte die nächste SPD-Spitzenkandidatin werden. Wenn zwei sich streiten, freut sich die Dritte.

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