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Grüne Spitzenkandidatin: Renate Künast muss es wollen

Renate Künast hat auf alles oder nichts gesetzt, auf Sieg an der Spree oder Rückkehr in die Bundespolitik. Berlin muss sie aber ganz wollen, wenn sie den Anspruch hat, Klaus Wowereit aus dem Rathaus zu treiben.

Von Sabine Beikler

Der Höhenflug von Renate Künast war genau am 5. November 2010 zu Ende. Kaum war sie als grüne Spitzenkandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin ausgerufen, begann ihre Talfahrt. Mit Äußerungen über Tempo 30, die Zukunft der Gymnasien und einen möglichst auf Provinzniveau zurechtgestutzten Großflughafen irritierte sie nicht nur die eigene Partei. Ihre Umfragewerte sanken von kühnen 43 Prozent, mit denen sie damals Amtsinhaber Klaus Wowereit überholte, stetig. Selbst grüne Spitzenleute fragten sich inzwischen: Will sie den Job überhaupt?

Es kommt vieles zusammen. Künast hat auf alles oder nichts gesetzt, auf Sieg an der Spree oder Rückkehr in die Bundespolitik. Berlin muss sie aber ganz wollen, wenn sie den Anspruch hat, Wowereit aus dem Rathaus zu treiben. Denn: Sie muss die Berliner Wähler überzeugen, die mögen keine halben Sachen. Das heißt auch: Sie braucht ein scharfes eigenes Profil. Wo ist der Tatendrang, der Überzeugungswille, dass sie wirklich die ganze Stadt umarmen will, wie sie am Wochenende auf dem Wahlprogrammparteitag gesagt hat? Wo bleibt die Empathie, das Berlin-Gefühl eines Klaus Wowereit? Er hat das Herz mit Schnauze, sie hat die Schnauze, bloß das Herz fehlt.

Künast hat sich mit Kalkül für die Kandidatur entschieden. Erste grüne Landeschefin, das wäre was. Nach ihren Missgeschicken der vergangenen Monate war sie am Wochenende endlich einmal wieder gelöst und kämpferisch: Kandidatin. Diesen Anspruch hat sie deutlich in ihrer Partei vertreten, als sie sagte, auch Migranten müssten gefordert werden. Ein Spagat. Innerparteilich muss sie den traditionell linken Landesverband mitnehmen. Die Parteilinke beobachtet die Öffnung zur bürgerlichen Mitte mit großem Argwohn. Sie setzt auf die grüne Kernwählerschaft in den Kiezen und mag keine Kompromisse. Immerhin, die erste Machtprobe hat Künast mit der integrationspolitischen Leitlinie gewonnen. Sie muss aber auf der Hut sein. Nichts wäre schlimmer, als ideologisch geprägte Flügelkämpfe im Wahlkampf.

Jetzt muss sie mit neuem Elan aber auch die Wähler überzeugen, vor allem die bürgerliche Mitte, die den Zuwachs und damit die Mehrheit bringen soll – von Zehlendorf bis Pankow. Künast will mit einem breiten Programm die ganze Stadt umarmen: Bildung, Soziales, Integration, Arbeit, Energie, Stadtplanung, Verkehr. Mit diesen Themen treten auch die anderen Parteien an. Vor allem die Schnittmenge mit der SPD ist groß. Wo bleibt das Alleinstellungsmerkmal der Berliner Grünen? Welche konkreten Vorstellungen haben sie für die Hauptstadt? Hinter dem Motto „Eine für alle“ verbirgt sich keine Vision für eine Stadt, sondern das Bild einer Spitzenkandidatin, die es allen recht machen will. Zu wenig für die sogenannte neue politische Kultur.

Berlins Grüne brauchen ein Schlüsselprojekt, mit dem sich die Stadtgesellschaft identifizieren kann. Berlin als Klimahauptstadt unter Einbeziehung aller Akteure? Hamburg hat es vorgemacht. Die Stadt ist unter GAL-Mitwirkung 2011 zur europäischen Umwelthauptstadt gekürt worden. Berlin als Bildungshauptstadt? Wichtig genug wäre das.

Künast beschreibt Berlin als Stadt mit vielen Baustellen. Etwas Ähnliches gilt auch für sie selbst. Um ihre eigenen Baustellen bis zum 18. September abzuschließen, muss sie sich aber ganz auf die eine Aufgabe konzentrieren. In sechs Monaten geht es nicht nur um die neue Landesregierung. Es geht auch um ihre politische Zukunft, im Land und im Bund.

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