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Gesellschaft: Wenn Champignons giftig werden

Bei Pilzen spielt der kleine Unterschied oft die entscheidende große Rolle.

Für den Laien ist das Sortiment an heimischen Speisepilzen schnell erschöpft. Die kulinarische Vielfalt eröffnet sich jedoch bei einer Wanderung mit Pilzkundlerin Elisabeth Westphal. Die 60-Jährige nennt sich eine „Kochtopf-Mykologin“. Sie liebt den kräftigen Geschmack der Waldpilze: den zartfleischigen Austernpilz, den leicht nussigen Perlpilz oder den Ästigen Stachelbart, dessen korallenartige Fruchtkörper fast zu schade für den Speiseteller sind. Aber sie hat auch einen Sinn für die Schönheit der Ungenießbaren, etwa die braun marmorierten Rosetten der Schmetterlingstramete.

Für Elisabeth Westphal ist das gesamte Jahr über Pilzsaison. Fündig wird sie bei ihren Jogging- oder Wandertouren im Umland. Auch Berlins grüne Lungen geben etwas her, selbst auf dem Alexanderplatz hat die Pankowerin schon Champignons entdeckt: „Aber bei den Abgasen würde ich die nie essen.“ Anfang dieser Woche ist sie von ihrem Garten in Biesenthal zum Mechesee nördlich von Berlin geradelt. Der Regen in der Vorwoche hat die Schwammerl sprießen lassen. Schnell noch die Hosenbeine heruntergekrempelt und fertig ist die Pilzsucherin für den Streifzug durch das Unterholz. Um ihren Hals baumelt ein Pilzmesser mit Pinsel, in der Hand hält sie einen Korb: „Bloß keine Plastiktüte. Pilze sind eiweißhaltig, wenn sie schwitzen, verderben sie ganz schnell.“ Griffbereit führt sie „Pareys Buch der Pilze“ mit sich. Mehr als 1500 Sorten werden darin beschrieben. Die kennt auch eine Sachverständige wie sie nicht alle auswendig.

Gleich am Wegesrand entdeckt Elisabeth Westphal einen Milchling. Sie bricht ein Stück ab, und es fließen weiße Tropfen. „Höchstwahrscheinlich giftig“, urteilt die Expertin und geht weiter. Weil die Spaziergänger nicht mehr viel von den Pilzen übrig gelassen haben, schlägt sie sich lieber durchs Dickicht – mit Erfolg: Unter einer Kiefer an einem sonnigen Hang blitzt unter Gras und Laub ein dottergelber Pfifferling. Und wo einer ist, stehen die anderen nicht fern: Ein ganzer „Hexenring“ umgibt den Baum. Behutsam dreht sie die Stiele aus dem Boden, ohne das feine Wurzelgeflecht zu beschädigen.

Für ihre geliebten Steinpilze geht es noch tiefer in den Wald durch die Heidelbeersträucher. Ein schönes großes Exemplar unter einer Buche riecht schon etwas modrig. Ein Schnitt mit dem Messer zeigt, dass die Maden nicht mehr viel übrig gelassen haben. Immerhin ist es ein echter – mit seinen leicht rosafarbenen Poren ist er nur eine Nuance von seinem ungenießbaren Doppelgänger entfernt: dem Bitterling. Ein paar Meter weiter ist die Erde aufgewühlt: Wildschweine waren wohl am Werke. Neben einem rotbraunen Perlpilz, dessen schwer verdauliche Haut sich tortenstückförmig abziehen lässt und zwei Ockertäublingen, die den Zungenspitzentest bestanden haben, landen noch der seltene Kornblumen- Röhrling, Flaschenboviste, Rotfußröhrlinge und die Ziegenlippe im Korb.

Elisabeth Westphal ist eine von sieben von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie geführten Sachverständigen in Berlin. Schon als Kind streifte sie mit ihren Eltern durch sächsische Wälder und lernte den Reichtum an Kräutern und Pilzen kennen. Jetzt begutachtet sie die Funde von Privatpersonen und steht wie ihre Kollegen zur Sortenbestimmung bei Vergiftungen zur Verfügung.

Unsichere Sammler können ihren Fund von der Pilzkundlichen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Brandenburg begutachten lassen. So wie am vergangenen Montag: Eine Frau mit Hund zeigt ihre Ausbeute aus einem Charlottenburger Vorgarten. Die drallen rotbraunen Stiele mit halbkugeligem Hut entpuppen sich als Netzstielige Hexen-Röhrlinge – roh: giftig, aber gut durchgegart: essbar. Ein junger Mann hat mit seinem Parkfund weniger Glück. Den Stiel unten aufgebrochen, einmal dran gerochen und der Kenner weiß: giftig. Der stechende Geruch ist typisch für den Karbol-Champignon.

Weil gleich das Vereinstreffen beginnt, breitet Hubertus Menge seine Fundstücke schon mal auf Papptellern aus. Im Königs Wusterhausener Forst hat er den Flockenstieligen Hexen-Röhrling aufgetan: „Ein hervorragender Speisepilz. Viele lassen den stehen, weil sie der Farbe nicht trauen“, sagt der Hobby-Mykologe und schneidet ein Exemplar längs auf: Es läuft blau an, wird später in der Pfanne aber wieder appetitlich gelb. Mittlerweile sitzen 16 Frauen und Männer rund um den Tisch voller Pilzfunde in allen Farben und Formen: Da gibt es den winzigen Halsband-Schwindling (Marasmius rotula), den Erdwarzenpilz (Telephora terrestris), den Feuer-Schüppling (Pholiota flammans) oder den Eichen- Filzröhrling (Xerocomus communis), durch den sich gerade eine Made frisst. Die lateinischen Termini sind wichtig, schließlich hat man auch einen wissenschaftlichen Anspruch. Vereinschef Martin Schmidt hat zu Hause in seinem Herbarium an die tausend Präparate.

„Ein Pilz kann die ganze Mahlzeit verderben“, erklärt die Ernährungsberaterin Westphal, nimmt ein Stück auf die Zungenspitze, um es gleich wieder auszuspucken. Der scharfe Nachgeschmack bestätigt: Das hübsche Exemplar mit dem rötlichen Stiel ist der Rote Spei-Täubling – ungenießbar. Die Folgen von Pilzvergiftungen reichen vom Brechdurchfall über allergische Reaktionen bis zu Nervenschäden und Herzproblemen. Das Gift des Grünen Knollenblätterpilzes führt unbehandelt nach ein paar Tagen zu Leberversagen. Auch die Zubereitung spielt eine Rolle: Der Hallimasch zum Beispiel gibt sein Gift ins Kochwasser ab, kann nach dem Abgießen aber weiterverarbeitet und verspeist werden. Bei anderen Sorten löst Alkohol unangenehme Reaktionen aus. Auf der Liste der Unverträglichkeiten findet sich dann noch die „unechte Vergiftung“ durch verdorbene Exemplare.

Pilze sollten also entweder noch am selben Tag gegessen werden oder in der Kühltruhe landen. Schon die Angst vor einer Vergiftung kann manchem den Magen verderben. Bei ersten Anzeichen sollte man sofort zum Arzt gehen, auch wenn das Essen schon zwei Tage her ist, falls möglich mit Speiseresten – damit die Sorte bestimmt werden kann.

Der Giftnotruf Berlin ist täglich und rund um die Uhr für Notfallberatungen erreichbar unter der Nummer 030 / 192 40

Susanna Hoke

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