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Zu Hause: Palazzo rosso

Julian Schnabel ist selbst für einen Künstler exzentrisch. Und so wohnt er auch. In New York hat er sich einen Traum erfüllt – aus Gold und Samt. Irrer geht’s kaum!

Ein Mann sitzt in einem Hotelzimmer und starrt auf seine Nudelsuppe. Mit dem Löffel rührt er darin, um zu schauen, was zwischen den Nudeln noch so schwimmt. Ob denn auch Hühnchen dabei sei, fragt er den Hotelbediensteten. Der verneint. Das sei gut, sagt der Mann. Hühnchen könne er nämlich nicht ausstehen. Sein Vater habe früher eine Hühnerzucht betrieben – in Upstate New York. Damals, als Julian Schnabel noch ein kleiner Junge war.

Julian Schnabel, das Enfant terrible des Neoexpressionismus. Der Schrillste unter den Schrillen, der Maßloseste unter den Maßlosen, der Exzentriker, dem normale Bildergrößen immer schon zu klein waren, der lieber Abdeckplanen und Schiffssegel verziert. Der Oscar-nominierte Regisseur von „Schmetterling und Taucherglocke“.

Als Teenager zog der Sohn jüdischer Eltern mit der Familie nach Texas, zum Ende der 1960er Jahre lebte er in San Francisco, dann verbrachte er einige Zeit in Italien, Frankreich, Spanien und Deutschland. Als Aushilfskoch, als Taxifahrer, als Sonnenbrillenverkäufer. Als Künstler, gehasst und verehrt. „Rund zwei Monate im Jahr verbringe ich in Hotelzimmern“, sagt der 59-jährige Vater von fünf Kindern. Was bedeutet Zu-Hause-Sein für jemanden, der wie er ständig lauthals unterwegs ist?

Regentropfen klatschen gegen die Fensterscheibe des Hotelzimmers in Hamburg. Der Künstler, der beim Malen gerne Seidenpyjamas und Morgenmäntel trägt, empfängt im Hawaii-Hemd – offen bis zum Bauchnabel – und in Bermudashorts. Eine gelb getönte Brille sitzt auf der Nase. Julian Schnabel ist auf Werbetour für seinen neuen Kinofilm „Miral“, der am nächsten Donnerstag in die Kinos kommt.

„Miral“ ist die Verfilmung des zum Teil autobiografischen Romans seiner palästinensischen Lebensgefährtin Rula Jebreal, die Geschichte eines palästinensischen Mädchens, das in einem Waisenhaus in Jerusalem aufwächst und sich dem palästinensischen Widerstand anschließt. „Zuhause ist da, wo man sich sicher fühlt“, sagt Schnabel, der als Regisseur bewiesen hat, dass er auch wunderbar leise sein kann.

Während der Dreharbeiten zu „Miral“ hat Schnabel in Jaffa gewohnt. Nachts hörte er die Schritte in den angrenzenden Apartments. Die quietschenden Türgriffe ließ er sofort auswechseln. „Ich kann nicht leben inmitten von Entscheidungen, die ein anderer getroffen hat“, sagt er. Die Küche sei falsch konzipiert gewesen, total unbrauchbar. „Der Typ, der vorher darin gewohnt hat, muss sehr einsam gewesen sein.“ Der habe bestimmt niemals für jemanden gekocht.

An Malen war für ihn nicht zu denken. Von seiner Terrasse aus konnte Schnabel auf das Mittelmeer sehen. Ein paarmal ging er an den Strand, um zu surfen. Schnabel ist ein leidenschaftlicher Surfer. Aber die Wellen waren schrecklich. Viel zu klein.

Als Julian Schnabel ein kleiner Junge war, hat er sich ein Zimmer mit seinem Bruder geteilt. Kleine Wohnung, kahle Wände. Wenn die Kinderzimmertür einen Spaltbreit offen war und er seinen Kopf fest an die kalte Wand presste, so erinnert er sich, dann konnte er am Ende des Flurs aus dem Zimmer seiner Eltern das Flimmern des Fernsehers sehen. An die graue Tapete im Kinderzimmer mit Cowboys darauf, daran erinnert er sich auch. Und dass sein Bruder ständig geschnarcht habe.

„Alle haben geschnarcht“, sagt Schnabel. Älterer Bruder, ältere Schwester, Vater, Mutter. Die Wände waren dünn, das Schnarchen laut. „Das hat mich verrückt gemacht. Manchmal bin ich mit dem Bettzeug in die Badewanne geflüchtet und habe das Kissen über die Ohren gezogen.“ Damals hat sich Julian Schnabel geschworen, eines Tages in einem Haus zu leben, in dem die Geräusche der Nachbarzimmer nicht zu hören sind. Kein Zischen, wenn irgendwo eine Toilette gespült wird, kein Gurgeln, wenn irgendwer sich irgendwo die Zähne putzt. Kein Schnarchen. „Ich wollte fliehen“, sagt er, „in mein eigenes Universum, an einen Ort, in dem ich mich wohlfühle.“

New York City: Schnabels Universum thront in Greenwich Village, Manhattan, 11. Straße. Palazzo Chupi, ein pinkfarbenes Ungetüm, 52 Meter hoch, höher als alle anderen Gebäude in der Umgebung. Palazzo Chupi ist alles in einem: ein Ludwig’sches, sonnenkönigliches Märchenschloss, ein Stück Barock, ein Stück Renaissance, ein Stück Venedig. Doch vor allem ist der Palazzo eines: Julian Schnabel. Das pompöseste seiner pompösen Werke.

Das Fundament der Residenz ist eine alte Parfumfabrik, und laut Legende soll alles folgendermaßen begonnen haben: 1987 laufen sich Schnabel und der Pop-Art-Maler Roy Lichtenstein über den Weg. „Hast du das Loft deiner Träume schon gefunden?“, fragt Schnabel. „Eigentlich ja“, antwortete Lichtenstein, „aber es ist zu groß für mich – für dich dagegen wär’s genau richtig.“

Schnabel kauft die Hallen, eine Zeit lang sind sie ihm als Atelier groß genug, dann baut er sich seinen Traum einfach obendrauf. Die Nachbarschaft protestierte. Heute zieht es Touristenschlangen dort hin.

Palazzo Chupi ist das Haus eines Mannes, der aus der Beengtheit der gegebenen Verhältnisse ausgebrochen ist, um sich in den Kulturepochen zu suhlen. Eine architektonische Autobiografie: Holzgarnituren im Stile der Renaissance, goldene Türklinken, goldene Kronleuchter, Vermeer-Schachbrettboden, bis zu sechs Meter hohe Stuckdecken, steinerne und bronzene Balustraden, Samtvorhänge, elfenbeinerne Kacheln aus einer New Yorker U-Bahn-Station der 1920er Jahre. Ein Schwimmbad, das an römische Bäder erinnert. Und alles voll mit Bildern: Picasso, Beuys, Picabia, Polke, Clemente und Schnabel, Schnabel, Schnabel.

50 000 Quadratmeter umfasst das Gebäude, 180 Fenster gibt es und eine Terrasse mit Blick auf den Canal Grande, pardon, Hudson River, die als die schönste der Stadt gilt. „My home is my castle“, das Sprichwort gilt bei Julian Schnabel wortwörtlich. Es gibt ein Atelier. Ausstellungsräume. Fünf Apartments. In einem davon lebt Schnabel. Für die anderen sollen sich anfänglich Johnny Depp, Hugh Jackman, Bono und auch Madonna interessiert haben. Richard Gere kaufte eins, angeblich für zwölf Millionen Dollar. Mittlerweile ist er wieder ausgezogen. Seit der Finanzkrise hat auch Palazzo Chupi mit den fallenden Immobilienpreisen zu kämpfen.

Im Moment jedoch sitzt der Künstler im Hotelzimmer in Hamburg. Schnabel wischt sich mit einer Serviette über das Bartgestrüpp. Er sagt, er versuche, obwohl er viel unterwegs sei, so wenig Zeit wie möglich in Hotelzimmern zu verbringen. Manchmal, so erzählen Freunde von ihm, nimmt er die Bilder runter und hängt eigene auf, welche, die er gerade bei sich hat. Diesmal hat er keine dabei. „Zuhause ist da, wo meine Familie ist“, fährt er mit Erzählen fort, „da, wo ich malen kann. Zuhause – das ist New York.“ Die Stadt ist laut, im Palazzo Chupi herrscht Stille. Die dicken Wände bieten eine fast klösterliche Ruhe. Der Sound sei exzellent, sagt Schnabel. Darauf lege er großen Wert. „Ich brauche die Kontrolle über den Sound.“ Der Palast ist so gebaut, dass von den Apartments nebenan nichts zu hören ist. Keine Toilettenspülung. Keine quietschenden Türen. Und auch nicht Richard Gere beim Staubsaugen.

Schnabel ist so sehr New York, und mit dem Palazzo ist New York unübersehbar auch ein Stück Schnabel. Aber was macht der Meister, wenn er noch mehr Ruhe braucht? Wenn er Abstand braucht von dieser Kunstfigur Julian Schnabel, Abstand von diesem Pomp, diesem Ego? Es gibt da noch diese Residenz aus Holz, gebaut vom Architekten Stanford White, mit Atelier unter freiem Himmel, ganz am Ende von Long Island. Dort surft Schnabel. Dort genießt er den Blick auf den Atlantischen Ozean. Und den Blick vom Surfbrett zurück aufs Land. Man könnte meinen, es ist der Ort, an dem Julian Schnabel auch von sich selbst mal Urlaub nimmt. Aber das ist wohl nicht so. Dort kann es schon mal vorkommen, dass er bei Sturm ein Segel vor seinen Jeep spannt und durch den Morast fährt. Seine ganz eigene Maltechnik.

Die Suppe ist halb ausgelöffelt. Sie hat ihm offensichtlich auch ohne Hühnchen nicht geschmeckt. Der Regen tropft immer noch gegen die Scheibe des Hotelzimmers. Dunst liegt in der Luft. Kein Blick aufs Wasser. Schnabel schweigt. Dann schaut er nach oben an die Decke. Ja, da surrt etwas. Die Klimaanlage wahrscheinlich. Oder der Kühlschrank vom Zimmer darüber. Schnabel grinst. Halb so schlimm. In ein paar Tagen geht es wieder zurück nach New York. In den Palast der Stille, inmitten der lauten Stadt.

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