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Brandenburg: „Zu viele Menschen vereinsamen“ Ex-Sozialminister Baaske: Mehr Fürsorge ist nötig

Niemand will die neun Schwangerschaften der mutmaßlichen Kindstöterin bemerkt haben. Haben Sie eine Erklärung?

Niemand will die neun Schwangerschaften der mutmaßlichen Kindstöterin bemerkt haben. Haben Sie eine Erklärung?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in der Nachbarschaft nicht registriert wurde. Ich befürchte, dass wieder einmal Menschen einfach weggeschaut haben. Und: Es gibt mindestens einen Vater, der auch in Verantwortung steht. Das wird bisher völlig vernachlässigt.

Es gibt Sozial und Gesundheitsämter. Hat das soziale Netz zu große Lücken?

Die Rechtslage hat sich nach 1990 geändert: Die frühere Mütterberatung, die auch aufsuchende Hilfe nach der Geburt vorsah, gibt es nicht mehr. Insofern kann es passieren, dass Behörden nicht nachverfolgen, ob Eltern ihre Kinder menschenwürdig betreuen.

Ist wieder mehr „Fürsorgestaat“ gefragt?

Zunächst muss man von Eltern erwarten, dass sie ihre Verantwortung wahrnehmen. Dennoch ist eine größere staatliche Fürsorge oft nötig. Wir streben ein engeres Betreuungs-Netz für werdende Mütter und Mütter in Brandenburg an. Es muss von der Betreuung in der Schwangerschaft, über die Geburt bis ins Kleinkindalter intensiver geknüpft werden.

Sie denken da an das finnische Modell?

Ja, um diese intensive Betreuung geht es. Konkret bereiten wir deshalb ein Modellprojekt in Oberspreewald-Lausitz vor, sind im Gespräch mit Landrat und örtlichen Krankenhäusern. Später sollte es flächendeckend eingeführt werden: Kein Kind darf uns mehr verloren gehen. Nicht nur wegen der stark gesunkenen Geburtenzahlen. Wir sind schon aus humanitären Gründen verpflichtet, uns um die Kleinsten zu kümmern.

Verwahrlost in Brandenburg die Gesellschaft?

So weit würde ich nicht gehen. Aber es gibt im Osten nicht mehr die soziale Kontrolle wie früher, etwa über die Arbeit, die Nachbarschaftshilfe. So kommt es gar nicht selten vor, dass sich Familien isolieren, aus Scham vor Arbeitslosigkeit, vor dem Abstieg. Sie verschweigen, welche persönlichen Probleme sie haben. Es vereinsamen zu viele.

Die Fragen stellte Thorsten Metzner

Günter Baaske

war von August 2002 bis September 2004 Brandenburgs Minister für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen. Seither führt er die SPD-Landtagsfraktion.

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