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Rette sich, wer kann: Immer wieder kommen viele Menschen bei der Überfahrt von Libyen nach Europa ums Leben.

© dpa

Martenstein über das Massensterben im Mittelmeer: Die Schande des Orients

Tausende sterben auf ihrem Weg nach Europa, wo sie auf Wohlstand und Frieden hoffen. Und weil sie der Korruption, kriminellen Eliten und Fanatikern entkommen wollen. Doch Europas Grenzen für alle zu öffnen, ist keine Lösung. Eine Glosse.

Eine Glosse von Harald Martenstein

Wenn ich diese Bilder sehe, fällt mir nichts Lustiges ein. Tausende Menschen ertrinken im Mittelmeer, weil sie von einem besseren Leben in Europa träumen, viele von ihnen von einem Leben in Deutschland. Im Tagesspiegel stand dazu ein Interview mit der Migrationsexpertin Heidrun Friese. Überschrift: „Das ist die Schande Europas.“

Es gibt drei Ursachen dieses Massensterbens. Die erste besteht darin, dass Europa für immer größere Teile der Weltbevölkerung wie ein Paradies aussieht, für dessen Erreichen sich jedes Risiko lohnt. Es gibt hier genug Probleme, aber verglichen mit den Ursprungsländern der Auswanderer leben wir in Wohlstand, Frieden und Freiheit. Wenn Europa in Chaos, Armut und Bürgerkrieg versinkt, hört die Wanderung auf. Aber das ist natürlich keine Lösung, die erstrebenswert wäre.

Die zweite Ursache für das Massensterben liegt darin, dass den Flüchtlingen und den Auswanderern in ihren Booten zu wenig geholfen wird. Es sind zu wenige Retter unterwegs, deshalb ertrinken so viele. Das ist die Schande Europas. Um Politik geht es dabei nicht. Es geht um etwas Unpolitisches, um die Gebote der Menschlichkeit, die Pflicht, Ertrinkenden zu Hilfe zu kommen. Als die Flüchtlinge an unserer Grenze standen, hat die Kanzlerin angeblich geweint. Jetzt krepieren sie, und keine Kamera schaut zu. Wer weint jetzt?

Der Sozialstaat? Würde zusammenbrechen

Es wäre möglich, mehr zu tun. Nicht möglich ist es allerdings, die Grenzen Europas für alle zu öffnen, die, mit nachvollziehbaren Gründen, herkommen möchten. Manche fordern das, auch Frau Friese, sie will „Freizügigkeit für alle“. Was würde das bedeuten?
Ich glaube, dass es in Europa Chaos, Armut und Bürgerkrieg bedeuten würde. Es gibt Milliarden von Menschen, die glauben, hier besser leben zu können als in ihrer Heimat. Wenn ein großer Teil von ihnen kommt, wird Europa nicht mehr das Europa sein, von dem die Einwanderer geträumt haben. Als Erstes würde der Sozialstaat zusammenbrechen, unser System funktioniert nicht auf der Basis einer unbegrenzten Einwanderung. „Freizügigkeit für alle“ klingt edel, aber niemand kann plausibel machen, wie das funktionieren könnte.

Harald Martenstein, Kolumnist des Tagesspiegels.
Harald Martenstein, Kolumnist des Tagesspiegels.

© Britta Pedersen/dpa

Seltener wird über die dritte Ursache des Massensterbens gesprochen, über die Schande Afrikas und die Schande des Orients. Die Völker fliehen unter Lebensgefahr vor ihren Regierungen, vor ihren korrupten und kriminellen Eliten, vor den Warlords und den religiösen Fanatikern, die einen Staat nach dem anderen zerstören. Die führen wirklich Krieg, und zwar gegen ihre eigenen Völker. Tyrannen, Fanatiker und Kriminelle, ihre Namen sind bekannt. Wir können unser erfolgreiches Gesellschaftsmodell nicht exportieren, das ist oft genug gescheitert. Die Völker können sich nur selbst von der Schande befreien, die ihre Heimat zerstört.

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