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Kriminalbeamte der Spurensicherung untersuchen am 29.01.2016 in Villingen-Schwenningen (Baden-Württemberg) vor einer Flüchtlingsunterkunft den Tatort. Unbekannte haben eine scharfe Handgranate über den Zaun an der Unterkunft geworfen.

© Patrick Seeger/dpa

Update

Handgranate auf Flüchtlingsheim in Villingen-Schwenningen: Politik spricht von Terrorismus und "Anschlag gegen Menschlichkeit"

Im Schwarzwald haben Unbekannte eine Handgranate auf eine Flüchtlingsunterkunft geworfen. Sie explodierte zum Glück nicht. Politiker sind entsetzt über die Tat.

Unbekannte haben in der Nacht zum Freitag einen Anschlag mit einer Handgranate auf eine Flüchtlingsunterkunft in Villingen-Schwenningen in Baden-Württemberg verübt. Die Handgranate landete auf dem Gelände der Unterkunft im Schwarzwald-Baar-Kreis.

Die Staatsanwaltschaft erklärte am Nachmittag, dass die Handgranate in der Nähe eines Containers auf dem Gelände gefunden wurde. In dem Container hält sich zumeist die Security des Geländes auf. Eine Explosion habe es nicht gegeben. Aber es stehe fest, dass die Handgranate mit Sprengstoff gefüllt gewesen sei. Ob aber ein Zünder verbaut gewesen sei, sei noch unklar. Dieser Umstand sei aber wichtig. Sollte ein Zünder verbaut gewesen sei, habe möglicherweise nur ein technischer Defekt dazu geführt, dass die Granate nicht explodiert sei. Andernfalls, ohne Zünder, liege die Vortäuschung einer Straftat vor.

Die Ermittlungsbehörden haben eine Soko "Container" gebildet, der zurzeit 75 Personen angehören. Rolf Straub, Leiter der Soko, sagte am Nachmittag, dass in alle Richtungen ermittelt werde, Schwerpunkt sei dabei aber als Motiv ein fremdenfeindlicher Hintergrund. Allerdings könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Anschlag der Security habe gelten können.

Kriminalbeamte der Spurensicherung untersuchen in Villingen-Schwenningen vor einer Flüchtlingsunterkunft den Tatort.
Kriminalbeamte der Spurensicherung untersuchen in Villingen-Schwenningen vor einer Flüchtlingsunterkunft den Tatort.

© dpa/Patrick Seeger

Die Nachbarschaftsbefragung sei so gut wie abgeschlossen und es gebe auch erste Hinweise, die aber noch recht unkonkret seien. Fest stehe aber nach derzeitigem Kenntnisstand, dass niemand den Wurf der Handgranate gesehen habe. Die Ermittlungsbehörden stehen auch mit dem Verfassungsschutz in Verbindung.

Angestellte des Sicherheitsdienstes der Flüchtlingseinrichtung hatten den Sprengkörper um 1.15 Uhr entdeckt. Entschärfer des Landeskriminalamtes sprengten die Handgranate gegen 5 Uhr morgens. 12 Personen seien evakuiert worden. Verletzt wurde niemand, es entstand kein Schaden.

Der Angriff ist bundesweit der erste Fall, bei dem Sprengstoff zum Einsatz kam. „Bis jetzt hatten wir zwar mehrere Fälle, in denen Pyrotechnik verwendet wurde“, sagte eine Sprecherin des Bundeskriminalamts (BKA). „Dass nun eine Kriegswaffe zum Einsatz gegen eine Flüchtlingsunterkunft kam, ist neu.“

Politiker reagieren bestürzt

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zeigte sich erschüttert über den Anschlag. "Das Ausmaß der Gewalt ist erschreckend", erklärte Maas am Freitag in Berlin. "Wir können alle nur dankbar sein, dass dieses Mal niemand verletzt wurde." Die Täter dürften nicht ungestraft davon kommen. "Sie müssen konsequent ermittelt und bestraft werden", forderte Maas. "Der Anstieg von Angriffen gegen Flüchtlinge, Helfer oder Polizisten ist insgesamt dramatisch", erklärte Maas. Die "neue Qualität der Hetze und Gewalt" müsse allen Demokraten ein Ansporn sein, noch entschiedener für eine offene und tolerante Gesellschaft einzutreten. "Sprengkörper auf Flüchtlingsheime fliegen heute schon, wir dürfen nicht abwarten, bis es die ersten Toten gibt", mahnte der Justizminister.

Grünen-Chefin Simone Peter sagte: "Der Angriff mit einer Handgranate ist eine neue, erschreckende Kategorie des Hasses, die ein schrillendes Alarmsignal sein muss." Die Zahl der Gewalttaten auf Flüchtlingseinrichtungen in Deutschland habe sich im vergangenen Jahr versechsfacht. "Der Kampf gegen rechten Terror muss von der Kanzlerin zur Chefsache gemacht werden", forderte Peter.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte: „Also das ist wirklich unfassbar, dass jetzt schon mit Handgranaten - quasi mit militärischen Waffen - auf Asylsuchende losgegangen wird. Wir müssen einfach alles dafür tun, dass wir Extremismus [...], der die rote Linie überschreitet und zu Gewalt übergeht, dass wir den gesellschaftlich radikal ächten.“ CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf nannte die Attacke einen „Anschlag gegen die Menschlichkeit.“ Die Tat müsse mit der ganzen Härte des Rechtsstaates verfolgt und bestraft werden.

De Maizière" "Bei Gewalt da hört es auf"

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zeigt sich besorgt über die sprunghafte gestiegene Zahl der Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte. „Das ist nicht zu akzeptieren“, sagte er am Freitag im ARD-„Morgenmagazin“. Er verstehe Sorgen und Kritik angesichts des Flüchtlingsthemas: „Aber bei Gewalt - da hört es auf.“ In Deutschland gebe keinen Grund, gewalttätig zu werden. Nötig sei eine klare Grenzsetzung in der politischen Auseinandersetzung.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte "Spiegel Online", Handgranaten seien "Kriegswaffen". Wer diese gegen Flüchtlingsunterkünfte werfe, sei ein "Terrorist". Den Tätern gehe es darum, ohne Rücksicht auf Menschenleben Angst und Schrecken zu verbreiten. Politik und Gesellschaft seien deshalb gefordert, sich klar dagegen zu positionieren.
Der Minister bezeichnete es als neues Phänomen, dass die Gewalt „in einen Teil der Mitte der Gesellschaft kriecht“. Dagegen helfe nur eine harte Verfolgung der Straftaten durch die Justiz, betonte er.

Laut Bundeskriminalamt ist die Zahl der Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte im vergangenen Jahr dramatisch angestiegen. 2015 wurden 173 Gewalttaten gezählt, 145 mehr als 2014, wie das BKA am Donnerstag mitgeteilt hatte. Die Zahl der Brandstiftungen stieg von sechs auf 92. Die Gesamtzahl der Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte verfünffachte sich: von 199 auf 1.005. (dpa, epd)

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