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Kirche und Liebe: Mehr als ein Gefühl

Franziskus lobt die Ehe und schließt Homosexuelle aus. Das mindert die Glaubwürdigkeit. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Claudia Keller

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Die Ehe steht für tiefe Gefühle, maximale Verlässlichkeit und innige Sexualität. Danach sehnen sich die allermeisten Menschen. Auch viele Jugendliche wünschen sich die eine große, verbindliche Partnerschaft, wie Umfragen immer wieder ergeben. Und selbst viele derjenigen, die schon einmal gescheitert sind, verlieben sich ein zweites oder drittes Mal – und feiern Hochzeit. Das Ideal ist nicht verblasst, auch wenn fast jede zweite Ehe in Deutschland geschieden wird.

Die Ehe steht für tiefe Gefühle und maximale Verlässlichkeit

Die große, tiefe Liebe, die in eine Ehe mündet, ist auch das Ideal der beiden christlichen Kirchen. Sie könnten den Menschen nahekommen, ihnen Orientierung bieten und konkrete Hilfe. Sie könnten so wichtig sein, denn die politischen Parteien und viele andere gesellschaftliche Institutionen haben ihren Blick so sehr auf die Patchworkfamilien und Lebensabschnittsbeziehungen gerichtet, auf die Brüche, Trennungen und Scheidungen mit all ihren sozialen Folgen, dass sich kaum noch jemand traut, von der Utopie der großen, dauerhaften Liebe zu sprechen.

Doch die Kirchen haben ihre Bindungskraft verloren. Zu rigide, zu lebensfern erscheint vielen die katholische Sexualmoral. Und wenn evangelische Bischöfe mahnen, hören viele weg, weil sie denken, die erlauben ja sowieso alles.

Die Kirchen sollen Normen setzen

Die Kirchen sollen Ideale in Normen gießen und diese glaubwürdig vertreten. Dazu gehört, den Menschen die Normen nicht um die Ohren zu hauen. Selbstkritisch gibt Papst Franziskus zu, dass seine Bischöfe und Priester zu häufig wie „Kontrolleure der Gnade“ auftreten und nicht wie ihre Förderer. Er hingegen wirbt voller Freude und bisweilen sogar mit zärtlichen Worten für die eheliche Liebe, für ihr Wachsen und ihre Tiefe und appelliert an das Beste in den Menschen. Ausführlich geht er auch auf die Schwierigkeiten einer Beziehung ein und findet eine gute Mischung aus Realismus und Utopie. Viele werden sein Schreiben „Freude der Liebe“ als echte Ermutigung lesen.

Leider hat dieses Schreiben eine entscheidende Glaubwürdigkeitslücke: Die schwulen und lesbischen Paare sind von allem Guten und Freudigen ausgenommen. Für sie gibt es keine Hoffnung, Franziskus spricht ihnen letztlich die volle Liebesfähigkeit ab und damit auch ein Stück weit ihr Menschsein – einzig und allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Er stempelt sie zu Liebenden zweiter Klasse ab, weil sie sind, wie sie sind. Das Korsett der katholischen Norm schmälert ihre Glaubwürdigkeit.

Der Papst stempelt Homosexuelle zu Liebenden zweiter Klasse ab

Die evangelische Kirche geht den umgekehrten Weg. Sie ist dabei, diese Glaubwürdigkeitslücke zu schließen. An diesem Samstag will die evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz als dritte Landeskirche schwule und lesbische Paare vor dem Traualtar mit heterosexuellen Eheleuten gleichstellen. Das Ideal der lebenslänglichen Liebe ist geblieben, aber an die Stelle der alleinigen Ehe-Norm sind Werte getreten: Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und die generationenübergreifende Fürsorge sind die Kriterien, nach denen die evangelische Kirche Beziehungen bewertet. Doch für Werte zu werben und sie einzufordern, ist schwieriger, als eine klare Norm vorzugeben. Die evangelische Kirche muss achtgeben, dass sie ihre Glaubwürdigkeit nicht zulasten der eigenen Verbindlichkeit aufgibt. Denn dann wäre sie keine Kirche mehr.

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