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Ein Wesen mit Reißzähnen schluckt Europa. "Rothschildbank" heißt es drei Mal in seinem Raketenschweif.

© Frohn

"Unsägliches Elaborat": Schulbuchverlag druckte antisemitische Grafik

Klett-Verlag stampft Titel für den Politikunterricht in der Oberstufe ein und leistet Abbitte

„Seit zwei Jahren schon bebt Europa unter der Krise….“, beginnt ein Kapitel im Politik-Schulbuch „Anstöße 2“. Überschrieben ist es mit der Zeile „Europas Zahltag“. An wen Europa zahlt, veranschaulicht eine Grafik. Ein Kugelkopf mit Reißzähnen ist im Begriff, Europa zu verschlingen. Auf dem Raketenschweif, den das Wesen hinter sich herzieht, steht drei Mal in blass gelber Schrift: „Rothschildbank“. Das werden die Schüler nicht auf den ersten, wohl aber auf den zweiten Blick erkennen. Ein jüdisches Bankhaus ist für Europas Misere verantwortlich, können sie folgern und ein antisemitisches Stereotyp bedienen, wonach geldgierige Juden die Welt ins Unglück stürzen.

Seit 2012 wird das Buch in der Oberstufe eingesetzt. Doch erst jetzt fiel auf, dass es eine antisemitische Grafik enthält. Ihr Urheber ist der US-amerikanische Künstler David Dees, der auf seiner Homepage noch mehr antisemitische Darstellungen veröffentlicht hat. Darauf weist der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck hin, der über Facebook auf die Grafik aufmerksam wurde. So stellt Dees den jüdischen Investor George Soros als Monster dar. Ein weiteres Bild zeigt einen orthodoxen Juden, der über das in Flammen aufgehende Frankreich lacht.

Weitere Grafiken des antisemitischen Künstlers David Dees gibt es in Klett-Büchern nicht

Wie konnte eine antisemitische Grafik in ein Schulbuch gelangen?, will Beck jetzt vom Klett-Verlag und den Schulministern der Länder wissen. Der Klett-Verlag reagierte sofort. Er teilte Beck mit, die Grafik sei dem Verlag schon Mitte Januar durch einen Journalisten einer Studierendenzeitung bekannt geworden. Die Schulbuch-Redaktion sei aufgefordert worden, Restbestände des Titels, der in acht Bundesländer verkauft wurde, einzustampfen. Auf der Homepage des Unternehmens wird Schulen angeboten, das Buch gegen eine überarbeitete Neuausgabe auszutauschen. Online können Schulen eine Austauschseite finden.

In anderen Büchern von Klett seien keine Grafiken von Dees verwendet worden, erklärt Tilo Knoche, Geschäftsführer von Klett, in seinem Brief an Beck. Dees’ Grafik sei damals kurzfristig in das Buch aufgenommen worden, weil für die ursprünglich vorgesehene Grafik keine Abdruckrechte eingeholt werden konnten. So sei über Bilddatenbanken und Suchmaschinen Ersatz gesucht worden. Dees’ Grafik sei dabei „in Grobdaten“ angezeigt worden. Der halbtransparente Schriftzug „Rothschild“ sei darum „nachweislich leider nicht zu erkennen“ gewesen. Erst unmittelbar vor der Druckfreigabe seien die Grob- durch Feindaten ausgetauscht worden. Warum die Grafik bei der letzten Abnahme nicht entdeckt wurde, treibt den Verlag, der im Jahr über 1000 Titel publiziert, nun um.

In Berlin entscheiden die Schulen selbst über ihre Bücher - auf der Basis von Regeln

Kletts Mitarbeiter, besonders die Redakteurinnen und Redakteure, würden regelmäßig geschult, auch mit Workshops über Antisemitismus, schreibt Knoche. Generell würden externe Expertinnen und Experten bei der Entwicklung von Manuskripten einbezogen. Mit dem Abdruck der Grafik sei Klett seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden und wolle „entsprechende Vorkehrungen treffen“. Außerdem habe der Verlag schon in der vergangenen Woche darüber diskutiert, „zu dieser Karikatur und den ganzen unsäglichen Elaboraten rechtsextremer und antisemitischer Graphiker eine eigene Unterrichtseinheit zu erstellen“.

Vermutlich handelt es sich um einen Einzelfall. Die deutsch-israelische Schulbuchkommission, die vier Jahre lang 400 Titel zu Israel und dem Holocaust untersucht hat, kritisierte in ihrem Abschlussbericht zwar ein einseitiges Israelbild. Aber: „Genuin antisemitische Texte oder Bilder haben wir jedoch in den von uns untersuchten Kapiteln nicht entdeckt“, heißt es auf Nachfrage.

Wie Schulbücher kontrolliert werden, wird in den Ländern unterschiedlich gehandhabt. In Berlin, wo das Buch „Anstöße2“ wie auch in Brandenburg nicht eingesetzt wurde, entscheiden die Schulen selbst darüber, welche Bücher sie verwenden – aber auf der Basis einer Regelung. Danach sind zum Beispiel keine Bücher erlaubt, die „ein geschlechts-, religions- oder rassendiskriminierendes Verständnis fördern“.

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