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Bei drei Turniersiegen in Serie kommt Routine auf. Fernando Torres feiert den EM-Titel 2012 ruhig mit seinen zwei Kindern.

© Fehim Demir/dpa

Große Fußballabende in Kiew: Tiki-Taka und Schewtschenkos Nacht des Lebens

Im Olympiastadion von Kiew, wo am Samstag der Champions-League-Sieger gekürt wird, gab es schon viele große Spiele. Auch solche, die die Ukraine einst geeint erscheinen ließen.

1. Juli 2012, EM-Finale: Spanien – Italien 4:0

Als alles vorbei ist, spielt Fernando Torres mit seinen Kindern. Er hat an diesem lauen Juli-Abend vor sechs Jahren gerade mit Spanien die Europameisterschaft gewonnen und ist ganz nebenbei auch noch Torschützenkönig geworden. Das muss gefeiert werden, auf dem Rasen des Kiewer Olympiastadions mit Leo und Nora Torres, er trägt ein spanisches Trikot mit der Nummer 9 und sie hält eine Puppe im Arm. So endet im familiären Rahmen ein furioses Endspiel, gezeichnet von virtuosen Spaniern und traurigen Italienern. 4:0 triumphiert der Weltmeister, und niemand ahnt, dass an diesem 1. Juli 2012 in Kiew eine Ära zu Ende geht. Nach der Europameisterschaft 2008 und der Weltmeisterschaft 2010 gewinnen die Spanier ihr drittes großes Turnier in Serie. Mit Iker Casillas im Tor, der überragenden Innenverteidigung Gerard Piqué und Sergio Ramos. Xavi Hernandez, Andres Iniesta und Sergio Busquets zelebrieren noch einmal ihr Tiki-Taka in Vollendung. Und doch ist etwas anders als in den Jahren zuvor. Der Glanz früherer Tage ist etwas verblasst, Trainer Vicente del Bosque hat das Spiel seiner Mannschaft defensiver gemacht, manchmal bietet er keinen einzigen Angreifer auf. Fernando Torres erlebt die Europameisterschaft weitgehend auf der Ersatzbank. Dass er trotzdem EM-Torschützenkönig wird, mit gerade drei Toren in 189 gespielten Minuten, spricht nicht für die Qualität des Turniers. Das Finale ist das einzige Spiel, in dem die Spanier groß aufspielen. David Silva und Jordi Alba legen in der ersten Halbzeit ein 2:0 vor. Das hält bis in die Schlussphase, in der wieder mal Fernando Torres eingewechselt wird und sofort sein Tor macht, Juan Mata legt noch ein viertes nach. Nach dem Spiel gratuliert der König per Telefon in der Kabine. Und Fernando Torres spielt mit seinen Kindern.

11. Juni 2012, EM-Vorrunde: Ukraine – Schweden 2:1

Bei der EM 2012 machte sich Andrej Schwetschenko mit zwei Toren im Eröffnungsspiel unsterblich.
Bei der EM 2012 machte sich Andrej Schwetschenko mit zwei Toren im Eröffnungsspiel unsterblich.

© Srdjan Suki/dpa

Andrej Schewtschenko spricht von der Nacht des Lebens. Er erlebt sie im für einen Fußballprofi reifen Alter von 35 Jahren, obwohl er doch vorher schon die Champions League gewonnen hat und die italienische Meisterschaft. Aber dieses Eröffnungsspiel der ukrainischen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft daheim ist noch einmal etwas anderes. Der Fußballspieler Andrej Schewtschenko hat seine noch gar nicht so lange unabhängige Heimat in der ganzen Welt berühmt gemacht, zuletzt aber nur noch ein bisschen aus Spaß für Dynamo Kiew gekickt und sonst lieber Golf gespielt. Dass er gegen Schweden in der Startelf steht, kommt schon ein bisschen überraschend. Es läuft erst mal nicht so gut. Schewtschenko steht viel herum und vergibt kläglich zwei große Chancen. Kurz nach der Pause geht Schweden durch Zlatan Ibrahimovic in Führung und es wird still im Stadion. Jetzt braucht die Heimat ihren Helden – und sie bekommt ihn. Zehn Minuten genügen Schewtschenko, um das Spiel zu drehen. Zweimal hält er den Kopf genau dorthin, wo er im entscheidenden Augenblick sein muss. Mit diesen beiden Toren beschert er der Ukraine einen 2:1-Sieg und Kiew eine rauschende Party. Schewtschenko setzt sich in seinen Porsche und fährt zurück nach Hause – Nationalhelden haben ihre Privilegien. Als er an einem Fußgängerüberweg hält, fährt hinten ein Geländewagen auf. Kleiner Blechschaden, Schewtschenko passiert nichts, und selbstverständlich bekommt der Unfallverursacher ein Autogramm.

10. November 2001, WM-Relegation: Ukraine – Deutschland 1:1

Michael Ballack trifft und Alexander Zickler jubelt. 2001 quält sich die Nationalmannschaft über den Umweg Relegation zur WM.
Michael Ballack trifft und Alexander Zickler jubelt. 2001 quält sich die Nationalmannschaft über den Umweg Relegation zur WM.

© Bernd Weißbrod/dpa

Die Abwehr der deutschen Nationalmannschaft war schon vor dem Spiel in Grund und Boden geredet worden. Überaus peinlich waren zuvor das 1:5 gegen England und das 0:0 gegen Finnland gewesen. Eine Fußballnation fürchtete, die Weltmeisterschaft 2002 zu verpassen. Die letzte Chance war die Relegation, über die man sich als eines der letzten Teams noch für die WM qualifizieren konnte. Die Spiele gegen die Ukraine würden wegweisend sein. Und dann ging das in Kiew so los, wie man es gar nicht gebrauchen konnte: mit einem Pfostenschuss Andrej Worobeis nach nur 80 Sekunden. Als Gennadij Zubow dann nach 18 Minuten zur Führung der Gastgeber traf, war es um die Deutschen gänzlich geschehen. Völlig verunsichert durch die manischen 80.000 Zuschauer auf den Rängen, gelang ihnen erstmal gar nichts mehr. Selbst Oliver Kahn, der nun nicht eben für mangelndes Selbstwertgefühl oder Leisetreterei bekannt ist, gab später kleinlich zu Protokoll, dass der Geräuschpegel das Team irritiert habe. Zum Glück kam die von Rudi Völler trainierte Mannschaft doch noch rechtzeitig mit den Umständen zurecht. Die Defensive sortierte sich nach und nach. Dem Lärm im Stadion setzte Deutschland Kampf auf dem Platz entgegen. Und der gegnerische Superstar Andrej Schewtschenko, beim AC Mailand damals in der Blüte seiner Schaffenskraft, blieb weitgehend wirkungslos. Bei den Deutschen überzeugte vor allem Bernd Schneider. Gekonnt setzte er seine Mitspieler immer wieder mit präzisen Pässen in Szene. Schneider bereitete auch den Ausgleich durch Michael Ballack vor. Das 1:1 genügte als passable Ausgangsposition. Im Rückspiel gelang die Qualifikation. Und bei der WM kam Deutschland ja sogar bis ins Finale.

8. April 1999, Halbfinale der Champions League: Dynamo Kiew – FC Bayern 3:3

Baum fällt. Michael "Tanne" Tarnat schaut dem jungen Andrej Schewtschenko hilflos zu.
Baum fällt. Michael "Tanne" Tarnat schaut dem jungen Andrej Schewtschenko hilflos zu.

© Sergei Supinsky/dpa

Selten hatte der Kaiser so über seine Gefolgschaft geschimpft. Wie eine „Schülermannschaft“, sagte Franz Beckenbauer, hätten sich seine Münchner angestellt. Und der Präsident schwärmte. Nicht etwa vom Comeback der Bayern in letzter Minute. Sondern von den Ukrainern. Kiew hatte die Bayern ausgekontert. 82.300 Zuschauer sahen im Olympiastadion, wie der damals erst 22 Jahre alte Andrej Schewtschenko die Münchner schwindelig spielte und zwei Tore erzielte. Zwischenzeitlich führte Dynamo 2:0 und dank eines Treffers von Vitali Kossowski sogar 3:1. Die Münchner waren optisch überlegen, aber völlig frustriert. Haarsträubend waren die Fehler der Abwehr gewesen. Später kam heraus, dass einige Spieler von Fieber und Muskelschmerzen geschwächt waren. Es brauchte zwei Standardtore von Michael Tarnat und Stefan Effenberg, um nicht zu verzweifeln. Carsten Jancker hielt mit seinem Ausgleich in der Schlussminute die Hoffnung am Leben. „Auch der FC Bayern ist verwundbar“, bekannte Ottmar Hitzfeld. Der Trainer verzieh die Fehler, lobte gleichsam die Moral. Die Bayern gewannen dann das Rückspiel mit 1:0 und fuhren zum Finale. In Barcelona verloren sie aber ein noch denkwürdigeres Spiel – gegen Manchester United.

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