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Aggro-Attacke. In einer Szene müssen die Musiker ihre Instrumente zertrümmern.

©  Monika Rittershaus

"Der Zwerg" an der Deutschen Oper Berlin: Alma-Auftrieb mit Nachtmusik

Hoffnung bis zum letzten Takt: Tobias Kratzer inszeniert Alexander von Zemlinskys „Der Zwerg“ an der Deutschen Oper.

Da hat sie noch einmal einen Auftritt ergattert, die selbst ernannte General- Muse des frühen 20. Jahrhunderts, das einstmals schönste Mädel von Wien, die enervierende Alma Schindler. Ebenso pompös wie schwärmerisch nimmt sie in einem Salon Klavierunterricht entgegen, von einer „Karikatur“, die sie in ihrem Tagebuch als „furchtbar hässlich“ beschreibt. Ihr kleiner, kinnlos-linkischer Lehrer ist der Komponist Alexander von Zemlinsky. Aus dem eitlen Ekel der jungen Frau, kurzgeschlossen mit lüsternem Geniekult, entwickelt sich eine eruptive Liaison. Bis Zemlinsky zugunsten des nächsten halb abstoßenden, halb durch wüste Kunsterotik überhöhten Verhältnisses abtreten darf: Gustav Mahler wartet schon.

An der Deutschen Oper wird Zemlinskys 1922 uraufgeführtem Einakter „Der Zwerg“ ein Prolog vorgespannt, der Alma und Alexander zurück an den Flügel zwingt. Das Orchester spielt dazu Arnold Schönbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielscene“, zehn Minuten, die der Exposition dienen sollen – musikalisch, dramaturgisch. Lehrer und Schülerin schmeicheln sich, greifen hier und da auch wirklich in die Tasten, ringen ansonsten bald mit der Ohnmacht. Der zarte Zemlinsky (Evgeny Nikiforov) wirkt zutiefst verschreckt von der Aussicht, die wogende Frau in Altrosa (verkörpert von Adelle Eslinger, Gattin von Generalmusikdirektor Donald Runnicles) wolle sich ihm nähern, er schnappt nach Luft. Die kokette Schülerin schaltet irgendwann auf Verachtung um, auch die künstlerische Potenz des Lehrers scheint sie plötzlich nicht mehr zu reizen. Vom Kaminsims schaut Beethovens Büste grimmig dem Treiben zu. Drohende Gefahr, Angst, Katastrophe – dieser Erregungslinie folgt Schönbergs Komposition, die zwar noch ganz dem Geist des Stummfilms entsprungen ist, mit Klamotte aber nichts am Hut hatte. Doch viel mehr ist dieses Vorspiel mit großem Alma-Auftrieb nicht. Die Szene rumpelt sogar noch bei ihrem Abbau weiter.

Nach 90 Minuten ist alles vorbei

Warum also überhaupt dieser recht derbe Kunstgriff? „Der Zwerg“ ist kein klassisch abendfüllendes Werk, gleichzeitig ist es schwierig, ihn zu verkuppeln. Die Komische Oper hatte 2002 nur wenig Fortune mit einem Zemlinsky-Doppelgespann inklusive der „Florentinischen Tragödie“. Mit Schönberg, dem Schüler und späteren Schwager Zemlinskys, sollen immerhin pausenlose eindreiviertel Stunden herausspringen, am Ende ist nach 90 Minuten alles vorbei. Alma, oft genug als Urgroßvaters It-Girl auferstanden, erscheint dem Betrachter in „Der Zwerg“ zwangsläufig als wunderschöne Infantin Clara, die endlich die Geschenke zu ihrem 18. Geburtstag öffnen will. Sie feiert in einem strahlend weißen Konzertsaal, der für sie und ihre selfiesüchtigen Freundinnen der ödeste Ort der Welt sein muss. In dem Kleinwüchsigen, der ihr vom Sultan offeriert wird, hat sich der 1,59 Meter große Zemlinsky selbst bemitleidet und das Märchen von Oscar Wilde in gleißende Klänge gegossen: Eine schöne Seele, unkundig ihrer äußeren Gestalt, hält den Spott der Hofgesellschaft für Freundlichkeit und grausame Spiele für Liebe. Ihm bricht das Herz, als er seine wahre Gestalt erkennt. Vorher hat ihm Donna Clara noch so einen Alma- Satz um die Ohren gehauen: „Ich liebe dich aus Mitleid und Ekel.“

Nur wenig Zeit und ein kurzer Ausschnitt des Dramas bleiben Tobias Kratzer, um seine Geschichte zu erzählen. Der Regisseur, Jahrgang 1980, setzt gerade zum Sprung auf die großen Opernbühnen an, im Sommer soll er den Bayreuther Festspielen einen neuen „Tannhäuser“ bescheren. Seinen kühlen Stil sieht er als Pendant zur Überfülle von Zemlinskys Musik. Dabei hantiert Kratzer allzu leichtfertig mit dem, was uns doch beinahe heilig ist: Eine bemühte Bambule erschüttert den Konzertsaal, verzerrte Musiker zerkloppen ihre Instrumente in einer Aggro-Attacke und Komponistenbüsten werden zuhauf von ihren Sockeln gestoßen – allerdings zerspringen sie nicht theatralisch, sondern bleiben wie riesige Kaugummiberge einfach klebrig liegen. Kultur erscheint als irgendwie eklig, langweilig ist sie sowieso. Den Zwerg selbst verdoppelt der Regisseur mit dem Tenor David Butt Philip und dem kleinwüchsigen Schauspieler Mick Morris Mehnert. Clara weiß also nie so recht, wo sie eigentlich hinschauen soll. Daraus hätte man Funken schlagen können, doch leider wird dieses männliche Künstler-Doppelbild nicht wirklich ausgeleuchtet. Es bleibt wie alles in einer schalen Deutung, bei der man schon vorher weiß, wann der rosa Luftballon platzen muss. Das Schlimme ist, dass es auch genau so kommt.

Symbiose von Seele und Sinnlichkeit

Und mehr existiert einfach nicht. Die Hoffnung aber lebt bis zum letzten Takt, denn im Graben steht Musikchef Runnicles vor seinem Orchester. Der Schotte, im Sommer zehn Jahre am Haus, gehört zu den Pragmatikern am Pult, die genau wissen, was sie aus einer Partitur herausholen können. Bei Zemlinsky aber lässt ihn sein Gespür im Stich. Zu selbstsicher und solide tönt diese Musik, die erst im Zweifel erblüht und immer wieder dazu ansetzt, die Schönheit zu retten und die fragile Wahrheit in ihr. Die Nachtmusik tastet sich an eine Symbiose von Seele und Sinnlichkeit heran, entwirft schillernde Gegenwelten, sucht nach Urvertrauen. Diese Dimensionen muss man sich schon dazudenken in der mit breitem Pinsel aufgetragenen Spätromantik, die so vor allem eines scheint: viel zu spät. Dazu kommt die katastrophale Aufstellung des Damenchors auf der Orgelempore von Kratzers Konzertsaal. So gibt es weder Koordination noch klanglichen Rahmen, der Auftritt wird akustisch komplett verschluckt.

Ensemblemitglied Elena Tsallagova ist als Donna Clara hingegen ein Lichtblick in dieser Produktion. Eher unbekümmert als mit rhetorischer Schärfe entwickelt sie ohne Peinlichkeiten das Bild einer vom Schicksal verwöhnten, aber nicht gänzlich ungefährdeten jungen Frau. Ihr Gegenüber David Butt Philips als Sänger der Zwerg-Partie antwortet auf das satte Orchesterrauschen mit viel jugendlicher Kraft. Darunter leidet jedoch die Faszination, die von der lyrisch empfindsamen Titelfigur ausgehen müsste. Der britische Tenor klingt, als habe er den Blick fest auf kommende Heldenrollen am Horizont geheftet. Einen Zwerg übersieht man da leicht.

Am Ende steht Regisseur Kratzer sichtlich überrascht im üppigen Premierenapplaus. Auch Zemlinsky würde sich wundern. Nur Alma nicht. Warum auch. Schließlich hat sich wieder einmal alles um sie gedreht.

Weitere Vorstellungen am 27. und 30. März sowie am 7. und 12. April

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