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„Verpasste Chance“: Kretschmer rügt Wehrdienst-Modell und fordert Volksentscheid
Sachsens Ministerpräsident hat große Zweifel am Modell der Koalition. Der CDU-Politiker plädiert für einen Pflichtdienst für Frauen und Männer. Auch eine Studie von Wirtschaftsexperten warnt.
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Lange hatte die Regierung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) gestritten, am Donnerstag präsentierten Union und SPD dann ihren Kompromiss für einen neuen Wehrdienst – und erfahren Widerspruch auch aus den eigenen Reihen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kritisierte die Pläne als „verpasste Chance“.
Das Modell für den Wehrdienst sieht eine Pflichtmusterung für alle jungen Männer ab Jahrgang 2008 und klare Aufwuchsziele für die nächsten Jahre vor. Die schwarz-rote Koalition will mit dem an Schweden angelehnten neuen Wehrdienst allerdings zunächst auf rein freiwilliger Basis genug Rekruten für die Bundeswehr gewinnen. Eine Verpflichtung soll es durch das neue Gesetz nicht geben.
Ich hätte es für richtiger gehalten, dass die Bevölkerung über verschiedene Modelle abstimmt und der Bundestag dieses Votum dann aufgreift.
Michael Kretschmer, sächsischer Ministerpräsident (CDU)
Falls die angestrebte Truppenstärke verfehlt wird, soll aber eine „Bedarfswehrpflicht“ greifen. Über diese müsste der Bundestag erneut abstimmen. Kritik an den Plänen hatte es zuvor auch aus der Opposition und von Schülern gegeben.
Institut der deutschen Wirtschaft äußert Zweifel am Wehrdienst
Kretschmer sagte der Funke Mediengruppe, allein für die Frage, ob nur junge Männer oder auch junge Frauen betroffen sein sollen, sei eine breite gesellschaftliche Diskussion erforderlich. „Ich hätte es für richtiger gehalten, dass die Bevölkerung über verschiedene Modelle abstimmt und der Bundestag dieses Votum dann aufgreift.“
Kretschmer sprach sich für einen verpflichtenden Dienst – militärisch oder zivil – für junge Männer und Frauen gleichermaßen aus. Dieser solle zwölf Monate dauern und zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr geleistet werden.
Dafür brauche es eine Änderung des Grundgesetzes und dafür gebe es derzeit keine Mehrheit, räumte Kretschmer ein. Jedoch könne eine Volksbefragung darüber „den notwendigen politischen Druck nehmen – und zugleich den gesellschaftlichen Rückhalt schaffen, den dieses Projekt braucht“.
Der Präsident des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, hält die Wiedereinführung der Wehrpflicht trotz der Einigung auf ein Freiwilligenmodell unterdessen langfristig für unumgänglich. „Auf lange Sicht wird es ohne Wehrpflicht nicht gehen, weil wir vermutlich mehr als 200.000 Reservisten brauchen werden“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Reservistenverband hält Wehrpflicht für nötig
„Das werden wir nur mit einer Wehrpflicht schaffen.“ Für die kommenden Jahre sei das geplante Gesetz aber ambitioniert genug. Es müsse nun schnell umgesetzt werden.
Auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) warnt in einer Studie vor zu optimistischen Annahmen für einen schnellen Aufwuchs der Bundeswehr. Aus ökonomischer Sicht sei es ratsam, den neuen Wehrdienst so attraktiv zu gestalten, dass das benötigte Personal auf freiwilliger Basis gewonnen werden könne, heißt es in einer Untersuchung, über die die Agentur dpa berichtet.
Die Wirtschaftsexperten haben demnach dafür unterschiedliche Szenarien durchgerechnet und bisherige Erfahrungen aus Deutschland und Schweden einbezogen. „Um die Sollstärken schon 2035 zu erreichen, bräuchte es einen schnelleren und deutlicheren Hochlauf der Ausbildungskapazitäten bis auf 50.000 freiwillig Wehrdienstleistende im Jahr 2029“, schreiben sie.
Dies entspräche 7,7 Prozent des Jahrgangs 2011 oder 15,1 Prozent der Männer. Schweden strebe schon 2026 einen Anteil von 8,1 Prozent aller Frauen und Männer an.
„Es erscheint noch im Bereich des Möglichen, diese Ziele ohne Wehrpflicht zu erreichen und mit der gegebenen Vorlaufzeit baulich umzusetzen. Dies dürfte jedoch ein großer Kraftakt werden“, heißt es in der IW-Studie.
Die Autoren bescheinigen dem neuen Wehrdienst, er sei „finanziell hochattraktiv – zumal als Soldat im Alltag kaum Kosten anfallen“. Mit den bisherigen Plänen steige der Einstiegssold in der Bundeswehr von etwa 1700 Euro auf 2400 Euro netto im Monat. „Das ist mehr, als die meisten jungen Menschen verdienen“, wird festgestellt.
Das mittlere Netto-Entgelt abhängig beschäftigter kinderloser Singles unter 25 Jahren liege je nach Quelle und Abgabenlast bei etwa 2.050 bis 2.350 Euro monatlich. Die Studie nennt dem Bericht zufolge zum Vergleich: In Schweden erhalten Wehrdienstleistende 400 Euro netto im Monat und die Gesamtsumme ihrer Bezüge noch einmal als „Ausbildungsprämie“ bei Ausscheiden.
Für Deutschland könne es sinnvoll sein, die Auszahlung stärker an ein Durchhalten zu knüpfen, wie es in Schweden der Fall sei. „Damit könnten unerwünschte Mitnahmeeffekte reduziert und die hohen Abbruchquoten gesenkt werden“, schreiben die Autoren demnach weiter.
Es sei niemandem geholfen, wenn viele Menschen durch ein System geschleust würden, das später weder Soldaten auf Zeit noch Reservisten hervorbringe, heißt es in der Studie.
Und: „Es muss deshalb darum gehen, über den Wehrdienst diejenigen zu finden, die ihre militärischen Fähigkeiten dauerhaft aufrechterhalten und das Land im Ernstfall verteidigen wollen.“
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