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Gefährdet: Vor allem unbegleitete Kinder und Jugendliche brauchen auf der Flucht besonderen Schutz.

© picture alliance / dpa

Pro Tag kommen elf Unbegleitete: Berlin braucht dringend Unterkünfte und Helfer für minderjährige Geflüchtete

So viele Kinder und Jugendliche ohne Eltern wie seit 2015/16 nicht mehr erreichen Berlin. Der Senat sucht mit dem Projekt „UMGeben“ Ehrenamtliche und Kleidung.

Berlin wird für immer mehr junge Leute aus Ländern, in denen der Einzug zum Militär droht und Armut in Diktaturen, zum Sehnsuchtsort. In diesem Jahr erreichten so viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge die Stadt wie seit 2015/16 nicht mehr. Bis Ende November waren es 2727, im Jahr 2015 waren es 4252 – im vergangenen Jahr hingegen nur 699 Kinder und Jugendliche. Jeden Tag kommen nach Angaben von Jugendsenatorin Astrid Busse (SPD) im Schnitt elf Kinder und Jugendliche ohne Eltern an.

So sehr sich Mitarbeitende der Behörden auch mühen, die ohne ihre Eltern teils Jahre auf der Flucht befindlichen Jugendlichen unterzubringen, zu betreuen und zu integrieren – die Plätze, die die Stadt in der Jugendhilfe aufbieten kann, sind offensichtlich so gut wie ausgereizt. Der Senat hat sie bei freien Trägern in Wohngruppen, in Hostels und Hotels in den vergangenen Monaten verzehnfacht. Doch sie reichen nicht.

Aktuell sind in Berlin 682 Plätze für die Erstaufnahme beim Landesjugendamt und 290 für das Clearingverfahren belegt, in dem Schulstand, Asylbegehren, der Wille der Eltern nach Familiennachzug und die gesundheitliche Verfassung geprüft werden. Hier schafft der Senat wöchentlich 80 neue Plätze, wie der Staatssekretär der Jugendverwaltung, Aziz Bozkurt jetzt mitteilte. Danach werden jungen Menschen nach einem Schlüssel auf die Jugendämter der Bezirke verteilt.

Diese haben zunehmend Schwierigkeiten, Jugendliche im Regelsystem unterzubringen. Die aktuell Berlin erreichenden jungen Geflüchteten sind vergleichsweise älter als 2015/16, sie geben zumeist an, 16 oder 17 Jahre alt zu sein. Nach Stand 15. November waren aber auch 126 Kinder unter 14 Jahren, meist über Schlepperrouten gekommen, nun vom Landesjugendamt untergebracht.

Und während das Landesamt weitere Erstaufnahmestellen zur Klärung der Lage der jungen Leute einrichtet, gehen dem Hilfesystem nach Tagesspiegel-Informationen pädagogisches Personal und Unterkünfte aus. Es werden bereits fachverwandte Berufe bei der Betreuung der Teenager ohne familiären Halt eingesetzt. Viele sind in Hostels lange Zeit sich selbst überlassen.

Die einen wollen Party, die anderen ihre Ruhe

Betreuenden zufolge kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen Geflüchteten unter 18 Jahren. Einerseits sind dort junge Leute aus der Ukraine, die dem Militär in kurzer Zeit per Reisebus entkamen und jetzt teils „Party machen wollen“. Andererseits kommen zumeist männliche Jugendliche vor allem aus Afghanistan, Syrien, dem Libanon, vielen afrikanischen Staaten und Kurden aus der Türkei.

Sie haben eine teils traumatisierende Flucht über Jahre ohne Mutter und Vater sowie ein Dasein unter inhumanen Bedingungen in Flüchtlingslagern und auf Fluchtrouten hinter sich – und sehnen sich laut Pädagog:innen einfach nur nach Ruhe und einem Bett.

Gesucht: Freizeitbetreuer:innen und Lehrer:innen auf Rente

Der Senat hat mit der „SozDia Stiftung Berlin“, der Spendenbrücke Ukraine, der Flüchtlingskirche und Tamaja jetzt die Koordinierungsstelle „UMGeben“ geschaffen. Sie soll im ersten Schritt bürgerschaftliches Engagement etwa freiwilliger Freizeitbetreuer oder ehemaliger Deutschlehrer sowie Spenden warmer, jugendgerechter Winterkleidung (ab Größe 164) und -schuhe bei neuen speziellen Abgabestellen bündeln.

Die Fürsorge für die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten (UMG) sei die „Königsdisziplin“ der Flüchtlingshilfe, sagte Bozkurt bei der Vorstellung des neuen Projektes. Die Senatsjugendverwaltung plant, die Kapazitäten der ehrenamtlichen Vormünder und die der Jugendberufshilfe hochzufahren sowie die bezirklichen Pflegefamiliendienste einzubeziehen. Die jugendpolitische Sprecherin der Linken, Katrin Seidel, und die Grünen-Jugendexpertin, Marianne Burkert-Eulitz, begrüßten das.

Für alle unter 18-Jährigen gilt besonderer Kinderschutz, weswegen Schicksale der besonders leidenden Flüchtlinge selten öffentlich werden. Sie müssen hier vor sexualisierter Gewalt geschützt werden, weshalb auch die gesuchten Ehrenamtlichen laut Pfarrer Peter Dennebaum, Projektleiter von „UMGeben“, ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen.

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