zum Hauptinhalt

Berlin: … zum Guten

Fast alles, was an Berlin gut ist, hängt mit der Armut der Stadt zusammen. Berlin ist nicht trotz seiner Armut sexy, sondern wegen seiner Armut.

Fast alles, was an Berlin gut ist, hängt mit der Armut der Stadt zusammen. Berlin ist nicht trotz seiner Armut sexy, sondern wegen seiner Armut. Künstler und Bohemiens kommen nach Berlin, weil es trotz aller Klagen der Einheimischen immer noch relativ billige Wohnungen gibt, verglichen mit New York, Paris oder London. Die grüne Umgebung verdanken wir der Tatsache, dass es bis vor ein paar Jahren keinen Speckgürtel aus Industrie und Gewerbe gab, es gibt zum Glück auch keine nennenswerten Bodenschätze. Das legendäre Nachtleben? Zum Teil eine Folge des Zusammenbruchs der Berliner Industrie und des Krieges, der reichlich Abenteuerspielplätze geschaffen hat, Ruinen, Keller, Bunker. Die Parks? Sie wurden angelegt, weil das Proletariat in seinen Mietskasernen ein bisschen Auslauf brauchte, sonst wäre es zu schnell weggestorben.

Wie gesagt, reiche Städte sind langweilige Städte. Aber bis Berlin eine reiche Stadt wird, wie Zürich oder München, muss noch viel passieren. Ich mache mir da keine Sorgen. Eine Stadt entwickelt sich immer, man kann sie nicht in einem bestimmten Zustand einfrieren, auch wenn man diesen Zustand schön findet. Mir würden für Berlin schon ein paar Jahreszahlen zum Einfrieren einfallen, 1990 zum Beispiel, war das nicht eine wunderbare Zeit? Aber es geht nicht, die Geschichte kennt keine Auszeiten, im Gegensatz zum Basketball. Es geht entweder aufwärts oder abwärts mit der Wirtschaft, die Stadt wird entweder reicher oder ärmer. Und da ist ein allmählich wachsender Wohlstand sicher die bessere Richtung.

Vom wachsenden Wohlstand haben ja auch diejenigen etwas, die nicht für die neuen Jobs zum Beispiel in den Kreativbranchen infrage kommen und die rettungslos am Tropf des Staates hängen. Die Stadt nimmt Geld ein, wenn es Jobs gibt, und von diesem Geld bezahlt sie unter anderem ihre sozialen Leistungen. Das vergessen diejenigen, die gegen die Gentrifizierung protestieren und von Vertreibung durch die Reichen reden. Die Reichen sind es ja, die über Steuern dafür sorgen, dass der Staat und die Stadt etwas zu verteilen haben, und, na klar, irgendwo müssen sie wohnen.

Man kann die Stadtviertel nicht zu Museen erklären. Es lässt sich praktisch auch gar nicht durchführen, es sei denn, man schafft die Freizügigkeit, die Freiheit des Marktes und noch ein paar Grundrechte ab. Wenn Kreuzberg teuer und edel wird, was nicht morgen oder übermorgen passieren wird, aber langfristig passieren könnte, dann werden eben andere Viertel die Rolle von Kreuzberg übernehmen. Nicht Friedrichshain, das entwickelt sich so schnell, dass es Kreuzberg bei der Gentrifizierung eher noch überholt. Vielleicht der Wedding. Seit zwanzig Jahren heißt es immer wieder: Der Wedding kommt. Dazu hat es schon ein Dutzend Geschichten in den Stadtmagazinen gegeben. Aber irgendwann kommt der Wedding tatsächlich, ganz bestimmt. Auch die Gegend um die Potsdamer Straße und die Kurfürstenstraße ist billig und zentral, da ziehen jetzt viele Leute hin. Berlin ist groß und wird niemals den Reichen allein gehören. Vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube nicht, dass Berlin jemals eine Stadt ohne Nischen, Leerstellen und Abenteuerspielplätze sein wird. Kein Regime und kein System hat Berlin jemals ganz in den Griff bekommen.

Früher wohnte ich auch lange in Charlottenburg. Das Haus gehörte einer süddeutschen Familie, die eines Tages Geld brauchte und an eine Düsseldorfer Immobilienfirma verkaufte. Die hat dann aus den recht günstigen Mietwohnungen teure Eigentumswohnungen gemacht. Das war einer der Gründe, aus denen ich wieder in Kreuzberg gelandet bin, ich kenne Gentrifizierung also aus beiden Perspektiven, als Opfer und als Täter. Jeder kann jederzeit die Rolle wechseln in diesem Spiel, denn wer sagt denn, dass der Arme immer arm bleibt und der Wohlhabende immer wohlhabend?

In Deutschland glauben viele Leute, dass sie auf der Sprosse der sozialen Leiter, auf der sie sich gerade befinden, ihr Leben lang sitzen bleiben werden. Die Hoffnung auf Aufstieg ist irgendwie verschwunden. Als ich ein Baby war, lebten meine Eltern und ich in einer Einzimmerwohnung hinterm Bahnhof, heute wohnt mein Vater in einem Haus mit Garten. Die Antwort auf Gentrifizierung hieß für seine Generation: Aufstieg, Ehrgeiz, harte Arbeit. Auf die Idee, dass der Staat daran schuld sein könnte, dass er nicht in seiner Traumwohnung wohnt, wäre er nie gekommen. Wenn man so etwas heute schreibt, wird einem sofort Zynismus vorgeworfen. Alles, was nicht auf staatliche Regulierung hinausläuft, sondern auf individuelle Anstrengung, läuft unter Zynismus. Nicht jeder kann es schaffen, deswegen sollte es am besten erst gar keiner versuchen. Das ist die Haltung.

Arme sind keine besseren Menschen als Reiche. Ein Teil des Urbankrankenhauses, der alte Teil, ist in Eigentumswohnungen umgewandelt worden. Sie sind nicht billig, aber auch nicht superteuer. Man muss nicht reich sein, um dort einzuziehen, aber man muss ein paar Ersparnisse haben und einen Job der mittleren Gehaltsklasse. Auch das wurde im Vorfeld als weiterer Schritt der Gentrifizierung angeprangert, so, als sei jeder Mensch potenziell gefährlich für den Kiez, der nicht von Hartz IV lebt. Man mag Leute nicht, die anders sind als man selbst. Bei den einen sind es Ausländer, bei den anderen sind es die strebsamen Frühaufsteher mit den guten Jobs. Hinter den Anti-Gentrifizierungs-Parolen steckt zu einem Teil gewöhnliche, dumpfe Fremdenfeindlichkeit, am deutlichsten wird das bei den Anti-Schwaben-Parolen.

Die neuen Bewohner werden für bessere Umsätze in den kleinen Läden und den Kneipen der Umgebung sorgen. Weitere Läden werden entstehen und damit auch Arbeitsplätze. Das Angebot wird sich erweitern. Der Brunnen in der Grimmstraße, der aus Spargründen in manchen Jahren ausgeschaltet bleibt, wird wieder in jedem Sommer sprudeln, privat finanziert, und vielleicht wird sogar der Müll auf den Straßen weniger, und die bescheuerten Tags auf den Häuserfassaden werden regelmäßig entfernt. Es fällt mir schwer, das total schlecht zu finden. Ich bin gespalten, einerseits denke ich, dass mein Viertel gerade seine Seele verliert, auf der anderen Seite wird, wie in Goethes „Faust“, für den Verkauf der Seele ein hübscher Preis geboten. Der Sinn fürs Schöne und auch die Umgangsformen entwickeln sich, nach meiner Beobachtung, bei steigendem Durchschnittseinkommen in eine eher positive Richtung.

Wer sich mit der Theorie der Gentrifizierung beschäftigt, stellt fest, dass dieser Prozess fast immer dann beginnt, wenn zwei Bevölkerungsgruppen einen Kiez für sich entdecken: Studenten und Künstler. Das sind die Pioniere, immer. Das heißt, die effektivste Maßnahme gegen Gentrifizierung heißt: Verhängung eines sofortigen Zuzugs-Stopps für Studenten und Künstler. Dies nur als Tipp, den Wedding betreffend. Das wirkungsvollste Anti-Gentrifizierungsprogramm aber hat bekanntlich die DDR durchgesetzt. Alle Wohnungen waren billig. Die Städte verfielen. Verfall kann romantisch sein, bis eines Tages das Haus zusammenbricht, dann ist es vorbei mit der Romantik.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false