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1. Mai in Berlin: Heraus zur Demo – oder besser flüchten?

Erst marschieren die Nazis am 1. Mai durch Prenzlauer Berg, später dann die Autonomen durch Neukölln. Auch sonst droht Krawall. Die Anwohner schwanken zwischen Angst und Gelassenheit

Der Punk mit der zarten Stimme möchte Daniel genannt werden. Er sieht müde aus, als er Zigaretten und Monatskarte in seinem Lieblingskiosk kauft. Dass die Nazis kommen, direkt durch seine Straße marschieren, durch die Schönhauser, die Flaniermeile von Prenzlauer Berg, das hat ihm einen leichten Schock versetzt. Dagegen demonstrieren will er nicht, eher „pennen“ und danach vielleicht zum Baumblütenfest nach Werder fahren. Vor den Nazis hat er schlicht und einfach Angst. „Das ist eine Riesenprovokation“, sagt der junge Mann hinterm Tresen.

Um 12 Uhr sollen sie ankommen, am S-Bahnhof Bornholmer Straße, dann schickt die Polizei die rechtsextremen Horden kontrolliert durch den nördlichen Prenzlauer Berg, eine Gegend, die lange im Schatten des ökoliberalen Szenestadtteils lag, aber wegen steigender Mieten nun auch bald dazugehören wird. Viele Anwohner sind erschrocken und ratlos, dass die Neonazis direkt durch ihren Kiez marschieren wollen.

„Is ja eklig“, ist die spontane Reaktion von Katrin Dickhausen, einer von bunten Gewändern und Glöckchengürtel umrankten Frau, die von der Demo noch nichts wusste. Sie wohnt in der Wichertstraße, direkt an der geplanten Route, wollte ihrem Sohn gerade ein Eis kaufen, sich auf den 1.-Mai-Ausflug freuen – und nun das. „Ich habe Schiss, will nichts abkriegen“, sagt sie, also kommt Gegendemonstrieren nicht infrage. Auch Julian, der im Hip-Hop-Laden arbeitet und dunkle Hautfarbe hat, will lieber auf das Myfest in Kreuzberg ausweichen. Marcel Linden, der seit 12 Jahren hier wohnt, überlegt dagegen, ein Protestplakat an den Balkon zu hängen. Und er will auf die Straße gehen. Obwohl seine politisch aktive Zeit schon etwas länger zurückliegt. „Ich finde das richtig schlimm.“

An der Bösebrücke, Bornholmer Straße, hängen schon Plakate der „Antifa“. Um 11 Uhr wolle man sich hier treffen, eine Stunde vor den Rechten, mit folgender Devise: „Blockieren, sabotieren, verhindern“. Die Polizei hat rund um die große Brachfläche südöstlich der Bösebrücke Parkverbotsschilder aufgestellt. Der Platz wäre ideal, um die Nazimarschierer einzukesseln. Vielleicht endet die Demo schon, bevor sie überhaupt begonnen hat.

In Neukölln ist die Stimmung vor dem 1. Mai viel gelassener. Die Route der krawallträchtigen Autonomendemo führt zwar außergewöhnlich tief ins Zentrum des Bezirks, bis hinein in die Sonnenallee, dennoch glauben die meisten Geschäftsleute und Anwohner, glimpflich davonzukommen. Claudia Aumüller von der Ankerklause an der Kottbusser Brücke erinnert sich noch, wie linke Aktivisten vor einigen Jahren versuchten, Stühle und Tische ihrer Bar in den Landwehrkanal zu werfen, aber die Gäste hätten sich schützend davor gestellt.

Zweimal schon gingen die Scheiben zu Bruch im Laden von Sahin Yalzin am Kottbusser Damm, aber „das war eher aus Versehen“. Fehlwürfe wegen schlechter Sicht. Eigentlich wollten die Randalierer die Banken in der Nachbarschaft treffen. Seinen Import-Export-Laden mit Porzellan aus China wird Yalzin jedenfalls verrammeln und anschließend wegfahren.

Cahit Ablak, ein schmächtiger Jungunternehmer, sieht den 1. Mai vor allem als Geschäft. Sein Internetcafé mit Getränkeabteilung bleibt bis 6 Uhr morgens offen. Keine Angst vor Radikalen? „Ach“, sagt er und schnippt seine Kippe weg. In Neukölln fühlt er sich sicher. Angst hätte er nur, wenn die Neonazis kämen.

Am Kottbusser Damm sympathisiert niemand mit gewalttätigen Demonstranten. Die älteren Türken versuchen eher, sich und ihre Familien aus allem herauszuhalten. „Die Kinder sollen zu Hause bleiben“, hat Hillmet Sariarten dringend empfohlen, obwohl seine Söhne schon lange erwachsen sind. Der ältere Herr sitzt vor einem Nachbarschaftsladen in der Friedelstraße, einer ruhigen Altbauwohnstraße, die unverhofft Teil der Demoroute geworden ist. Er werde vom Fenster aus zuschauen, was passiert.

Ein paar Blöcke weiter holen Mütter ihre Kleinkinder aus der Kita ab. „Wir fahren wahrscheinlich weg“, sagt Andrea Naszery, aber nicht wegen der Demo. Erstaunt sei sie schon über die Route durch ihre beschauliche Straße, aber Schäden befürchtet sie nicht. „Das passiert ja immer erst gegen Ende der Demo.“

Das Ende soll um 23 Uhr am Spreewaldplatz sein, unweit der Wiener Straße, die traditionell zur Kernzone der Krawalle gehört. Hier stand einst der Bolle-Supermarkt, dessen Brand und Plünderung den Ursprungsmythos der Mai-Randale ausmachen. Nina Warneke, Chefin des Café „Marx“ hatte im vergangenen Jahr zwei verwundete Schaulustige erstversorgt. Vom Ordnungsamt hat sie diesmal ein zweiseitiges Schreiben mit Auflagen und einer Bußgeldandrohung „in nicht unerheblicher Höhe“ bei Zuwiderhandlung bekommen. Was sie am 1. Mai unternimmt, möchte sie sich aber nicht vorschreiben lassen. „Das mache ich von der Stimmung abhängig.“ Damit die Leute ihre entspannte Feierlaune behalten, hat sie extra einen DJ engagiert und Strandliegen aufgestellt.

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