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Demonstrier’ ich grad oder hab’ ich bloß Spaß? Die Rechtsnatur des Myfests ist nicht klar.

© dpa/Pilick

1. Mai in Berlin-Kreuzberg: Kläger kann Myfest nicht verhindern - noch nicht

Bei der Verhandlung über das Myfest zeigt sich vor allem eines: Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat kein Konzept.

Von Fatina Keilani

Andreas W. mag eine Spaßbremse sein. W. ist Anwohner der Oranienstraße in Kreuzberg; er ist der Kläger, der das Myfest verhindern will. Andreas W. könnte sich jedoch als Lebensretter erweisen. Denn wenn eines bei der Verhandlung am Donnerstag vor dem Verwaltungsgericht klar wurde, dann dieses: Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat für das Myfest kein Konzept, und wenn ein Unglück wie bei der Love Parade in Duisburg 2010 geschähe, so wäre man darauf nicht vorbereitet. W.s Klage wurde vom Gericht am Donnerstag zwar abgewiesen. Sie sei unzulässig, weil verfrüht. Der Inhalt der Verhandlung aber müsste dem Bezirk zu denken geben.

Das Versagen des Bezirks bot dem Anwalt des Klägers, Johannes Eisenberg, beste Voraussetzungen für den Angriff. „Sie sind verantwortungslose Gesellen!“, rief er dessen Vertretern zu. Das ganze Fest sei „Etikettenschwindel“: „Diese Veranstaltung organisiert der Staat und bedient sich dafür eines Rechts, das sich gegen den Staat richtet, um eine andere Veranstaltung, nämlich die revolutionäre 1. Mai-Demo, zu verhindern“, wetterte Eisenberg mit Bezug auf das Demonstrationsgrundrecht, das wie alle Grundrechte ein Abwehrrecht gegen den Staat ist.

Für Rettungswagen war kein Durchkommen

Er wurde vom Vorsitzenden der Kammer, Wilfried Peters, daran erinnert, dass es hier nur um den Individualrechtsschutz des Klägers, nicht aber um das Myfest als solches gehe. Der Kläger bekam keine Gelegenheit, etwas zu sagen. Wie schlimm war es denn nun, am 1. Mai 2015 an der Oranienstraße zu wohnen? Diese Schilderung hätte man vielleicht gern von ihm selbst gehört, bekam sie stattdessen aber vom Anwalt. Er sei dort gewesen, schilderte Eisenberg. Auf der Oranienstraße hätten die Stände so dicht gestanden, dass Besucher nicht von der Straße auf den Bürgersteig gelangen konnten. Ein Durchkommen für motorisierte Rettungsfahrzeuge sei unmöglich gewesen. Dem widersprach seitens des Bezirks niemand.

„Und was ist mit Toiletten?“ wollte Rechtsanwältin Lea Voigt wissen, die ebenfalls den Kläger vertritt. „Es steht dort so hoch der Urin“, sagte sie und zeigte mit den Händen etwa 10 Zentimeter an. Wegen zu weniger Toilettenwagen hätten die Menschen überallhin uriniert, „die Leute treten Türen ein und verrichten ihre Notdurft in Hausfluren“. Und Eisenberg rief, sich weniger vornehm ausdrückend: „Die kacken da hin!“

Nach einigem Verhandeln zeichnete sich ab, dass der Krach hinzunehmen ist und der Belästigung durch Fäkalien mit Hilfe von mehr Toilettenwagen begegnet werden kann, so dass am Ende die Sicherheitsfrage juristisch so zentral wurde, wie sie es auch im Leben ist. „Wie stellen Sie sicher, dass ein möglichst rasches Durchkommen von Rettungswagen gesichert ist?“, wollte das Gericht vom Leiter des Rechtsamts wissen, doch der verwies nur darauf, dass die Feuerwehr da sicher ein Konzept habe. Immerhin konnte Polizeijustiziar Oliver Tölle das bestätigen.

Der Bezirk hat keinen Überblick

Wie viele Stände angemeldet seien? „Bisher sind sieben Toilettenwagen angemeldet“, hieß es vom Bezirk. Das seien ja nicht gerade viele, stellte Richter Peters fest und fragte, wo die denn aufgestellt würden. „Wissen wir noch nicht“, war die Antwort. Man wisse auch nicht, wie viel an Verkaufsständen noch komme. Anwältin Voigt wusste es: „Der Bezirk teilt den Anwohnern immer mit, bis wann und wie sie ihre Anträge stellen müssen. Pro Haus wird ein Stand genehmigt. Der Bezirk kann davon ausgehen, dass alle, die eine Genehmigung beantragen können, das auch tun werden.“

Auch die Frage, ob es sich um eine Versammlung oder eine Veranstaltung handelt, kam zur Sprache, wurde aber letztlich nicht entschieden, denn es handelt sich um eine Mischform – die angemeldeten Bühnen sind Versammlungen, das Fest mit seinen Essensständen ist eine Veranstaltung. Wo der Grenzübergang vom grundgesetzlich geschützten zum einfachgesetzlich abgedeckten Teil der Party verläuft, ist unklar. Der Klageantrag zielte schlussendlich darauf, die „Versammlung oder Veranstaltung“ mit Auflagen zu versehen, um sicherzustellen, dass Rettungsfahrzeuge jederzeit Zugang zum Haus des Klägers haben. „Dann können die auf der anderen Straßenseite verbrennen, und wir sagen ihnen, ,Sie haben ja auch nicht geklagt!‘“, ätzte Eisenberg.

Schlussendlich wurde die Klage abgewiesen. Der Kläger hatte sich laut Gericht weder an die Polizei noch an das Bezirksamt gewandt. Vorbeugenden Rechtsschutz gebe es aber nur unter sehr engen Voraussetzungen. Das bedeutet für Andreas W., dass er im April auf Eilrechtsschutz angewiesen ist. Der Bezirk wiederum muss aus der Verhandlung Schlüsse ziehen, sonst droht ihm kurz vor dem Fest ein Gerichtsbeschluss.

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