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Wedding rüstet sich. Die "antikapitalistische Walpurgisnacht-Demo" führt am 30. Mai erstmals durch Wedding.

© Paul Zinken

1. Mai in Wedding: Der unerwünschte Aufmarsch

Mieterhöhung, Investoren, Auszugsprämien: Der Wedding verändert sich, die Anwohner fürchten Verdrängung. Mit der Demo in der Walpurgisnacht können viele aber trotzdem nichts anfangen.

Für Willi Rausch, 68, ist die Welt im Weddinger Sprengelkiez noch in Ordnung. „Hier ist doch alles in den vergangenen Jahren immer besser geworden“, sagt er. „Mehr Grün, stabile Miete.“ 500 Euro zahlt er warm für seine 80 Quadratmeter-Wohnung in einem Genossenschaftshaus. Angst vor Gentrifizierung? Rausch schüttelt den Kopf.

Ein paar Straßen weiter, im Brüsseler Kiez, sieht Werner Ritzmann die Dinge anders. Der 36-Jährige erzählt von Investoren, die ganze Blocks an der Nordendstraße aufgekauft haben. „Nun drohen sie mit Mieterhöhungen, um uns rauszuekeln.“ Eines aber eint den Rentner und den jungen Techniker: Beide lehnen die Demo der linksextremen Szene zur Walpurgisnacht ab, die am Montagabend vor dem 1. Mai erstmals durch ihre Kieze ziehen soll. Angespannt warten sie, was da auf sie zukommt. Sie fürchten Krawalle. Viele Leute wollen ihre Autos „ganz weit wegstellen“, sagt Ritzmann.

Bisher war die gewaltträchtige „antikapitalistische Walpurgisnacht-Demo“ traditionell durch Friedrichshain und Prenzlauer Berg gezogen. Dass sie diesmal überraschend in den Sprengelkiez und Brüsseler Kiez in Wedding verlegt wurde, also in das Gebiet zwischen S-Bahnhof Wedding, dem Nordufer am Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal, der See- und Müllerstraße, hängt mit dem neuen, in der autonomen und linken Szene äußerst zugkräftigen Thema der revolutionären 1. Mai-Demos zusammen: der Gentrifizierung. Der Verdrängung der angestammten Bevölkerung „durch den Teufelskreis aus Besitzerwechseln, Sanierungen und stark steigenden Mieten“, so ein Demoaufruf. Nicht nur Kreuzberg, Friedrichshain, Mitte und Prenzlauer Berg seien davon betroffen, sondern neuerdings auch Wedding, meinen die Protestler. Deshalb der Ortswechsel.

Aber der bevorstehende Aufmarsch tausender Protestler unter dem Motto „Nimm, was Dir zusteht“, bewacht von bis zu 7000 Polizisten, scheint viele Kiezbewohner zu verschrecken – sofern sie überhaupt schon davon wissen.

Die Sorgen sind berechtigt: Krawalle am 1. Mai haben eine lange Tradition. Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie

Kindergeschrei hallt durch die Burgsdorfstraße und über den Sparrplatz am U-Bahnhof Wedding. Satellitenschüsseln füllen die kleinen Balkone der gründerzeitlich verzierten, aber von der Berliner Luft arg angegrauten Mietshäuser. Der Wind treibt am Sonntag Papierfetzen über die Bürgersteige und den Geruch von Hundehaufen vor sich her. In der Shisha Lounge lehnt ein junger Türke am Tresen. „Schon von der Demo gehört?“ – „Welche Demo, keine Ahnung.

Ein paar hundert Meter weiter steht an Sprengelstraße 15 das „Sprengelhaus“. Und im ersten Hinterhof, linker Seitenflügel, treffen sich in diesem „interkulturellen Gemeinwesenzentrum“ an jedem ersten Sonntag im Monat engagierte Anwohner zum Kiezfrühstück. „Keine Frage“, sagt Siemen Dallmann vom Kiez-Förderverein, „seit drei Jahren ist hier hinter den Fassaden einiges los“. Häuser würden verkauft, oft nur oberflächlich saniert, um Mietsteigerungen zu begründen. Spätestens bei jeder Neuvermietung langten die Investoren zu. „Dann verdoppeln sich hier die Mieten von 4 auf 9 Euro pro Quadratmeter.“

Rentner Klaus Wolfermann, 73, vom Quartiersrat beobachtet, „dass immer mehr mittelständige deutsche, aber auch Migrantenfamilien mit Kindern wegziehen, sobald sie sich das leisten können.“ So drohe die Gegend „sozial zu kippen.“ Doch andererseits schwärmen Makler auf ihren Internetseiten vom „großen Zukunftspotential“ der Gegend. Da wird die Beuth-Hochschule für Technik erwähnt, die Studenten in den Wedding zieht. Auch das grüne Nordufer spielt eine Rolle. „Das ist unsere Schlossstraße auf dem Weddinger Monopoly-Feld“, sagt Wolfermann. Und viele Beschäftigte des Bundesnachrichtendienstes, der bald an die Chausseestraße zieht, wollten dann wohl auch im Wedding leben, was den Druck auf den Wohnungsmarkt erhöhe.

In den Straßen sind diese Widersprüche gut sichtbar. Auf den Ping-Pong-Tischen mancher Grünanlagen lassen Alkoholiker die Flaschen kreisen, um die Ecke trifft sich die Studenten-WG-Szene zum Brunch im schicken Café Schadé, das hier noch wie ein Fremdkörper wirkt. Und in der Ostender Straße vermitteln die frisch verputzten Mietblocks aus den 50ern den Eindruck einer Wohnoase. „Weit gefehlt“, sagen Anwohner. „Die Verdrängung hat voll begonnen.“ Neue Hausbesitzer hätten Auszugsprämien angeboten. „Bis zu 10 000 Euro, falls wir in einem halben Jahr weg sind.“

Dennoch veröffentlichten die Kiez-Initiativen am Sonntag ein Flugblatt: „Weddinger werfen keine Steine!“ Man stimme inhaltlich mit den Demonstranten überein, fürchte sich aber vor Krawallschlagzeilen. „Wir arbeiten an einer positiven Entwicklung der Quartiere“, sagt Siemen Dallmann vom Förderverein, „so soll das auch in der Öffentlichkeit ankommen.“

Die Polizei hat ihre Strategie klar vorgegeben: „Krawallmacher offensiv festnehmen, aber zugleich versuchen, mit allen friedlich klarzukommen, die sich ansprechen lassen.“ So will sie am Montag und Dienstag die Demos unter Kontrolle halten. Dabei ist die Polizeiführung unter Druck, denn die Szene hat in diesem Jahr aggressiver als bisher mit der Mobilisierung begonnen. Und auch die neuen Schauplätze der Demos bergen Risiken. Außer Wedding gehört dazu auch Mitte. Diesmal endet die gewaltträchtige 18-Uhr-Demo am Bebelplatz.

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