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Langer Kampf. Viele Jahre protestierten Frauen für ihr Recht, zu wählen. Diese Aufnahme aus dem Jahr 1912 zeigt Demonstrantinnen auf dem Weg zu einer Kundgebung.

© dpa/akg-images

100 Jahre Frauenwahlrecht: Berliner Ausstellungen zeigen Geschichte des Frauenwahlrechts

Am Sonnabend vor 100 Jahren durften Frauen zum ersten Mal wählen und selbst kandidieren. Mehrere Ausstellungen erzählen zum Jubiläum davon.

Die Parteien buhlten mit Vehemenz um die Stimmen der Erstwählerinnen. „Eure Kinder brauchen Frieden und Brot. Darum Frauen: Wählt!“, stand auf einem Plakat, oder aber: „Frauen! Gleiche Rechte, gleiche Pflichten. Wählt sozialdemokratisch!“ In der Schwartzschen Villa in Steglitz sind aktuell die Transparente ausgestellt, die vor der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 die Litfaßsäulen zierten. Über die Hälfte der rund 37 Millionen Wahlberechtigten war damals, nach der Einführung des Frauenwahlrechts im Jahr 1918, weiblich. Und niemand konnte voraussagen, wie die Wählerinnen abstimmen würden.

„Die Frauen waren eine unbekannte Größe bei der Wahl“, sagt Heike Stange vom Kulturamt Steglitz-Zehlendorf. Sie hat die Schau mit dem Titel „Kampf um Heut und Morgen“ kuratiert und die Geschichten von Frauenrechtlerinnen recherchiert, die im Bezirk gewirkt haben.

Ihr Wahlrecht besorgte auch viele Frauen

Es sind so bekannte Namen wie Rosa Luxemburg und Helene Stöcker darunter. Auf großen Tafeln informiert die Ausstellung aber auch über weniger populäre Kämpferinnen wie Margarete Walkotte, „Erste Genossin in Steglitz“, oder Anna Pappritz, „Frauenrechtlerin und Expertin der Prostitutionsfrage“.

Auf ein Fundstück ist Heike Stange besonders stolz: den Tagebucheintrag von Anna Pappritz. Zum 19. Januar schrieb Pappritz: „Wahltag! Wir Frauen haben zum ersten Mal gewählt!“ Sie hat den gesamten Eintrag unterstrichen, das Wort „Wahltag“ sogar doppelt – lang genug hatten Frauen dafür gestritten, bei Wahlen abstimmen und kandidieren zu dürfen.

Fachfrau für Geschichte. Heike Stange vom Kulturamt in Steglitz.
Fachfrau für Geschichte. Heike Stange vom Kulturamt in Steglitz.

© Kai-Uwe Heinrich

Doch dass sie nun wählen konnten, besorgte auch viele Frauen. Heike Stange ist bei ihrer Spurensuche auf einen Artikel aus der „Deutschen Frauen-Zeitung“ gestoßen, der die Angst aufgreift: Dort steht, zum ersten Mal zu wählen sei, „als ob ich ins Wasser geworfen würde mit der Weisung, zu schwimmen – und ich kann doch durchaus nicht schwimmen!“

Das Wählen musste erst gelernt werden

Diese Furcht der Frauen ist durchaus verständlich, erläutert auf Führungen Stefanie Thalheim, Volontärin im Märkischen Museum. Sie führt durch die dortige Ausstellung „Berlin 18/19. Das lange Leben der Novemberrevolution“ und hat sich dafür mit dem Frauenwahlrecht auseinandergesetzt. „Die Frauen waren bis dahin von politischen Prozessen weitgehend ausgeschlossen.“ Nun, so Thalheim, hätten sie das Wählen erst lernen müssen.

Die Motivationen waren dabei unterschiedlich: „Viele Frauen taten das mit Leidenschaft, für andere war es eher eine staatsbürgerliche Verpflichtung.“ Parteien, Vereine und Verbände veranstalteten zahlreiche Informationsveranstaltungen für die Wählerinnen. Die Redner waren oft weiblich, es gab freie Debatten mit dem Publikum, ein bis dahin recht unübliches Format.

In der Schwartzschen Villa können Interessierte in einer Sammlung Auszüge aus zwei Lokalblättern dazu lesen. Dort sind Einladungen zu den Infoabenden abgedruckt, in denen sich auch so profane Hinweise finden wie „Der Saal ist geheizt“. 1919, als auch in Berlin viele Frauen unter Armut und Hunger litten, ließen sich so Interessentinnen ködern.

Dass sich die Wähler in Berlin am 19. Januar 1919 überhaupt auf die Straße trauten, war nicht selbstverständlich. Die Revolutionäre hatten die Monarchie gestürzt, ein neues Parlament und eine neue Regierung eingeführt, den Achtstundentag sowie die Versammlungsfreiheit etabliert. „Binnen wenigen Tagen wurde das Deutsche Reich auf den Kopf gestellt“, fasst Martin Düspohl zusammen. Auch er bietet Führungen durch die Ausstellung im Märkischen Museum an.

Kurz vor der Wahl 1919 eskalierte die Gewalt

Berlin war das Zentrum dieser Entwicklungen, bald griff im Revolutionswinter die Gewalt um sich. „Zur ersten Weihnacht nach dem Ersten Weltkrieg wurden in der Innenstadt Maschinengewehre aufgebaut“, sagt Düspohl über die Kämpfe um Heiligabend 1918, die das Klima vor der Wahl nachhaltig vergifteten und die Gräben zwischen Sozialisten und Antirepublikanern vertieften. Im Januar eskalierte die Gewalt in der Hauptstadt endgültig, nur wenige Tage vor der so wichtigen Wahl wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet.

Doch wie auf einem Foto in der Schwartzschen Villa zu sehen ist, standen am 19. Januar 1919 trotz der bedrohlichen Stimmung Frauen und Männer geduldig in der Kälte, nur um ihre Stimme abzugeben. Für die Ausstellung wurden drei Fotos lebensgroß aufgezogen und so angeordnet, dass Besucher mitten in der Menge der Wartenden vor und im Wahllokal stehen. Sie können nachempfinden, wie sich die Wählerin gefühlt haben muss, die eine der Szenen in einer Traube von Männern zeigt.

Am Ende dieses aufregenden Tages lag die Wahlbeteiligung höher als jemals danach in der Weimarer Republik. Das Wahlrecht dankten die Frauen den Parteien nicht, sie wählten eher konservative, christliche und gemäßigte Parteien und seltener die, die sich für das Frauenwahlrecht eingesetzt hatten. Von 300 Kandidatinnen zogen 37 Frauen in die Nationalversammlung ein, rund zehn Prozent machten sie nun im Parlament aus.

Dies war für die Frauen ein wichtiger Schritt. „Frauenrechte sind keine Sonderrechte, sondern Menschenrechte“, sagt Gesa Trojan. Sie bietet Führungen durch die Dauerausstellung „Der Kampf um die Frauenrechte“ im Deutschen Historischen Museum an. Die Schau hält einige Stücke bereit, die den langen Weg der Frauen zu staatsbürgerlicher Gleichberechtigung zeigen. Darunter findet sich auch das sozialistische Wahlplakat aus Heike Stanges Ausstellung. Hier stehen Mann und Frau nebeneinander. „Es war Zeit, dass Frauen diese Rechte bekamen“, sagt Gesa Trojan über die Befähigung zum Wählen. Auf viele weitere Rechte hätten sie lange warten müssen. „Und es gibt immer noch einiges zu tun.“

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