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Berlin: 100 Jahre Stadtbibliothek: Schloßplatz, Sparzwänge und Schimmelpilz

Die junge Frau liest nicht. Sie wird mit elektronisch gespeichertem Wissen aufgeladen.

Die junge Frau liest nicht. Sie wird mit elektronisch gespeichertem Wissen aufgeladen. Das "Loading"-Fenster auf ihrer Stirn arbeitet. Mit diesem Motiv plakatiert die Zentral- und Landesbibliothek ihr Gründungsjubiläum. Motto: "100 Jahre Input für alle. Landesmediathek Berlin".

Eines der ersten Bücher der 1901 beschlossenen und 1907 eröffneten Stadtbibliothek war "Quintilianus opera", gedruckt 1482 in Treviso. Der gewichtige Band wird in einer Ausstellung zur Bibliotheksgeschichte im Sonderlesesaal in der Breiten Straße 30 (Mitte) gezeigt. So fing es an, und von den heute 2,3 Millionen "Medieneinheiten" der Bibliothek sind die meisten Bücher. Aber wie wird es zum nächsten großen Jubiläum im Lesesaal aussehen? Am Rande des gestrigen Festakts in der Stadtbibliothek hatte Antonius Jammers, Generaldirektor der Staatsbibliothek zu Berlin, eine Vision: "Die Bibliothek wird in 25 Jahren eine Oase sein, in der es noch Bücher geben wird." Wahrscheinlich könnte man dann alles Lesbare vom Handy abrufen, aber elektronisches Lesen mache einsam. Für das Erlebnis des gemeinsamen Lesens und Arbeitens bräuchte man in Zukunft immer schönere Lesesäle.

Claudia Lux, Generaldirektorin der Stadtbibliothek, träumt gar von einem Schloss des Lesens. Ihr Lesesaal des Jahres 2026 "wird ein großer öffentlicher Raum auf dem Schloßplatz, voll multimedial ausgerüstet." Bücher, ergänzt sie nach kurzem Zögern, werde es zu diesem Zeitpunkt auch noch geben. Die Chancen des ehrgeizigen Plans, die Bestände von Stadtbibliothek und der Amerika-Gedenkbibliothek in einem Neubau an Stelle des Palastes der Republik zusammenzuführen, wachsen. Die Schlossplatz-Kommission habe sie soeben aufgefordert, ein gemeinsames Nutzungskonzept mit den Dahlemer Museen zu erarbeiten, sagte Claudia Lux gestern.

Die Realität der hundertjährigen Bibliothek im Jahr 2001 ist weit von solchen Visionen entfernt. In beiden Häusern leiden die Bestände an Schimmelbefall und an Sparauflagen, die den Etat für Neuerwerbungen bedrohen. Kultursenator Christoph Stölzl (CDU), der den Umzug auf den Schloßplatz befürwortet, konnte zur gestrigen Feier nicht kommen. Er saß in einer Krisensitzung zum Berliner Haushalt fest. Das wurde von den bibliophilen Festgästen mit einem bitteren Lachen zur Kenntnis genommen.

Um so willkommener war ein Gönner: Claus Michaletz, Mitinhaber des wissenschaftlichen Springer-Verlages. Er gründete zum Jubiläum aus seinem Privatvermögen die Kulturstiftung zur Förderung der Landesbibliothek Berlin. Mit seinem Geburtstagsgeschenk wolle er helfen, die nächsten hundert Jahre Existenz des Hauses zu sichern.

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