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Berlin: "105": Vergessene Synagoge freigelegt

Noch heißt der Raum schlicht "105". "Kein Zutritt" wird an der weißen Kunststofftür gewarnt.

Noch heißt der Raum schlicht "105". "Kein Zutritt" wird an der weißen Kunststofftür gewarnt. Nichts deutet darauf hin, dass dahinter bald ein Rabbiner beten und ein Kantor singen wird. So war es seit den sechziger Jahren. Raum 105 des Altenpflegeheimes im Jüdischen Krankenhaus in Wedding war die Badeabteilung. An die kleine Synagoge, die hier beim Bau des Krankenhauses 1914 entstand, erinnerte nur noch das hochgelegene Rundfenster mit dem Davidstern.

"Es ist unverständlich, dass die Synagoge so umgebaut wurde", sagt Sara Nachama. Die stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins des Jüdischen Krankenhauses steht kopfschüttelnd in Raum 105. Wie konnte aus dem kleinen Tempel für das Krankenhauspersonal und die Patienten eine Umkleidekabine für einen Baderaum werden? Die jüdische Gemeinde zu Berlin, erklärt Sara Nachama, war nach 1945 eine "Liquidationsgemeinde". Wer die Zeit der Vertreibung und Ermordung überlebt hatte und in die Stadt zurückgekommen war, dachte kaum daran zu bleiben. Mangels Patienten verlor auch das Krankenhaus mehr und mehr seinen jüdischen Charakter. 1963 ging es aus der Trägerschaft der Gemeinde an die Stadt Berlin.

Es fehlten Badezimmer, die Synagoge wurde nicht mehr benutzt. Auch jetzt will die Gemeinde die Uhr nicht zurückdrehen, erklärt Genja Katz, Vorsitzende des Krankenhaus-Fördervereins. Aber mit dem Anwachsen der Gemeinde auf heute 12 000 Mitglieder vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion bekommt die Klinik auch wieder mehr jüdische Patienten. Wenn Rabbiner Ehrenberg am 21. Dezember den ersten Gottesdienst in der wiederhergestellten Synagoge abhält, haben sie einen Andachtsort. "Wir sagen mit dem Wiederaufbau, dass wir eine Zukunft in dieser Stadt sehen", sagt Genja Katz. Der Raum soll aber auch anderen Konfessionen offenstehen.

Der Andachtsraum ist noch eine Baustelle, so etwas wie eine archäologische Ausgrabungsstätte. Wo bis vor wenigen Wochen noch Bänke und Metallspinde des Umkleideraums standen, haben Handwerker jetzt die nackten Wände und Decken der alten Synagoge freigelegt. In der Nische mit dem David-Stern-Fenster stand früher der Thoraschrein. Dort hat ein Restaurator am Gewölbe alte Farbschichten freigelegt. Zwei massive Treppenstufen führen zu dem Altarraum hoch - sie waren unter einem zweiten Fußboden verborgen. Über der abgehängten Decke kamen Rundbögen der modernisierten Fenster zum Vorschein. Noch mehr deutet sich an, sagt Architekt Martin Jennrich. Über der Zwischendecke liegt noch eine zweite, in den sechziger Jahren eingezogene. Und darüber vielleicht ein flaches Gewölbe. Demnächst wird es eine Probebohrung geben. Historische Aufnahmen gibt es nämlich nicht von dem Andachtsraum, nur einen schlichten Grundriss aus der Bauzeit.

Der Förderverein sucht Zeitzeugen, die sich an Gottesdienste erinnern können. Es war eine orthodoxe Synagoge. Die Frauen saßen - nach dem Grundriss - hinter einer Zwischenwand. Dort, wo heute noch das Badezimmer des Pflegeheims liegt.

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