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Katrin Lompscher (Linke) ist Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin.

© Thilo Rückeis

130.000 fehlende Wohnungen in Berlin: „Ich bin mit den Zahlen nicht zufrieden“

Mietendeckel und fehlende Wohnungen in Berlin: Im Interview spricht Stadtentwicklungssenatorin Lompscher über die Wohnungsnot, den Neubau und das Gemeinwohl.

Katrin Lompscher (Linke) ist seit drei Jahren Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin. Davor lag das Ressort in SPD-Zuständigkeit. Die gebürtige Berlinerin war zuvor Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung in Lichtenberg und Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz.

Frau Lompscher, würden Sie widersprechen, wenn ich sagte, Sie betreiben eine sozialistische Wohnungspolitik?
Ja, dem widerspreche ich. Wir arbeiten pragmatisch und gemeinwohlorientiert, nicht ideologisch. Wir orientieren uns an den Bedürfnissen der Menschen und der Stadt, sind aber nicht marktgläubig. Wenn man allein dem Immobilienmarkt die Lösung städtischer Probleme überlässt, bekommt man eigentümerorientierte Lösungen ohne Bezugnahme auf das Umfeld. Dafür braucht es Planung und Politik.

Und Wohnungen für die Menschen. In Buch streichen Sie eine Siedlung
Die Flächen, die künftig nicht bebaut werden, können als Ausgleichsflächen für Neubauvorhaben dienen. Diese brauchen wir für jedes Projekt. Dafür suchen wir sogar außerhalb der Stadt. Bei der Mobilisierung von Baupotenzialen ist es an dieser Stelle vernünftiger, auf isolierte, kleine Standorte zu verzichten und stattdessen auf den Masterplan Buch zu setzen, mit einer Verdichtung und höheren Bauten im Ortsteil selbst.

Und die neue Planung bringt die Förster auf die Palme, weil sie Wald roden. Da kommen wieder lange Debatten und Planungszeiten auf Sie zu.
Förster sind gute und wichtige Leute, es ist in Ordnung, dass sie jeden Quadratzentimeter schützen wollen. Für jede Fläche, die wir durch Neubau versiegeln, müssen wir neuen Wald anlegen oder Ausgleichsflächen in der Nähe suchen. Gegebenenfalls kommt Ersatz in Brandenburg in- frage oder ein finanzieller Ausgleich, in Form einer Walderhaltungsabgabe.

Apropos fehlende Neubauten. Der nächste Schock kommt mit Einführung des Mietendeckels. Haben Sie die Regelung korrigiert, wonach Neubauten schon nach der ersten Neuvermietung gedeckelt werden sollen?
Diese Regelung stand als eine Variante in den Eckpunkten. Ich werde vorschlagen, den Neubau von Risiken fernzuhalten. Wir gehen mit dem Gesetzesentwurf als nächstes in die Verbände-Anhörung. Ich kann Ihnen versichern, dass wir deren Sorgen ernst nehmen.

Vom Mietendeckel werden besonders Bewohner von Altbauten profitieren, am Kollwitzplatz oder am Ku’damm zahlen die dann statt 2500 Euro künftig 800 im Monat. Wahlgeschenke für die Mittelschicht oder gibt es eine Einkommensklausel?
Eine solche Klausel ist nicht vorgesehen. Es ist wichtig, nicht eine Bewohnergruppe zu bevorteilen. Es geht um das langfristige Mietniveau und die Erhaltung der sozialen Mischung. Eine Stadt ist ein gesellschaftliches Gewebe, das zerreißt, wenn nur es nur noch aus einer bestimmten Bewohnerschaft besteht.

Einen Mietendeckel gab es schon mal, in West-Berlin. Damals kamen die Geringverdiener auch nicht an Wohnungen, sondern die mit hohen Einkommen, die außerdem noch Bares übrig hatten für ein paar abgerockte Stühle. Kommt das zurück?
Davon gehe ich nicht aus.

Der Verteilungskampf wird kommen, weil zu wenig neue Wohnungen genehmigt und gebaut werden. Davon handelt der Streit mit der SPD. Warum tun Sie nicht mehr?
Die Kritiker müssten sagen, wie sie mehr Wohnungen genehmigen wollen. Wir haben im Jahr 2018 knapp 17.000 Wohnungen fertiggestellt und 24.218 genehmigt. Die Zahl der genehmigten Neubauten geht geringfügig zurück, aber deutlich weniger als im Bundesdurchschnitt. Wir brauchen rund 20.000 zusätzliche Wohnungen jährlich. Das Verhältnis von Genehmigungen zu Fertigstellungen ist also in Ordnung.

[In unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken befassen wir uns regelmäßig unter anderem mit Wohnungsbaupolitik. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Aber tatsächlich fehlen mehr als 130.000 Wohnungen. Allein um die neu in die Stadt kommenden Menschen zu versorgen, brauchen Sie 20.000 einzugsfertige Wohnungen. Nicht mal dieses Ziel erreichen Sie, aber sind mit Ihren Zahlen zufrieden?
Ich bin mit den Zahlen nicht zufrieden, trotzdem befinden wir uns auf einem hohen Niveau. Wir müssen uns aber vor allem angucken, was die Gründe für die Hemmnisse sind. Deshalb spreche ich unter anderem mit der Bauwirtschaft.

Die werden Ihnen sagen, es gibt zu wenig Grundstücke. Das sagt auch der Regierende Bürgermeister. Dass trotzdem Siedlungsprojekte zeitlich gestreckt oder aufgeschoben werden müssen, ist egal?
Keinesfalls. Am Anfang der Legislaturperiode sind wir mit ehrgeizigen Zeitplänen konfrontiert gewesen und ehrgeizigen Zielzahlen. Wir mussten feststellen, dass die Voraussetzungen dafür nicht an allen Standorten gegeben waren. Wir müssen Verkehrswege schaffen und Infrastruktur-Aufgaben lösen.

„Wir wollen keine Türme verhindern"

Bauträger beklagen die Regulierungen des „Berliner Modells“ bei Siedlungsprojekten, jetzt auch im neuen Hochhausleitbild. Wer einen Turm baut, muss darin Sozialwohnungen schaffen, Grünflächen, offene Dachgeschosse. Das könne keiner bezahlen. Wollen Sie Turmbauten verhindern?
Wir wollen keine Türme verhindern und mir gegenüber hat sich auch kein Investor so geäußert. In der Stadtplanung geht es aber auch nicht darum, den Investoren ein maßgeschneidertes Baurecht zu schaffen. In Berlin ist diese Art von Höhenentwicklung neu. Und unser Konzept der Qualitätsstandards wie Mixed Use wird sehr positiv gesehen. Dadurch entstehen keine monofunktionalen Türme.

Wichtig ist außerdem, dass sie sich ins Umfeld einpassen. Und schließlich sollte auch die Allgemeinheit am exklusiven Ausblick vom Dach teilhaben. Wenn diese Ansprüche zu hoch sind, dann wären Hochhäuser für die Stadt parasitär. Das ist nicht, was wir für Berlin wollen.

Möglichst wenig Spielraum für Private, möglichst viel für die Öffentlichkeit, würden Sie die Meinung teilen, dass der Senat einen Paradigmenwechsel in der Stadtentwicklung vollzieht?
Uneingeschränktes Ja! Der vollzieht sich nicht erst seit dem Sommer 2019, sondern ist schon im Koalitionsvertrag eingeschrieben. Die Voraussetzung dafür ist schon in den 2000er Jahren gelegt worden. Der Bürgerentscheid Spreeufer für alle war 2008 der erste Schritt dazu. Dann folgte 2011 das Moratorium gegen den Verkauf städtischer Grundstücke.

Das erfolgte auf den Druck von Initiativen wie „Stadt neu denken“. Kotti & Co hat 2012 den sozialen Wohnungsbau auf die Tagesordnung gesetzt. Hinzu kommt der Entscheid gegen die Bebauung von Tempelhof im Jahr 2014 und der Mietenvolksentscheid 2015.

Und Sie stimmen ein, holt euch eure Stadt zurück?
Es gab zivilgesellschaftlichen Druck auf die damals herrschende Politik, die dem gegenüber nicht so aufgeschlossen war wie Koalition und Senat heute. Es sind Öffnungen gelungen, es gab Verhandlungen des Senats mit dem Mietenvolksentscheid. Wir waren damals als Oppositionsparteien mit den Bewegungen eng verbunden. Nach den Wahlen war es unser politischer Auftrag im Senat, die Politik neu auszurichten, transparenter und partizipativer zu gestalten. Es war ein Vertrauensvorschuss der Stadtgesellschaft, den wir durch Wahlerfolg und Regierungsauftrag letztlich bekamen.

Apropos Flächen für alle – am Checkpoint Charlie will eine Gruppe von Kreativen um Tim Renner mitmischen. Dann wäre der Stadtplatz, den Sie den Berlinern zurückgeben wollen, perdu. Wie geht es weiter?
Zurzeit liegt der Bebauungsplan aus. Dann werten wir die Eingaben aus und bereiten die Beschlussfassung vor. Wir müssen im Februar einen rechtskräftigen Bebauungsplan beschlossen haben. Dieses Ziel werden wir nicht verfehlen. Große Änderungen wären zum jetzigen Zeitpunkt schwer, ich sehe auch nicht, dass sie inhaltlich erforderlich sind.

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