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Berlin: 2. November 1989

Vor 15 Jahren durften DDR-Schüler plötzlich gegen Militärparaden sein

In Kürze jährt sich der Mauerfall zum 15. Mal. Daher dokumentiert der Tagesspiegel täglich Artikel über die sich andeutende Wende, die jeweils am Tag vor genau 15 Jahren in dieser Zeitung erschienen.

Mauer als Auslaufmodell. Die Berliner Mauer steht nach Ansicht des 1. Sekretärs der SED im Bezirk Neubrandenburg, Chemnitzer, zur Disposition. Nach einem Treffen mit Vertretern der SPD in Schleswig-Holstein sagte Chemnitzer gestern in Kiel, durch die Öffnung der Grenzen in anderen sozialistischen Staaten sei die Berliner Mauer „zumindest von ihrer Bedeutung her eingeschränkt und illusorisch geworden“.

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Aufmüpfige Schüler. Vier im Oktober letzten Jahres von der Ost-Berliner Carlvon-Ossietzky-Oberschule verwiesene Schüler können (…) ihre Ausbildung fortsetzen. Einem (…) Antrag einer Schülerin sei bereits vor drei Wochen stattgegeben worden, berichtete gestern das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ unter Berufung auf eine Schulrätin. Die Schüler waren vom Unterricht ausgeschlossen worden, weil sie sich unter anderem gegen Militärparaden am Jahrestag der DDR-Gründung ausgesprochen hatten.

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Verbogenes Leistungsprinzip. Mit der heutigen „tatsächlichen produktiven Arbeitszeit“ in der DDR kann der Lebensstandard westlicher Industrieländer nicht erreicht werden. „Das Leistungsprinzip ist gründlich verbogen.“ Auf diesen Nenner brachte der Generaldirektor des Ost-Berliner Werkzeugmaschinenkombinates „7. Oktober“, Warzecha, in einem Gespräch mit der Ost-„Berliner Zeitung“ eine harte Abrechnung mit der bisherigen Wirtschaftspolitik. Wenn ein DDR-Bürger das Angebot in einem westdeutschen Warenhaus sehe, so kompensiere er es nicht durch die Tatsache, daß zum Beispiel seine Kinder eine gesicherte Berufsausbildung hätten.

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Das Misstrauen bleibt. Zurückgehen? Niemals! Die beiden jungen Paare, die erst letzte Woche über Ungarn in der Stadt eintrafen, sind ganz bestimmt: Selbst wenn es in der DDR Veränderungen geben werde, wolle man unter keinen Umständen zurückkehren. An Veränderungen glauben sie im übrigen auch nicht. Der Möbelpacker, Anfang 30, und seine gleichaltrige Frau sind überzeugt, daß so gut wie nichts anders werden wird.

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