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Die "neue" Neue Wache wird 20 Jahre alt.

© Thilo Rückeis

20 Jahre Neue Wache: Die unewige Flamme

Vor 20 Jahren wurde die Neue Wache nach einem Umbau als Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft eingeweiht. Projektleiter Peter Dörrie erinnert sich an erbitterte Debatten und ein besonderes Gaslicht, das schließlich erlosch.

Er hat damals die Ewige Flamme zum Verlöschen gebracht. „Das war ganz einfach. Wir haben im Keller an einem Hebel gedreht, und schon ging die Gasflamme in dem gläsernen Würfel aus“, sagt Peter Dörrie. Das war am 13. Mai 1993. Heute steht der Projektleiter beim Umbau der Neuen Wache Unter den Linden auf dem grauen Basalt-Originalfußboden mit seinen Steinchen und Riemchen, den er damals mit freigelegt hatte, und erinnert sich an die Einweihung der „neuen“ Neuen Wache heute vor 20 Jahren, am 14. November 1993. „Es war ein grauenhaftes Wetter mit strömendem Regen, als Ehrenposten der Bundeswehr mit präsentiertem Gewehr zwischen den Säulen standen und ein Trompeter sein einsames Lied spielte. Aus dem Hintergrund hörte man die Rufe der Protestierer: „Aufhören!“ forderten sie, „Nazis raus“ und „Deutsche Täter sind keine Opfer“. Ihrer Meinung nach setzte die auf schwedischem Granit angebrachte Inschrift „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ Opfer und Täter gleich – kurz vor der Eröffnung der Gedenkstätte hatten sich sogar Gegner an die Eingangstore gekettet. Auch die vergrößerte Nachbildung der Kollwitz-Pietà mit der Mutter, die um ihren Sohn trauert, war ein Zankapfel. Damals.

Streit um Neue Wache in Berlin ist Geschichte

Heute ist der Streit für alle damals Beteiligten Geschichte. Peter Dörrie ist noch immer stolz darauf, dass die Umgestaltung der Neuen Wache zur Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik im Zeitplan (sechs Monate) und im Kostenrahmen (1,4 Millionen D-Mark) geblieben ist. Er hatte interessante Begegnungen – mit Helmut Kohl und dem Bildhauer Harald Haacke, der die Kollwitz-Plastik im Maßstab 1:4 vergrößerte, mit Herrmann Noack, der die Mutter-Plastik in sieben Teile zerlegte und, gegossen, wieder zusammenfügte, mit den Enkeln von Käthe Kollwitz und einem Enkel von Heinrich Tessenow, dem Gestalter des Innenraums als Gedächtnisstätte 1931. Der hatte an die Stirnwand ein großes Kreuz gehängt, um die Wand vor einem Hakenkreuz zu bewahren. In der DDR prangte dort das Staatswappen mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz, rechts die Inschrift „Den Opfern des Faschismus und Militarismus“.

Früher sind hier die Soldaten marschiert

Heute sind die Wände kahl, hinter einer Platte hat Peter Dörrie vor zwanzig Jahren eine Kassette mit D-Mark-Münzen und dem „Tagesspiegel“ eingemauert. Der gläserne Würfel aus Prismenglas, in dem einst die Ewige Flamme brannte, liegt heute im Depot des Deutschen Historischen Museums, nicht weit entfernt von jenem Raum, aus dem die stündliche Wachablösung von Soldaten der Nationalen Volksarmee in gemäßigtem Stechschritt zum Schinkel-Bau marschierte. (Im Dritten Reich musste beim Stechschritt die Stiefelspitze bis oberhalb des Koppels, also des Gürtels, reichen). Aus DDR-Zeiten ist etwas geblieben, was man nicht sieht: Unter der neuen Gedenkplatte aus schwarzem Granit stehen die Urnen mit den sterblichen Überresten eines unbekannten Widerstandskämpfers und eines unbekannten Soldaten aus dem 2. Weltkrieg. Um die Urnen stehen je neun kleinere Gefäße mit Erde von europäischen Schlachtfeldern und aus Konzentrationslagern. Die Rosen, die Besucher für die trauernde Mutter mitgebracht haben, liegen genau über den Urnen.

Wo ist die Ewige Flamme? fragen die Besucher

Das muss Michael Linde öfter seinen Gästen erklären. Im Auftrag einer privaten Sicherheitsfirma steht er hier: endlich keine Wachparaden, Aufmärsche, Stechschritte, Trommelwirbel und militante Staatsmacht mehr, sondern ein so gemütlicher wie auskunftsfreudiger Mensch mit grauem Bart aus Reinickendorf. Das hat etwas Beruhigendes. Jedes Mal, wenn ein neuer Gast die Halle betritt, drückt er auf den Knopf einer kleinen Zählmaschine, die ermittelt, dass jetzt täglich etwa 2500, im Sommer 6000 Besucher die Neue Wache betreten. Die meisten werden in der Schlichtheit des Raumes still, manche vermissen Kränze oder Sprüche an den Wänden. Am Eingang wird die Bedeutung der Gedenkstätte in vielen Sprachen erklärt, auffallend viele Franzosen, Spanier und Russen gehören zu den Besuchern, sagt Michael Linde. Erlebnisse? Im Sommer wollte jemand unbedingt sein Fahrrad in die Halle mitnehmen, „das geht ja nun gar nicht. Und auch jenen jungen Leuten, die da plötzlich rund um die Pietà Handstände probierten, musste freundlich, aber bestimmt die Würde des Ortes erklärt werden.“ Im Sommer kam ein Ausländer und rief immer: „Chantré, Chantré!“. Herr Linde sagte, wir sind doch hier keine Kneipe, bis sich herausstellte, dass der Mann in die Charité wollte. Ein anderer rief, als er sah, wie junge Mädchen mit ihren Hot pants auf den Eingangsstufen saßen: „Früher hätte es das nicht gegeben!“ Überhaupt: Wo ist die Ewige Flamme? Und dann erzählt Michael Linde die Geschichte vom Jenaer Prismenwürfel und der Flamme, die still erlosch.

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