zum Hauptinhalt

Berlin: 20 Tote nur durch Raser

Immer häufiger werden rote Ampeln missachtet. Doch es gibt weniger Kontrollen und mehr defekte Blitzer

Immer schneller, immer aggressiver. „Die Zunahme der Rücksichtslosigkeit macht uns Sorgen“, sagte gestern der Chef der Verkehrspolizei, Wolfgang Klang. Die Zahl der Rotlichtverstöße sei deutlich gewachsen – vor allem die Fälle, in denen bereits mehr als eine Sekunde „Rot“ war. Auch bei Tempoverstößen gebe es „zunehmend Ausreißer nach oben“, sagte Klang. Während die Zahl der Unfälle insgesamt abnahm, stieg die Zahl der Raserunfälle um sechs Prozent. Auf den Autobahnen fahren manche mehr als doppelt so schnell wie erlaubt: 180 bei erlaubten 80. Der Rekordhalter in der Stadt wurde mit 150 bei erlaubtem Tempo 50 erwischt – das Dreifache also. In einer Tempo-30-Zone ermittelte die Polizei 120 als Spitzenwert – das Vierfache. Polizeipräsident Dieter Glietsch sagte gestern bei der Präsentation der Unfallbilanz für 2006, dass die Zahl der Verkehrstoten um sieben auf 74 gestiegen ist. Die Zahl der Schwerverletzten stieg um sieben Prozent auf 1900. Von den 74 Toten starben 20 bei Raserunfällen.

Polizeipräsident Dieter Glietsch kündigte angesichts dieser Zahlen an, dass „Raser und Drängler künftig mit noch mehr Kontrollen rechnen müssen“. Heute soll es losgehen: Stadtweit sollen Autofahrer auf Alkohol und Drogen kontrolliert werden, sagte Glietsch.

Was der Polizeipräsident nicht sagte: Die Kontrolldichte sinkt rapide: Während im Jahr 2002 noch über zehn Millionen Autos in den Radarstrahl einer Tempokontrolle gerieten, waren es 2006 nur 8,3 Millionen Fahrzeuge. Dabei hat sich die technische Ausstattung der Polizei deutlich verbessert. Die Zahl der Lasermessgeräte stieg in diesen fünf Jahren von 20 auf 68. Während es 2002 nur 18 Blitzer-Zivilstreifen gab, sind es derzeit 22. Das bedeutet: Der Polizei fehlt offensichtlich das Personal, diese Geräte einzusetzen. Seit Jahren sind immer mehr Beamte durch Demonstrationen, Staatsbesuche und wegen der gestiegenen Terrorgefahr gebunden. Im vergangenen Jahr kam noch die Fußball-WM hinzu. Da im Sommer wegen der WM Urlaubssperre galt, waren auch in den Monaten danach weniger Beamte auf der Straße.

Dennoch will die Polizei keine weiteren stationären Tempoblitzgeräte aufstellen. Glietsch begründete dies damit, dass mobile Anlagen „flexibler“ seien. Wie berichtet, wurde Ende 2005 der erste feste Tempoblitzer in der Steglitzer Schildhornstraße aufgestellt. Es folgten Scharnweberstraße in Reinickendorf, Seestraße in Wedding und Frankfurter Allee in Lichtenberg. Dagegen soll die Zahl der Geräte zur Rotlichtüberwachung mittelfristig erhöht werden – aber nicht mehr in 2007. Doch auch vor den vorhandenen 14 Geräten müssen Autofahrer nicht mehr so viel Angst haben wie früher. So wurden 2001 mit 13 Geräten über 33 000 Rotlichtsünder geblitzt. 2006 waren es mit den 14 Geräten nur noch 28 000. Wie ein Polizeiexperte sagte, seien die Geräte sehr häufig defekt, zudem fehle bei der Berliner Polizei das Personal.

Die ausgedünnten Kontrollen kontrastieren scharf mit dem „Trend zur Rücksichtslosigkeit“, wie es Berlins oberster Verkehrspolizist Klang formulierte. „Wir versuchen, das in den Griff zu bekommen“, hieß es gestern. Ein Experte betonte, dass nur 14 von 2000 Ampeln mit Blitzern ausgestattet seien, die Zahl der nicht geahndeten Rotlichtverstöße also in die Millionen gehe.

Unter den 74 Toten waren neun Radfahrer (2005: sieben), 17 Motorradfahrer (17), 32 Fußgänger (26), 14 Autofahrer (17) und zwei weitere Verkehrsteilnehmer. Am häufigsten krachte es auf der Kreuzung Urania/Schillstraße/Kurfürstenstraße. Dort gab es 29 Unfälle mit sieben Schwerverletzten. Der Fahrradbeauftragte des Senats, Benno Koch, berichtete, dass viele Radler aus Angst vor Rasern auf Gehwegen führen – und dort dann wiederum Fußgänger gefährden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false