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Riesiger Papierverbrauch: Die gesammelten Kassenzettel von zwei Tagen liegen in einer Bäckerei auf dem Boden.

© Michael Tenk/dpa

Was die Bonpflicht für Berlin bedeutet: Widerspruch zwecklos – alle Geschäfte müssen Quittungen ausgeben

Berlins Einzelhändler müssen künftig Kassenbons ausgeben. Die Unternehmen warnen vor höheren Kosten und schlechterem Service.

Wer in einer Berliner Bäckerei oder im Späti nach einer Quittung fragt, bekommt schon mal einen irritierten Blick. Zumindest war das bislang so. Doch ab dem neuen Jahr muss jedes Geschäft Kassenbons ausgeben. Und zwar an alle Kunden, bei jedem Verkauf. So möchte das Bundesfinanzministerium das Schummeln mit Bargeldkassen erschweren. Denn offenbar werden viele Zahlungen falsch oder gar nicht verbucht.

Die Belegausgabepflicht, umgangssprachlich meist „Bonpflicht“ genannt, ist Teil der neuen Kassensicherungsordnung. Deren wichtigste Neuerung ist, dass alle Kassen mit einer technischen Sicherheitseinrichtung ausgerüstet sein müssen. Damit sollen die gespeicherten Vorgänge fälschungssicher werden.

Außerdem muss jede Registrierkasse fortan beim Finanzamt angemeldet werden. Die gesamte Kassensicherungsordnung gilt eigentlich ab dem 1. Januar 2020. Weil sich jedoch die Umsetzung der technischen Sicherheitseinrichtung als schwierig erwiesen hat, gewährte das Finanzministerium eine Frist bis Ende September. Trotzdem – und das führt zu Verwirrung – gilt die Bonpflicht schon ab Januar. Und zwar für alle Unternehmen, die eine Registrierkasse betreiben.

Ausnahmen? Gibt es keine: Auch wenn der Kunde zum Beispiel nur ein einziges Brötchen kauft und dafür gar keinen Beleg haben möchte, muss der Bon erstellt werden. Der Kunde muss den Zettel nicht mitnehmen, er kann ihn im Laden in einen Mülleimer werfen. Aber es muss einen Bon geben, denn das soll die Steuerprüfung erleichtern.

Unklar, wie hoch der Bargeldbetrug tatsächlich ist

Wie viele Steuern dem Land Berlin durch Bargeldbetrug Jahr für Jahr entgehen, kann die Senatsverwaltung für Finanzen nicht beantworten. „Dazu gibt es keine belastbaren Zahlen“, sagt Sprecher Alexis Demos dem Tagesspiegel. „Die Einhaltung der Belegausgabepflicht wird ab dem 1. Januar 2020 durch den Innendienst der Finanzämter überprüft“, sagt Demos.

Die Kontrolle erfolge unter anderem durch eine sogenannte Kassen-Nachschau, die bereits seit 2016 möglich ist. Das ist eine unangekündigte Prüfung, bei der nicht nur das Kassensystem ganz genau angeschaut wird. Der Prüfer darf auch Unterlagen einsehen und scannen. Außerdem darf er im Vorfeld Testkäufe machen und dann zum Beispiel überprüfen, ob der ausgegebene Beleg mit der Buchung im System übereinstimmt. An dieser Stelle soll die Bonpflicht wirken.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier sprach sich für Ausnahmen in Läden mit viel Laufkundschaft aus.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier sprach sich für Ausnahmen in Läden mit viel Laufkundschaft aus.

© imago images / photothek

Welche Konsequenzen drohen dem Unternehmer, wenn der Prüfer Verstöße feststellt? Das hängt laut Finanzverwaltung grundsätzlich vom Einzelfall ab. „Sollte der Umsatz tatsächlich nicht erfasst worden und die Buchführung nicht in Ordnung sein, könnten Hinzuschätzungen vorgenommen oder gar Steuerstrafverfahren eingeleitet werden“, sagt Demos. Ein direktes Bußgeld gebe es aber nicht.

Laut Bundesfinanzministerium kann die Quittung auch elektronisch zugestellt werden, also zum Beispiel per Email. Aber das dürfte nur für die wenigsten Ladengeschäfte eine realistische Möglichkeit sein. Denn der Kunde müsste beim Einkauf seine E-Mail-Adresse nennen und dabei auch der Datenschutz-Grundsatzverordnung (DSGVO) zustimmen.

Am ausgedruckten Bon führt kein Weg vorbei

Vermutlich wären nur die wenigsten Kunden bereit für ein derartig kompliziertes Prozedere, um ein belegtes Brötchen oder ein Späti-Bier zu kaufen. Am ausgedruckten Bon führt also in der Praxis kein Weg vorbei.

„Die Bonpflicht ist unverhältnismäßig und überflüssig“, sagt Johannes Kamm, der Geschäftsführer der Bäcker-Innung Berlin. „Selbstverständlich sind wir gegen jeden Steuerbetrug. Und wir wissen auch, dass es schwarze Schafe in der Branche gibt“, sagt Kamm. „Doch die Bonpflicht stellt alle ehrlichen Geschäftsleute unter Generalverdacht und drangsaliert sie.“ Die Behörden hätten bereits heute viele Möglichkeiten, Kontrollen zu machen. Daher fordert Kamm, dass für Bäckereigeschäfte eine Ausnahmeregelung gelten solle.

Ohne Bon geht künftig nichts mehr über Berliner Ladentheken. (Symbolbild)
Ohne Bon geht künftig nichts mehr über Berliner Ladentheken. (Symbolbild)

© Symbolbild

Ausnahmen sind in der Kassensicherungsverordnung tatsächlich vorgesehen. Laut Bundesfinanzministerium müssen für eine Befreiung von der Belegausgabepflicht allerdings „sachliche Härten“ vorliegen. Ob das massenhafte Bon-Ausdrucken wirklich eine unzumutbare Belastung darstellt, wie die Branchenvertreter behaupten, ist jedoch umstritten. Jeder Betrieb müsse einzeln einen Antrag auf Anwendung der Ausnahmeregelung stellen und die notfalls einklagen, sagt Kamm.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte sich Mitte Dezember dafür ausgesprochen, dass für Händler mit viel Laufkundschaft Ausnahmen gelten sollten. Das sieht auch Nils Busch-Petersen so, der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg.

Die Bonpflicht sei „blinder Aktionismus“, sagt er und lässt sich zu einer etwas gewagten Schätzung hinreißen: „Die Bonpflicht wird zwei Millionen Kilometer Bons pro Jahr produzieren.“ Allein aus ökologischer Sicht sei das nicht zu verantworten. „Ein höherer Verbrauch von Kassenbons würde Klima und Ressourcen stark belasten“, sagt Tobias Quast, Abfall- und Ressourcenexperte beim Umweltlobbyverband „Bund Berlin“.

Problematisch seien vor allem Belege auf Thermopapier, denn sie „enthalten die hormonell wirksame Substanz Bisphenol A, die die Fortpflanzungsfähigkeit von Lebewesen beeinträchtigen kann, wenn sie in die Natur gelangt.“ Bons aus Thermopapier gehörten deshalb auch nicht in den Papiermüll, sondern müssten mit dem Restmüll entsorgt werden, sagt Quast.

Die Bonpflicht bedeutet Mehraufwand – vor allem in den Clubs

Von der Bonpflicht sind nicht nur Handwerk und Handel betroffen, sondern auch das Nachtleben. Denn auch Clubbetreiber müssen in Zukunft Belege ausgeben. In der Szene spiele das Thema aber noch keine große Rolle, sagt Lutz Leichsenring, Sprecher des Interessenverbandes Clubcommission. „Clubs werden ohnehin schon stark überwacht, regelmäßig gibt es Kontrollen.“

Bei Bedarf könnten Clubs jedoch leicht nachrüsten und an ihre Kassen einen Bondrucker anschließen. Das Barpersonal müsse dann zusätzliche Handgriffe machen. Für Clubbetreiber, die ihre Kosten genau kalkulieren, sei diese zusätzliche Arbeitszeit ein Kostenfaktor. Außerdem leide die Servicequalität, denn die Kunden müssten länger warten. „Dieser Aufwand ist nicht gerechtfertigt“, sagt Leichsenring.

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