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Berlin wird immer bunter.

© dpa

25 Jahre nach dem Mauerfall: Wo die Mauer zwischen Berlinern heute verläuft

Was denken und meinen die Hauptstädter? Wer zieht in welchen Bezirk? Und wo gibt es noch richtige Ur-Berliner? Eine Studie der Hertie School of Governance gibt Antworten.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall bröckelt allmählich auch die Mauer in den Köpfen. Ein gutes Drittel der Berliner (36 Prozent) sieht keinen Unterschied mehr zwischen den Menschen im Osten und Westen der Stadt. Das ist das Ergebnis einer Studie der Hertie School of Governance, die dem Tagesspiegel vorliegt. Die Wissenschaftler befragten 2000 Berliner im Alter ab 14 Jahren telefonisch nach ihren Meinungen und Einstellungen zur Hauptstadt.

Ost und West

Vor fünf Jahren, bei der ersten Berlin-Studie der Hertie School, sahen nur 25 Prozent der Berliner keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West. Die ehemals geteilte Stadt wächst demnach auch mental zusammen – allerdings langsam. Denn noch immer ist fast die Hälfte der Berliner der Meinung, dass die Menschen in Ost und West „wenig miteinander zu tun“ haben oder sich sogar „aus dem Weg gehen“. Die eingeborenen Berliner denken weniger in Ost-West-Kategorien als die Zugezogenen, besagt die Studie. Und die Mehrheit der Befragten sehe sich selbst in erster Linie als Deutsche, dann als Europäer und erst an dritter Stelle als „Ost- oder Westdeutscher“.

Innen und außen

Es sind andere Gegensätze, die die Stadt zunehmend bestimmen. Auch das ist ein Ergebnis der repräsentativen Umfrage. Das urbane Zentrum Berlins und die Randgebiete driften auseinander. Neu-Berliner ziehen bevorzugt nach Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow, also in Bezirke mit vielen jungen Menschen. Dagegen verzeichnen Spandau, Marzahn-Hellersdorf und Reinickendorf kaum Zuzüge und „altern rapide“, heißt es in der Studie. Es deute sich eine wachsende Spannung zwischen Zentrum und Peripherie an. Berlin ist offenbar auf einem Weg, den andere Millionenstädte schon hinter sich haben.

Akademisch und kulturvoll

Studium und Beruf sind für Frauen (65 Prozent) und Männer (69 Prozent) der wichtigste Grund, in die Hauptstadt zu ziehen. Für Berlin sprechen außerdem die Freizeit- und Kulturangebote, von denen sich Männer etwas häufiger locken lassen als die Frauen. Die Zusammensetzung der Bevölkerung ändert sich ständig. Nur die Hälfte der Befragten ist noch in Berlin geboren. Ein Drittel zog vor mehr als zehn Jahren an die Spree, die restlichen 15 Prozent vor weniger als einem Jahrzehnt. Regional gibt es große Unterschiede. Im Bezirk Mitte sind nur noch ein Drittel der Bewohner „Ur-Berliner“, in Spandau dagegen zwei Drittel.

International und kreativ

Die Stadt wird immer bunter. 17 Prozent der Berliner haben einen direkten Migrationshintergrund. Aktuell kommen Zuzügler vor allem aus Polen, Bulgarien und Rumänien, gefolgt von Italien und Spanien. Die meisten Ausländer leben in Mitte, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg, die wenigsten in Pankow, Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick. Das sei auch eine späte Folge der „sehr begrenzten Einwanderungspolitik der DDR“, heißt es. Übrigens schätzt die große Mehrheit der Deutschen (83 Prozent) und der Ausländer (72 Prozent) die gegenseitigen Kontakte als positiv ein. Auch die Milieus haben sich stark verändert. Inzwischen besonders stark vertreten sind in Berlin die „junge, moderne Avantgarde“ und die „spaß- und erlebnisorientierten Hedonisten“. Andererseits gibt es eine besonders große Gruppe von „Modernisierungsverlierern“, die in prekären Verhältnissen leben. Traditionell-bürgerliche Werte und Lebensweisen spielen in Berlin eine geringere Rolle als sonst in Deutschland.

Persönlich und politisch

57 Prozent der Befragten sehen sich „voll und ganz“ als Berliner, nur 11 Prozent fühlen sich in der Stadt nicht wohl. Auch bei den zugezogenen und bei den ausländischen Bürgern ist die Identifikation mit Berlin hoch. Zwei Drittel der Befragten empfinden Berlins Verwaltung als „freundlich und kompetent“. Allerdings stellen die Berliner dem Senat mehrheitlich schlechte Noten aus – vor allem bei den Themen Flughafen BER, Armutsbekämpfung, Wohnungsnot und Arbeitsplätze. Das politische Interesse der Hauptstädter ist groß, allerdings sind nur 35 Prozent damit zufrieden, wie die Demokratie in Berlin funktioniert. Eine knappe Mehrheit bewertet direkte Formen der Bürgerbeteiligung als positiv und will in stadtpolitische Entscheidungen eingebunden werden.

Die Studie wird am heutigen Dienstagabend ab 18 Uhr in der Hertie School of Governance, Friedrichstraße 180, vorgestellt und diskutiert. Der Eintritt ist frei.

Der Studienleiter im Interview

93 Prozent leben gern in Berlin
93 Prozent leben gern in Berlin

© Reuters

Herr Anheier, was hat Sie an den Ergebnissen Ihrer Studie besonders überrascht?

Ich war erstaunt, wie zufrieden und optimistisch die Berliner in die Zukunft blicken. Sehr viel mehr als 2009, bei unserer ersten Umfrage.

Haben Sie eine Erklärung?

93 Prozent leben gern in Berlin, auch die Zugezogenen fühlen sich schon nach kurzer Zeit wohl. Das gute Kultur- und Freizeitangebot spielt dabei sicher eine Rolle, aber auch, dass es mit der Berliner Wirtschaft seit einigen Jahren aufwärtsgeht.

Sie haben festgestellt, dass die Mauer in den Köpfen bröckelt, aber relativ langsam. Nur 36 Prozent der Berliner sehen keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West. Könnte man 25 Jahre nach dem Mauerfall nicht mehr erwarten?

Zum einen gibt es den Generationeneffekt. Wer noch im Westen oder Osten aufwuchs, ist sich der Unterschiede weiterhin bewusst. Anders als jene, die die Mauer nicht mehr selbst erlebt haben. Die jüngeren Berliner empfinden demnach weniger Unterschiede zwischen Ost und West. Zum anderen gibt es in beiden Teilen der Stadt immer noch reale Differenzen, etwa bei den Gehältern. Viele, die im östlichen Teil Berlins leben, haben weniger im Portemonnaie. Auch das spiegelt sich in der Umfrage wider.

Sind die Berliner immer noch ein besonderes Völkchen?

Ja, das kann man so sagen. Das Besondere an der Stadt ist ihre hohe Integrationsleistung. Jedes Jahr ziehen mindestens 40.000 Menschen zu und die meisten fühlen sich schon nach kurzer Zeit als Berliner. Das gilt auch für 80 Prozent der Ausländer. Darauf kann die Stadt stolz sein.

Nur 35 Prozent der Berliner sind zufrieden mit der Demokratie, bundesweit sind es 70 Prozent. Wie kommt das?

Berlin ist nun mal ein Sonderfall, weil hier nach 1989 zwei ehemals völlig unterschiedliche Systeme aufeinandertrafen. Auch heute noch sind die Menschen im Osten der Stadt oft skeptischer – und unzufriedener mit dem politischen System, so wie es funktioniert.

Wagen Sie eine Prognose, in Richtung 2020. Wohin entwickeln sich Berlin und seine Bürger in den nächsten Jahren?

Wenn es der Politik gelingt, die riesigen Potenziale Berlins gut zu erschließen, kann man nur optimistisch in die Zukunft der Stadt schauen.

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