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Berlin: 30. Oktober 1989

Vor 15 Jahren wollte West-Berlin keine DDR-Flüchtlinge mehr aufnehmen

In Kürze jährt sich der Mauerfall zum 15. Mal. Daher dokumentiert der Tagesspiegel täglich Artikel über die sich andeutende Wende, die jeweils am Tag vor genau 15 Jahren in dieser Zeitung erschienen. Die heutigen Texte stammen vom 29.10.1989. Am 30.10.1989 erschien der Tagesspiegel nicht.

Einreisebeschränkungen in West-Berlin. DDR-Übersiedler und Flüchtlinge sollen einer Abmachung mit den anderen Bundesländern folgend nur noch dann in der Stadt aufgenommen werden, wenn sie enge Verwandtschaftsbeziehungen haben oder aus Ost-Berlin kommen (…) Niemandem wird der Zuzug verwehrt, wenn er nach Berlin möchte. Bei den Meldestellen gibt es, wie der Sprecher der Innenverwaltung, Thronicker, sagte, keinerlei Kontrollen, woher ein Deutscher kommt, der sich in Berlin anmelden will. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch nur die Menschen, die soziale Leistungen in Anspruch nehmen, wie Unterkunft, Verpflegung und finanzielle Zuwendungen oder Vergünstigungen. Die anderen sind, wie die Sprecherin der Sozialverwaltung sagte, „nicht unser Problem“.

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Italienische Journalisten verhört. Ein Fernsehteam der italienischen Rundfunkanstalt RAI ist von den DDR-Behörden mehrere Stunden lang am Grenzübergang Friedrichstraße (Checkpoint Charlie) verhört worden. Ein Teil des Filmmaterials wurde nach Angaben der Betroffenen beschlagnahmt. Der Vorfall ereignete sich, als das Team die Rückreise nach Italien antreten wollte. Nach Angaben der betroffenen Journalistin, Lilli Gruber, hatte das mit allen notwendigen Genehmigungen ausgestattete Fernsehteam eine Woche lang unbehelligt in der DDR gearbeitet.

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DDR-Autoren lesen in Kreuzberg. Es hat Sinn, daß im Künstlerhaus Bethanien und in der Elefanten Press Galerie während der Ausstellung junger Künstlerinnen und Künstler aus der DDR, „Zwischenspiele“, auch die Avantgarde der Literatur zu Wort kommt. Denn vergleichbar vielleicht nur mit den Künstlerclubs der Expressionisten finden sich in Ost-Berlin und anderen Städten der DDR seit Beginn der achtziger Jahre Musiker, bildende Künstler und Literaten zusammen, um zu improvisieren, zu experimentieren und zu theoretisieren. Gemeinsam wüten sie gegen Bevormundungen des Staates und widersetzen sich einer erstarrten Normalität. Die drei an der ersten Lesung beteiligten Autoren – Bert Papenfuß-Gorek, Rainer Schedlinski und Stefan Döring – wurden in den fünfziger Jahren geboren und leben im Umkreis von Prenzlauer Berg, das als Zentrum der künstlerischen Szene in Ost-Berlin gilt.

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