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50 Jahre Mauerbau: Gefühlte Geschichte

Egon Bahr und Gregor Gysi diskutieren bei der Premiere des Dokumentarfilms "Mauerhaft – Der private Blick auf die Mauer" über den 13. August.

Egon Bahr ist 89 Jahre alt, aber das merkte man dem SPD-Politiker nicht an, als er am Donnerstagabend mit Linken- Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi auf dem Podium in der Urania saß und sich an den Beginn der deutschen Teilung erinnerte. Auf die Frage, wie er am 13. August 1961 den Bau der Berliner Mauer erlebt habe, antwortete Bahr präzise: Die Mauer sei doch gar nicht an jenem Tag gebaut worden. „Es wurde ja nur Stacheldraht ausgerollt.“ Er habe anfangs auch „nicht gewusst, dass die Mauer kommt“. Erst nach drei Tagen „müder Proteste“ seitens der West-Alliierten und des Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU) seien die Sperranlagen aus Beton und Stein entstanden.

Die vom Tagesspiegel und der Urania veranstaltete Diskussion und anschließende Premiere des Dokumentarfilms „Mauerhaft – Der private Blick auf die Mauer“ hatte mehr als 850 Gäste angelockt. Mit „Wut, Empörung und Ohnmacht“ umschrieb Bahr, wie der damalige Regierende Bürgermeister Willy Brandt (SPD) und er als dessen Sprecher sich in der plötzlich geteilten Stadt fühlten. „Wir Deutschen wurden nur als Objekte behandelt.“ Brandt sei gegenüber den Stadtkommandanten der West-Alliierten „laut geworden“ und habe nach einem Treffen herzhaft geflucht: „Diese Scheißer! Trauen sich nicht mal, Jeeps auf die Straße zu schicken!“

Gregor Gysi wies darauf hin, dass er 1961 gerade einmal 13 Jahre alt und am 13. August gerade in Sachsen-Anhalt war. Wenige Tage später habe er in Berlin dann die neue Grenzen und russische Panzer auf den Straßen gesehen, sich aber gedacht, die Mauer werde es nur ein bis zwei Jahre lang geben. „Später konnte ich mir nicht mehr vorstellen, dass sie fällt“, sagte Gysi. Nach seiner Ansicht „gab es nach 1949 die Chance zur deutschen Einheit“, doch sei dies „auch an deutschen Politikern gescheitert“.

Die gewaltsame staatliche Teilung habe nicht nur Jahrzehnte später zum Ende der DDR geführt, sondern sei von Beginn an falsch gewesen, betonte Gysi: „Eine gerechtere Gesellschaft kann nicht entstehen, indem man auf eigene Leute schießt.“ Gewalt und Zwang passten nicht zum Sozialismus in seiner idealen Form. Zum DDR-Sozialismus sei es aber „nicht wegen dem Volkswillen“ gekommen, sondern durch die Übertragung des Sowjet-Modells. Gerade in den letzten Jahren vor dem Mauerfall hätten Strafverfahren wegen „staatsfeindlicher Hetze“ immer absurdere Formen angenommen, fand der Linken-Politiker, der als Rechtsanwalt in Ost-Berlin auch Ausreisewillige und Systemkritiker verteidigt hatte.

Bahr sah in der Annäherungspolitik gegenüber dem Osten, die er als Bundesminister und Willy Brandt als Bundeskanzler forciert hatten, den einzigen Weg zu Erleichterungen für die Bürger in beiden Teilen. Denn jahrzehntelang habe es im Osten und Westen „keine Versuche mehr gegeben, die Spaltung zu überwinden“. Erst als die DDR-Bürger in Massen auf die Straßen gingen und schließlich die deutsche Einheit forderten, sei den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs „nichts anderes übrig geblieben, als zuzustimmen“.

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