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Berlin: 500 Anzeigen gegen den Schrecken der Siedlung

Seit Jahren terrorisiert ein Rentner seine Nachbarn

Die blaue Wolldecke hat Sven Hennings bis zum Kinn gezogen, als wolle er sich dahinter verstecken. Sein rechter Fuß ist bandagiert, an den Oberarmen hat er Schürfwunden und Prellungen. Tierische Angst habe er gehabt, sagt Sven. „Angst, dass der mich umbringt.“ Der, das ist der 61-jährige Nachbar Horst H. Er sitzt jetzt wegen versuchten Totschlags in Untersuchungshaft. Ein Arzt erklärte ihn für zurechnungsfähig, hieß es bei der Polizei.

Es passierte am Dienstagnachmittag im Mackebenweg in Rudow. Sven und seine Freunde waren mit dem Fahrrad unterwegs. Als sie an H.’s Haus vorbei radelten, zerrte dieser den Jungen vom Fahrrad und stürzte sich auf ihn. Sven strampelte und schrie um Hilfe. Doch H. kannte kein Erbarmen, drückte dem Jungen die Kehle zu. Nachbarn, die die Schreie gehört hatten, kamen auf die Straße gerannt und versuchten, den 120 Kilogramm schweren H. von dem Kind herunterzuzerren. Es habe Minuten gedauert, bis Sven befreit werden konnte, erzählt Elsa Hönow, die drei Häuser von H. entfernt wohnt. „Dass es so weit kommen musste, ist schlimm“, sagt die 76-Jährige.

Denn Sven ist nicht der erste im Mackebenweg, den H. verprügelt hat. Seit Jahren macht der Rentner der gesamten Nachbarschaft das Leben zur Hölle. Nach den Erzählungen der Anwohner scheint er einer von denen zu sein, die schon morgens beim Aufwachen überlegen, mit welchen Gemeinheiten sie ihre Mitmenschen traktieren können. „Brüllplatz“ haben die Nachbarn mit weißer Farbe auf den Bürgersteig vor H.’s Grundstück geschrieben. „Da stand er am liebsten, wenn er geschrien und uns beschimpft hat“, sagt Elsa Hönow. „Du gehörst ins Altersheim, dir wachsen ja schon die Maden aus dem Kopf“, habe er ihr immer wieder hinterhergerufen. Und selbst nachts habe er keine Ruhe gegeben. Dann habe er mit Holzschuhen auf dem Asphalt getrampelt, gebrüllt und in die Hände geklatscht, sagt Elsa Hönow. Vor zwei Jahren habe H. sie dann beinahe überfahren – mit Absicht. „Ich habe mich am Gartenzaun einer Nachbarin unterhalten, als er mit seinem Auto geradewegs auf mich zuraste“, sagt sie. Nur wenige Zentimeter vor ihr habe er dann doch noch gebremst. Natürlich habe sie H. angezeigt. Seitdem ist der Mann seinen Führerschein los. Doch der Terror geht weiter.

Vor vier Wochen hat er seine Nachbarin Siegrid Heck verprügelt. Auch sie hat Anzeige erstattet und wartet jetzt auf das Gerichtsverfahren. „Jahrelang terrorisiert der uns schon, und wir können nichts dagegen machen“, sagt sie. Sie habe Briefe an die Staatsanwaltschaft geschrieben, sei bei der Polizei gewesen, beim Umweltamt und sogar beim Neuköllner Sozialstadtrat. Der habe ihr erklärt, er könne da nicht helfen, schließlich könne man dem Mann ja nicht die Stimmbänder kappen. „Hören Sie doch einfach weg“, habe er ihr noch als Tipp mit auf den Weg gegeben.

Angefangen hat der Nachbarschaftskrieg vor 20 Jahren, als H. aus seinem Grundstück eine Baustelle machte, weil er sein Haus unterkellern wollte. Von da an war es mit der Ruhe im Mackebenweg, einer hübschen Einfamilienhaussiedlung, vorbei. „Wir haben uns den Baulärm jahrelang gefallen lassen“, sagt Heck. Auf die schriftliche Bitte von 36 Nachbarn, doch wenigstens die Ruhezeiten einzuhalten, antwortete H. nur mit wüsten Beleidigungen. 1996 hat Siegrid Heck ihn dann zum ersten Mal angezeigt, weil er sie als „Beamtensau“ beschimpfte.

Mittlerweile belaufe sich die Zahl der Anzeigen gegen H. auf 500, sagen die Nachbarn. 13 von ihnen haben per Unterlassungsklage erwirkt, dass er sie nicht mehr ansprechen darf. Das alles hat jedoch wenig genützt. Jetzt hoffen alle, dass H. verurteilt wird. Weil sie Angst davor haben, was passiert, wenn er wiederkommt. „Der Mann ist zu allem fähig“, sagen sie.

Dagmar Rosenfeld

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