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60-Minuten-Takt: Berlin - Hamburg - Berlin: Wir Pendler im ICE

Im Stundentakt verbindet der ICE die beiden größten deutschen Städte. Für manche ist er schon eine Art Zuhause geworden. Doch warum reisen Berliner nach Hamburg. Und was treibt Hamburger nach Berlin? Wir haben uns umgehört.

NÄCHSTER HALT: BERLIN

Glamour und Speedway-Rennen: Warum Hamburger in die Hauptstadt fahren

Vanessa B., 37 Jahre, Fernsehmoderatorin, 1. Klasse

Ich moderiere jeden Montag und Donnerstag das Sat.1-Frühstücksfernsehen, da bin ich die Society-Expertin. Weil das in Berlin produziert wird, muss ich zweimal die Woche in diesen Zug steigen. Sonntags hin, montags zurück, mittwochs hin, donnerstags zurück. Ich wohne im Hotel und hätte auch keine Lust, da eine Wohnung zu nehmen. Ich finde Berlin ganz furchtbar. Groß, laut und dreckig. Schlimm! Hamburg ist klein, verschlafen, grün und unaufgeregt. Toll! Ich wohn’ in Uhlenhorst – nein: auf der Uhlenhorst, so muss man korrekt sagen.

Von 5.30 Uhr bis um 10 Uhr ist Sendung, dann bis kurz vor 11 Konferenz, dann schnell ins Taxi zum Hauptbahnhof – mit Glück schaffe ich den Zug um 11.12 Uhr. Ich freue mich, wenn ich aus dem Bahnhof Spandau rausfahre: Der nächste Halt ist Hamburg! Ich kenne ganz viele Hamburger, die nach Berlin gezogen und mit wehenden Fahnen zurückgekommen sind. Ich lebe seit 1997 in Hamburg, bin nach dem Volontariat da hängen geblieben. Da waren wir ja auch noch Medienstadt. Im Boulevardbereich passiert in Berlin einfach mehr, traurigerweise. Für die Prominenten ist Hamburg nicht mehr so interessant – da fehlt Glamour.

Hinrich D., 37, Kfz-Mechatroniker und Berufsschullehrer, Bordrestaurant

Ich fahre für ’ne Fortbildung nach Berlin. Hochvolttechnik im Kfz-Bereich. Elektrofahrzeuge. Allgemeine Grundlagen. Wir müssen ja mit dem Stand der Technik mitgehen. Ich freu mich: Am Wochenende ist Ice-Speedway-Rennen in Wilmersdorf, das guck’ ich mir an. Motorradfahren auf Eis. Ohne Bremsen. Beschleunigung schneller als Formel 1. Ich hab’s früher selber gemacht, aber ich heirate dieses Jahr, deshalb ist das mit Motorradfahren bei mir gelaufen. Nach 17 Knochenbrüchen ist dann auch mal gut. So sieht’s aus.

Irgendwann muss man sich da mal von trennen. Eigentlich ist es ziemlich unverfroren von Berlin, sich überhaupt für Olympia zu bewerben. Die sind pleite bis zum Gehtnichtmehr, Tschuldigung? Das sollen die mal schön Hamburg überlassen. Wir haben das Geld. Okay, wir haben mit der Elbphilharmonie auch 800 Millionen in den Sand gesetzt. Aber es ist immer noch unser eigenes Geld, das wir da verbraten.

Alex B., Evi V., Elly S., 24, 25 und 26 Jahre, Hotelfachangestellte, 2. Klasse

Wir haben morgen ein Seminar in Berlin. Hotellerie. Souveränes, kommunikatives, äh, wie hieß das noch mal? Ah ja: Souveränes Kommunizieren am Telefon! Gut telefonieren, ne? Ein freundlicher Umgang mit den Gästen. Ist immer wichtig. Man lernt ja nie aus. Ist so. Wir arbeiten alle für dieselbe Hotelkette. Rezeption und Reservierung. Gästeempfang und Betreuung. Zimmer verkaufen, hauptsächlich. Wir wohnen alle außerhalb. Dulsberg, Bramfeld und Pinneberg. Von unserer Zentrale aus schicken die uns zu dem Seminar. Und feiern gehen wir. Ein Freund zeigt uns ein bisschen Berlin. Wobei: Zu spät darf’s nicht werden. Morgen um neun geht’s los. Olympia? Auf jeden Fall! Hamburg! Party! Weil Hamburg einfach die schönere Stadt ist. Die schönste Stadt der Welt. Hamburg kann’s besser repräsentieren. Wird ja die ganze Welt sehen. Berlin ist hässlich. Berlin ist Plattenbau. In Hamburg können die besser entspannen. Und die Touristen kommen alle zu uns.

Jana L., 37 Jahre, Kulturproduzentin und Lehrerin, 2. Klasse

Ich pendele zwischen Hamburg und Berlin. Von Donnerstag bis Sonntag bin ich in Berlin, arbeite frei im Bereich Tanz und Theater. In Hamburg habe ich eine halbe Stelle an einem Gymnasium, als Lehrerin für Englisch und Spanisch. Immer montags bis mittwochs. Das ist ganz schön stressig. Da ist die Zugfahrt zwischen den Städten fast wie ein geschützter Raum. Ich arbeite ein bisschen, ab und zu gönne ich mir einen Tee im Zugrestaurant. Ein Übergang zwischen dem häuslichen Hamburg und dem Unterwegssein in Berlin, Künstler treffen, Veranstaltungen angucken.

Wo zu Hause ist, weiß ich gar nicht. Am letzten Wochenende dachte ich: definitiv Berlin. Das ist phasenbedingt. Für Leute aus der freien Kulturszene gibt es eigentlich wenig Gründe, nach Hamburg statt nach Berlin zu ziehen. In Berlin ist die Vielfalt an Künstlern und Institutionen einfach größer. Andererseits geht man in Hamburg nicht so unter wie in Berlin. Die Hamburger Kulturtöpfe sind zwar kleiner, aber es zapfen sie auch viel weniger Leute an.

Aufgezeichnet von Christoph Twickel, Autor der „ZEIT:Hamburg“. Er fuhr von Hamburg nach Berlin – ausnahmsweise auch mal in der 1. Klasse.

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NÄCHSTER HALT:HAMBURG
Liebe und Entwicklungshilfe: Warum Berliner in den Norden fahren

Franziska K., 35, IT-Beraterin, 1. Klasse
In Hamburg habe ich ein Geschäftsessen, ein paar Präsentationen, das kommt ungefähr alle drei Monate mal vor. Leider bin ich ein bisschen zu spät, ich hätte eigentlich um 10 Uhr schon dort sein müssen, ich habe mal wieder verschlafen, das ist leider so ein Problem bei mir. Aber das macht nichts, die warten schon auf mich, müssen sie ja! Die Zugfahrt genieße ich, ist ja angenehm hier in der ersten Klasse, auch wenn es um diese Zeit am Montag fast voller ist als in der zweiten Klasse. Pendeln halt viele nach Hamburg.

Meine Firma würde natürlich das Hotel zahlen, aber ich schlafe lieber bei Freunden. Ab und zu bin ich ganz gern in Hamburg, aber nach drei Tagen reicht es mir dann auch. Ich wohne gern in Berlin, in Friedrichshain, mittendrin, da ist immer was los. Das Unfertige der Stadt gefällt mir gut, auch wenn es mir häufig einfach zu dreckig ist. Und meine Familie lebt da. Vielleicht ziehen wir irgendwann mal ein bisschen weiter raus aus der Stadt, aber Berlin soll es schon sein, mit S-Bahn-Anschluss natürlich, damit man nicht ständig das Auto nehmen muss.

Jossi M., 38, Controller, Bordrestaurant
Dieses Bordrestaurant wird langsam mein zweites Zuhause, drittes, wenn ich ehrlich bin. Seit einem Jahr fahre ich jeden Montag nach Hamburg. Montag hin, Freitag zurück. Es nervt so unendlich. Ich bin Freiberufler, Bereich Finanzen, Controlling, so was. Ich bin immer da, wo man mich braucht. Neun Jahre habe ich im Ausland gearbeitet, in den USA, in China, Israel. In Deutschland möchte ich nur in Berlin wohnen. Ich fahre montags immer ein bisschen später los, damit ich ein ordentliches Wochenende in meiner Stadt habe. In Berlin bin ich aufgewachsen, hier ist meine Familie, leben die meisten Freunde. Hamburg ist auch okay, die zweitbeste Stadt in Deutschland, würde ich sagen, aber Hamburg hat für mich nichts Großstädtisches. Auch wenn die Menschen dort vielleicht netter sind als in Berlin. Die Berliner sind ein Prollvolk, ich bin hier geboren und sage Ihnen: Berlin war schon immer eine Proletenstadt. Nicht unbedingt sympathisch. Der Job in Hamburg sollte eigentlich bald vorbei sein, doch neuerdings gibt es da eine Frau, das macht die Sache ein wenig komplizierter. Sagen wir mal so: Es wäre schon gut, wenn ich noch ein bisschen pendeln müsste.

Grit S., 38, Modeberaterin, 2. Klasse
Ich fahre etwa einmal im Monat beruflich nach Hamburg, um dort einen Kunden zu beraten, heute Abend fahre ich schon wieder zurück. Ich helfe zum Beispiel jungen Designern, sich am Markt zu etablieren, organisiere Modenschauen und Fotoshootings für Labels, Messestände, alles, was dazugehört. Für meinen Job kommt in Deutschland keine andere Stadt als Berlin infrage. Nicht nur wegen der Fashion Week und der Modemessen. Hier sind so viele Talente, so viele Leute, die was machen wollen in ihrem Leben. Außerdem finde ich, dass Berlin die einzige deutsche Stadt ist, die man überhaupt als solche bezeichnen kann.

Mein Büro ist in Mitte, ich wohne aber inzwischen draußen in Brandenburg am See. Das brauche ich, um abzuschalten. Berlin ist rotzig und direkt, unfertig, das mag ich, aber abends muss ich dann auch entspannen können. Hamburg ist eine alte Hafenstadt, kosmopolitisch und offen. Und mit mehr Geld, das merkt man schon, auch im Modebereich: Hamburg ist viel eleganter. Das ist eine der wenigen Sachen, die ich manchmal in Berlin vermisse, da ziehen sich die Leute einfach selten richtig schick an, das ist so schade. Da kommen die Leute im T-Shirt zur Gala.

Hans P., 57, Immobilienverwalter, Kinderabteil
Seit 1992 fahre ich diese Strecke, jede Woche. Montag bis Mittwoch bin ich immer in Hamburg, Donnerstag und Freitag in Berlin. Leider kann ich nicht so gut arbeiten im Zug, es ruckelt einfach zu doll, sehen Sie, wie mein Laptop wackelt? Heute ist wirklich eine Ausnahme, weil das Kinderabteil frei war und ich es ganz für mich allein habe. Morgens fahren fast nie Leute mit Kindern, das wusste ich natürlich – ich kenn’ mich ja aus, wenn man wie ich so viel Zeit im Zug verbringt, hat man irgendwann alle Tricks raus. Meist fahre ich aber abends und döse vor mich hin. Mit der Bahncard 100 kann ich fahren, wann ich will, das ist natürlich praktisch, aber ich nutze das privat nie. Ich habe dann einfach keine Lust mehr aufs Zugfahren. Für mich ist Berlin keine Großstadt. Es ist so klein und piefig, jeder bleibt in seinem Kiez. Hamburg hingegen empfinde ich als multikulti, weltoffen, da merkt man die Hafenstadt. Olympia sollte keine der beiden Städte bekommen. Man braucht ja nur zwei Worte zu sagen: Elbphilharmonie und BER.

Aufgezeichnet von Anke Myrrhe, Redakteurin des Tagesspiegels. Sie fuhr von Berlin nach Hamburg und blieb dabei wach – sonst nickt sie im Zug meist sofort ein.

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