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Tagesspiegel im Museum. Aus in Blei gegossenen Einzelzeilen wird die so genannte Druckform montiert – in Spiegelschrift.

© Kitty Kleist-Heinrich

Zwischen Linotype und Leuchtschrift: Berliner Museen dokumentieren den Tagesspiegel – und den Wandel der Technik

Zwar ist er alles andere als ein Museumsstück. Trotzdem hat es der Tagesspiegel schon zu musealen Ehren gebracht.

Worte, in Blei gegossen, als wären sie für die Ewigkeit und sind doch nur für einen Tag. Heißt es nicht, nichts sei so alt wie die Zeitung von gestern? Nun, diese hier, gezeigt in der Dauerausstellung zur Schreib- und Druckkunst im Deutschen Technikmuseum Berlin, ist demnach schon steinalt – die Titelseite des Tagesspiegels vom 28. September 1975.

Was damals berichtet wurde? Auf den ersten Blick schwer zu sagen, vor uns liegt ja nicht die bedruckte Seite aus Papier, sondern die Druckform aus Blei, alle Texte also in Spiegelschrift. Aber mit etwas Mühe gelingt es zumindest, die Schlagzeile zu entziffern: „Empörung über Vollstreckung der fünf Todesurteile in Spanien“. Weltweit war damals gegen die Hinrichtung von fünf Mitgliedern der ETA und einer weiteren militanten Widerstandsorganisation protestiert worden – die letzten vollzogenen Todesstrafen in Spanien, zwei Monate vor Francos Tod.

Eine sauber gesetzte und montierte Titelseite: Kein „Schusterjunge“ und auch kein „Hurenkind“ – so heißen in der Druckersprache die erste Zeile eines Absatzes, mit der eine Zeitungsspalte endet, oder die letzte, mit der eine neue beginnt – heute fast vergessene Spezialbegriffe, doch immer noch Zeugnisse eines uralten Arbeitsethos. Schusterjungen und Hurenkinder waren und sind verpönt.

Am 8. März 1983 endete im Tagesspiegel die „bleierne Zeit"

So hat es also der Tagesspiegel, obwohl alles andere als ein Museumsstück, mit seinen 75 Jahren doch bereits zu musealen Ehren gebracht, im Technikmuseum in sogar doppelter Form, ist doch gleich neben der Bleiseite von 1975 die Prägemater und das Rundstereo der Titelseite vom 8. März 1983 ausgestellt – Hauptthema war damals Helmut Kohls erster Wahlsieg als Bundeskanzler gegen den unterlegenen Hans-Jochen Vogel. Eine besondere Seite in der Geschichte des Blattes: Es war die letzte im Bleisatz, mit klassischen Linotype-Setzmaschinen hergestellte Ausgabe, bevor auch der Tagesspiegel zum Fotosatz überging, übrigens ohne diesen technischen Quantensprung gegenüber seinen Lesern groß zu feiern.

Drucker Stefan Krämer neben einer Linotype-Setzmaschine in der Dauerausstellung für Schreib- und Drucktechnik im Technikmuseum.
Drucker Stefan Krämer neben einer Linotype-Setzmaschine in der Dauerausstellung für Schreib- und Drucktechnik im Technikmuseum.

© Kitty Kleist-Heinrich

Bleisatz? Linotype? Druckform? Prägemater? Rundstereo? Wer bei diesen Begriffen neugierig wird, ist bei Stefan Krämer an der richtigen Adresse. Als Drucker ist er im Technikmuseum dafür zuständig, die alten Traditionen seines Handwerks wieder zum Leben zu erwecken, den Fortschritt von früher auch heute noch als staunenswerte Kulturleistung zu feiern. Und das war eine Maschine der Firma Linotype in besonderem Maße.

Seit Gutenberg hatte sich an der Drucktechnik nicht allzu viel geändert: Buchstabe für Buchstabe musste per Hand gesetzt und nach dem Drucken wieder in die jeweiligen Kästchen zurücksortiert werden. Viele Versuche, das Ganze maschinell zu lösen, waren gescheitert, auch der Schriftsteller Mark Twain hatte in solch eine Maschine investiert, eine Fehlentwicklung, die ihn finanziell ruinierte. Erst der deutschstämmige, in die USA ausgewanderte Erfinder Ottmar Mergenthaler war erfolgreich und schuf 1886 den Urtyp einer Linotype, wie sie nun auch im Technikmuseum steht, bereit zur Vorführung durch Stefan Krämer.

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Nach dem Muster der Messingmatritzen werden die Zeilen aus Blei gegossen.
Nach dem Muster der Messingmatritzen werden die Zeilen aus Blei gegossen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ein Wunderwerk der Mechanik, von dem einem gerade noch die an eine Schreibmaschine erinnernde Tastatur bekannt vorkommt. Daher nur einen ganz grobe und laienhafte Beschreibung der Technik: Beim Tippen eines Textes fallen die Messingmatrizen der Buchstaben aus einem Magazin, ordnen sich zu Zeilen, wandern weiter in das Gusssegment der Maschine, werden dort zu bleiernen Zeilen.

Deren Material, eine zu 85 Prozent aus Blei, dazu aus Zinn und Antimon bestehende Legierung, wird in armlangen Stangen geliefert und bei rund 300 Grad zum Schmelzen gebracht, während Messing sich erst bei etwa 1300 Grad verflüssigen würde. Eine Verbindung von Matrizenform und Drucklettern ist also ausgeschlossen.

Mit diesem so genannten Rundstereo wurde die Titelseite der Tagesspiegel-Ausgabe vom 8. März 1983 gedruckt.
Mit diesem so genannten Rundstereo wurde die Titelseite der Tagesspiegel-Ausgabe vom 8. März 1983 gedruckt.

© SDTB / Steffi Hengst

Allerdings muss die Temperatur des flüssigen Bleis genau stimmen und darf nur knapp über dem Schmelzpunkt liegen. Für deren Regulierung hat so eine alte Linotype kein Thermometer, sondern nur zwei grob skalierte Drehknöpfe. Fingerfertigkeit und Erfahrung sind da gefragt, sonst gibt es Probleme.

Nach dem sekundenschnellen Guss werden die Matrizen wieder nach oben zum Magazin transportiert und automatisch in ihre jeweiligen Fächer einsortiert, bereit für weitere Zeilen. Der ganze Vorgang spielt sich nicht in der Lautlosigkeit heutiger Bildschirmtastaturen ab, sondern entwickelt eine erhebliche Geräuschkulisse aus Surren, Rasseln, Klappern, Klicken, mit dem die mechanischen Bauteile präzise ineinandergreifen – ein technisches Gesamtkunstwerk für Augen und Ohren.

Viele Jahre krönte der doppelte Namensschriftzug das Dach des früheren Tagesspiegel-Verlagshauses in der Potsdamer Straße.
Viele Jahre krönte der doppelte Namensschriftzug das Dach des früheren Tagesspiegel-Verlagshauses in der Potsdamer Straße.

© imago images/Steinach

Die fertigen Zeilen werden per Hand zur Druckform einer Seite gesetzt, wie die der Tagesspiegel-Titelseite vom 28. September 1975, an der Krämer gleich das Ergebnis seiner Arbeit an der Linotype vorführen kann. Mit solch einer platten, in einem Rahmen fixierten Bleiform aus unzähligen Einzelzeilen ließe sich zwar schon drucken, aber immer nur Blatt für Blatt, nicht im Endlosverfahren einer Rotation. Die Druckform wird daher in einen formbaren Gipskarton, die so genannte Prägemater, gepresst, das Negativ zum davon abgeformten, wiederum aus einer Bleilegierung bestehenden Rundstereo. Erst mit ihm, eingespannt in die Rotationsmaschine, geht die Zeitung in den Druck.

Vor sieben Jahren wanderte der Tagesspiegel-Schriftzug in damalige Domizil des Buchstabenmuseums.
Vor sieben Jahren wanderte der Tagesspiegel-Schriftzug in damalige Domizil des Buchstabenmuseums.

© Mike Wolff

Der ganze Prozess bedeutete einst eine technische Revolution, doch seine Zeit endete für den Tagesspiegel vor 37 Jahren, er war dann wirklich reif fürs Museum. Ähnlich erging es drei Jahrzehnte später einem weiteren Zeugnis der Tagesspiegel-Geschichte. Über zwei Jahrzehnte krönte der Name der Zeitung das Tagesspiegel-Dach des Verlagshauses in der Potsdamer Straße in Tiergarten, in gleich doppelter Ausführung, je ein Schriftzug nach Norden wie Süden.

Im Herbst 2009 zog der Verlag in sein aktuelles Gebäude am Askanischen Platz in Kreuzberg, der alte Gebäudekomplex wurde verkauft und blieb zurück, samt dem doppelten „Der Tagesspiegel“. Die 24 knapp mannshohen, innen beleuchteten Buchstaben wurden irgendwann abgebaut und durch Werbung für das gegenüber liegende Varieté-Theater Wintergarten ersetzt. Die Lettern wanderten erst mal in den Keller, bis sie dort 2013 von Barbara Dechant, Leiterin des seit einigen Jahren im Hansaviertel ansässigen Buchstabenmuseums, entdeckt, gemeinsam mit Mitstreitern gerettet und in die Sammlung des Museums übernommen wurden.

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Allerdings nur einer der beiden Schriftzüge, der zweite wurde aufgeteilt: Die Buchstabenfolge ESPI ziert jetzt die Räume der im alten Tagesspiegel-Domizil untergekommenen, ebenfalls dem Kulturgut Buchstabe verpflichteten Design-Agentur Edenspiekermann um den Typographen Erik Spiekermann. Den größeren Rest verwahrt der Schriftgestalter Lucas de Root, Leiter der Designagentur LucasFonts in Schöneberg.

Jahrelang harrte der Schriftzug in Wind und Wetter aus

Komplett ist der Schriftzug also nur noch in den aktuellen Räumen des Buchstabenmuseums zu sehen, das einige S-Bahnbögen westlich des S-Bahnhofs Bellevue nutzt. Derzeit stehen sie gestapelt in einer Ecke, die einzelnen Buchstaben aus jeweils drei Teilen zusammengesetzt, einem mittleren mit der Lichtquelle und zwei Außenteilen in milchig-weißem Material, teilweise noch mit den Spuren von jahrelangem Ausharren in Wind und Wetter, Straßenstaub und Taubendreck gezeichnet. Anfangs waren sie komplett zerlegt, das erneute Zusammenfügen muss einem Puzzle gleichgekommen sein. Verschraubt waren sie nicht nach Schablone, es war daher nicht einfach, die jeweils zueinander passenden Teile zu finden, erzählt Barbara Dechant.

Im vorigen Domizil des Museums waren die Buchstaben noch fürs Auge gefällig präsentiert worden, irgendwann wird das wohl wieder so sein, doch jetzt verlieren sie sich in all den zu Buchstaben geronnenen Zeugnissen des vergangenen Berliner Alltags – oder auch schon mal des künftigen. Erst vor wenigen Wochen wurde im Buchstabenmuseum eine Letternreihe angeliefert, die eigentlich der Zukunft angehört: der Schriftzug „Mercedes-Benz“ aus dem Komplex des BER, noch quasi unbenutzt. Keine schlechte Nachbarschaft für den Tagesspiegel.

Diese Zigarettendose samt Aschenbecher aus dem Büro von Walther Karsch zeigt das Alliiertenmuseum.
Diese Zigarettendose samt Aschenbecher aus dem Büro von Walther Karsch zeigt das Alliiertenmuseum.

© Andreas Conrad

Stehen Linotype und Leuchtschrift gleichsam für Mittelalter und Neuzeit der Tagesspiegel-Geschichte, so führen zwei Vitrinen des Alliiertenmuseums in der Zehlendorfer Clayallee direkt zu den Anfängen des Blattes. Gleich vorne im Saal des ehemaligen US-Kinos „Outpost“ dokumentieren sie mit ihren Exponaten die frühen Früchte der alliierten Pressepolitik, und dies fast allein am Beispiel des Tagesspiegels. Die Lizensierungsurkunde vom 26. Juni 1945, die Titelseite der ersten Ausgabe vom 27. September 1945 und frühe Werbeplakate fehlen ebenso wenig wie zwei altertümliche Schreibmaschinen der Marken „Continental“ und „Olympia“ aus „den frühen Redaktionsstuben des Tagesspiegel“, wie es heißt.

Gut möglich, dass eines dieser schreibtechnischen Fossile auf dem ebenfalls ausgestellten Foto zu sehen ist, das ein „Bürozimmer der Frühzeit, um 1947“ zeigt. Und der Museumsbesucher erfährt sogar Persönliches über einen der Gründungsväter des Blattes. Gezeigt werden „Zigarettendose und Aschenbecher aus dem Büro von Walther Karsch“. Offenbar war er starker Raucher.

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