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775 Jahre Berlin: Eine Frage der Ausrichtung

Die frühen Karten waren oft nicht nach Norden ausgerichtet. Für den Zeichner des berühmten, um 1660 entstandenen Lindholz-Plans von Berlin spielte die Himmelsrichtung überhaupt keine Rolle.

Die nächste Folge dieser Serie erscheint am Freitag, dem 26. Oktober.

Ein Stadtplan von Berlin und Cölln aus dem 14. Jahrhundert? Das wäre schön, aber es gibt ihn nicht mal als Imagination späterer Generationen, nicht in den hiesigen Archiven und wahrscheinlich auch nicht anderswo. Der erste originale Stadtplan Berlins, von dem die Historiker wissen, stammt erst aus dem Jahr 1652, der sogenannte Memhard-Plan, auf dem sich gegenüber dem 14. Jahrhundert aber nicht allzu viel verändert haben dürfte, von dem erst im 15. Jahrhundert gebauten Schloss mal abgesehen: Durch den 30-jährigen Krieg war die Doppelstadt auf ihren mittelalterlichen, von der alten Stadtmauer umschlossenen Kern zurückgeworfen worden.

Eines aber hat der heute gezeigte, um 1660 entstandene Plan mit einem möglichen, nicht realen Plan aus dem 14. Jahrhundert, ja mit dem gesamten frühen Kartenwesen gemeinsam: Um die Ausrichtung einer Karte nach Norden haben sich die frühen Kartografen kaum gekümmert. Erst in dem 1772 in Berlin für Preußen erlassenen „Reglement für die Ingenieurs und Feldmesser bey der König. Churmärkischen Krieges- und Domainen-Cammer“ findet sich die Anweisung, auf einer Karte müsse „die Gegend nach Norden gestellet werden“. In anderen Staaten sah man das nicht so eng, in Bayern wurden Karten noch im 19. Jahrhundert nach Süden ausgerichtet.

Der Zeichner, der Mitte des 17. Jahrhunderts die neue Festungsanlage um Berlin und Cölln zeichnete, hat sich dagegen um Himmelsrichtungen überhaupt nicht gekümmert. Norden ist ziemlich genau dort, wo er die Bastion 11, das „Dragoner-Bollwerk“, hingezeichnet hat, also unten links. Trotz solcher Laxheit bezüglich der Windrose ist es eine unter Fachleuten berühmte Karte, bekannt als Lindholz-Plan, nach dem kurfürstlichen Kammerrat Andreas Lindholz, gestorben 1703, aus dessen Nachlass sie stammen soll. Der Zeichner konzentrierte sich auf die neuen Festungsanlagen, an einigen Stellen blieb der Plan unvollständig, so fehlt beispielsweise der Vorgänger der heutigen Rathausbrücke. Aber die Grundstücke sind gut erkennbar, ebenso verzeichnet der Plan die erste Stadterweiterung Friedrichswerder (etwa entlang der Bastionen 1 bis 4).

Der Plan, der im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Dahlem lagert, hat selbst eine bewegte Geschichte. Seit 1943 war das Archiv in die Salzbergwerke von Schönebeck und Staßfurt im heutigen Sachsen-Anhalt verlagert worden. Die Karte überstand die nur kurze Besatzungszeit durch die Amerikaner wie auch die durch die Rote Armee, die das Archiv zunächst beschlagnahmte. 1946 wurden die Schächte leer geräumt und die Materialien provisorisch in Werkshallen gelagert, anfangs mit der Absicht, sie komplett in die Sowjetunion zu bringen. Teile verschwanden tatsächlich gen Osten, andere wurden gestohlen. Noch prekärer wurde die Lage, als 1947 vom Alliierten Kontrollrat das Ende des Staates Preußen, dem doch das Geheime Staatsarchiv gehörte, beschlossen wurde. Leicht hätte der Lindholz-Plan in diesen archivarischen Horrorzeiten verschwinden können, doch er landete schließlich, samt anderen von den Sowjets zurückgegebenen Beständen, im Deutschen Zentralarchiv der DDR in Merseburg. Von dort kehrte er nach der Wende nach Berlin zurück.

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